Schwere Beine, Schmerzen, blaue Flecken – die Symptomatik des Lipödems ist vielfältig. Jetzt gewinnt die chronische Erkrankung auch an politischer Aufmerksamkeit. Die FDP-Abgeordneten Jochen Haußmann und Alena Fink-Trauschel haben im Landtag einen Antrag gestellt zu der meist nur Frauen betreffenden Krankheit, bei der sich Fettzellen vor allem in den Armen und Beinen krankhaft vermehren.

Die Politiker fordern vom Landes-Gesundheitsministerium eine Stellungnahme über die Erkennung und Behandlung des Lipödems, denn die Krankheit betreffe die „Mitte der Gesellschaft“, wie Jochen Haußmann dem SÜDKURIER gegenüber erklärt.

Der Öffentlichkeit sei das Thema bisher nicht bekannt. Das müsse sich ändern, sagt Haußmann. Im April oder Mai werde der Sozialausschuss über das Thema beraten.

Wie viele Menschen von der chronischen Erkrankung betroffen sind, ist unklar, Experten schätzen rund zehn Prozent aller Frauen. Der SÜDKURIER hat mit drei Betroffenen aus der Region gesprochen.

Steffi Schliebe, 42 Jahre, aus Lindau

Steffi Schliebe hat bereits fünf Operationen hinter sich.
Steffi Schliebe hat bereits fünf Operationen hinter sich. | Bild: privat

Irgendwann merkte Steffi Schliebe, dass sie die Treppen nicht mehr so gut hochkommt. Ihre Beine fühlten sich schwer an. Sie ging zum Arzt, in der Annahme, dass etwas Orthopädisches nicht stimmt. „Da kam dann die typische Leier“, sagt Schliebe. „Nimm ab.“

Die Diagnose Lipödem kam erst später, im Jahr 2016. 2019 unterzog sie sich ihrer ersten Liposuktion, also einer Operation, bei der das krankhafte Fettgewebe abgesaugt werden soll, bezahlt aus eigener Tasche. Je nach Aufwand und Arzt kann der Eingriff zwischen 4500 und 20.000 Euro kosten.

Die Operation verlief schlecht. Die Stunden nach der Operation waren für Schliebe die Hölle, „ich wollte nur noch sterben“, sagt sie. Mittlerweile hat sie fünf Operationen hinter sich. Und es stehen auch noch weitere an, wenn ihre Krankenkasse auch Operationen an Bauch und Rücken genehmigen würde.

Bei Schliebe habe sich die Krankheit auch auf diese Stellen ausgeweitet, doch die Krankenkasse weigert sich, obwohl sie unter die Stadium-III-Regelung fällt. Erst ab diesem Stadium wird der Eingriff bezahlt und auch nur an Armen und Beinen, eine Regelung, die Ende des Jahres auszulaufen droht.

Aktuell lässt sich Schliebe rechtlich beraten. Kompressionsstrümpfe würden bei ihr nichts nutzen, „davon geht das Fett ja nicht weg“, sagt sie. Die Krankheit hat ihr viel genommen, sagt sie, ihren gelernten Beruf als Kfz-Mechanikerin musste sie aufgrund der Schmerzen aufgeben. Auf einem Facebook-Profil postet sie regelmäßig über ihr Leben mit der Krankheit und versucht, anderen Betroffenen Tipps zu geben.

Andrea Fach, 37 Jahre, aus dem Landkreis Waldshut

Andrea Fach hat eine Selbsthilfegruppe für andere Frauen gegründet.
Andrea Fach hat eine Selbsthilfegruppe für andere Frauen gegründet. | Bild: privat

Während ihrer Ausbildung in der Gastronomie merkte Andrea Fach, dass sie nicht ist, wie ihre Kollegen. Das lange Stehen und Laufen strengte sie an, ihre Beine schmerzten. Auch sie schob es zunächst auf ihre körperliche Kondition, auch ihr Hausarzt sagte ihr, dass sie „einfach weniger essen müsste“, erzählt Fach. Sie machte viele Diäten durch, aber nichts half.

Die Schmerzen waren da, trotz Gewichtsverlust. Sie wechselte ihren Arzt, der neue überwies sie an einen Spezialisten und das Lipödem wurde diagnostiziert, da war sie 21. An seine Worte erinnert sich Fach noch gut: „Er sagte zu mir, Mädel, du hast zwei Möglichkeiten: Entweder, du machst nichts und landest in den nächsten fünf Jahren im Rollstuhl, oder wir verändern etwas.“

Seitdem trägt sie Kompressionsstrümpfe. Ohne die Strümpfe hat sie Schmerzen, bei jeder Bewegung fühlt sie ein Stechen und ein Brennen, „wie ein Messer“, sagt sie. An eine Operation denkt Fach nicht, den Mehrwert davon kann sie nicht erkennen. Außer vielleicht an den Armen, denn durch das Lipödem werde selbst Haare föhnen zur Qual.

Um sich und anderen Betroffenen zu helfen, hat sie eine Selbsthilfegruppe gegründet. Den medizinischen Stand sieht sie als veraltet an, seit ihrer Diagnose 2012 habe sich laut Fach gar nichts getan. Gerade bei den „typischen Frauenkrankheiten“ gibt es einen großen Rückstand, sagt Fach.

Laut ihr muss die Erforschung dieser Krankheit dringend angekurbelt werden, auch politisch. „Die Frauen müssen dann aber auch bereit sein, als Forschungsobjekt herzuhalten“, mahnt sie. Denn noch weiß man nicht, wie ein Lipödem entsteht, man vermutet hormonelle Veränderungen, wie die Pubertät oder eine Schwangerschaft.

Tina Schwarz, 38 Jahre, aus dem Landkreis Waldshut

Tina Schwarz hat ihre Krankheit zum Beruf gemacht und will anderen Betroffenen helfen.
Tina Schwarz hat ihre Krankheit zum Beruf gemacht und will anderen Betroffenen helfen. | Bild: Inna Rose

Auch Tina Schwarz hat vor rund zehn Jahren die Diagnose Lipödem erhalten. Ihre Krankheit hat sie mittlerweile zum Beruf gemacht, sie ist selbstständig, arbeitet als Ernährungsberaterin und Lipödem-Coach. Sie betont, dass sie medizinische Beratung, die beim Krankheitsbild Lipödem unabdingbar ist, nicht ersetzen kann.

Aus eigener Hand weiß sie, wie schwierig die Diagnose für viele ist. Das gehe von der langwierigen Suche nach einem Arzt bis zu Ärzten, die die Krankheit überhaupt nicht ernst nehmen. Nicht selten würden ihre Klientinnen unter Tränen zu ihr kommen, um die gemachten Erfahrungen zu verarbeiten. „Es ist krass, was Ärzte mit erwachsenen Frauen machen“, sagt Schwarz.

Schwarz sieht Frauen in der Medizin sehr benachteiligt. Das muss sich laut Schwarz dringend ändern: „Forschung ist hier das A&O“, sagt Schwarz, dafür muss auch Geld da sein. Die Patienten seien viel zu sehr abhängig davon, den richtigen Arzt zu finden.

Gerade nach Operationen kommen viele Frauen zu ihr, die es „psychisch nicht mehr packen“, sagt Schwarz. Sie selbst hat sich einigen Operationen unterzogen, an Arm und Bein, zufrieden mit dem Resultat ist sie aber nicht.

Was von den Eingriffen geblieben ist, sind Narben, das Geld für die Operationen hat sie sich selbst zusammengespart. Weitere Operationen lehnt sie aktuell ab – die Angst, dass sich das Lipödem wieder erneut ausbreitet, bleibt aber.