Am 31. März war Schluss. Eigentlich. Dann sollte Heike Jaser zwei ihrer sechs Spielhallen in Singen schließen, weil sie keine 500 Meter von anderen Spielhallen entfernt sind. Doch damit will die Unternehmerin sich nicht abfinden und hat eine Eilklage eingereicht. „Es ist bitter zu sehen, wie im stationären Glücksspiel alles reguliert wird und online gelten ganz andere Regeln.“
Ihr ist ein Rätsel, warum lokale Spielhallen um ihre Existenz fürchten müssen, obwohl sie viel für Spielerschutz tun würden. Statt einer schmuddeligen Spielhölle, in der Haus und Hof verzockt werden können, seien Spielhallen häufig etablierter Treffpunkt. Doch mit der Umsetzung des im Juli 2021 in Kraft getretenen Glücksspiel-Staatsvertrag stehen in Singen laut Ordnungsamt vier von zwölf Spielstätten vor dem Aus. Heike Jaser hofft auf eine kulantere Regelung des Landes – und warnt davor, dass nun noch mehr Menschen unkontrolliert online zocken könnten.
Landesweit könnten 8000 Arbeitsplätze verloren gehen
Früher gab es keine Playstation zuhause, also gingen Menschen zur Unterhaltung in eine Spielhalle. Eine Branche mit Berührungsängsten, wie Heike Jaser einräumt, doch viele hätten falsche Vorstellungen: „Die Kundschaft, die man so im Kopf hat, die trinkt, raucht und spielt, gibt es so nicht mehr. Das sind alles ganz bürgerliche Existenzen.“ Manche Kunden kämen schon seit 20 Jahren.
Viele hätten die Petition unterschrieben, die ein faires Landesglücksspielgesetz fordert. Schließlich drohe der Verlust von landesweit 8000 Arbeitsplätzen, sagt Jaser. In ihrem Fall müssten das Jet-In und das Cash schließen, dort arbeiten acht geschulte Vollzeitkräfte.

Bis über die Eilklage entschieden ist, sollen die Spielhallen erstmal geöffnet bleiben. Die Landespolitik habe bisher nicht auf die Petition mit knapp 30.000 Unterschriften reagiert. Andere Bundesländer hätten die Abstandsregeln angepasst – in Schleswig-Holstein seien es 300 Meter, in Niedersachsen nur 100 und Bayern lasse jede Kommune selbst entscheiden.
Es ist ein mögliches Ende mit Ansage
Schon vor zehn Jahren seien erstmals Abstandsregeln festgehalten worden, die mindestens 500 Meter zwischen Spielstätten sowie zu Jugendeinrichtungen vorschreiben. Heike Jaser sieht aber einen entscheidenden Unterschied: „Das galt bisher nur für neu zu konzessionierende Spielstätten. Jetzt gilt das auch rückwirkend.“ Und ihr fehlt ein klarer Rahmen. „Es ist nicht geklärt, welcher Betrieb bleiben darf. Der älteste oder der am besten arbeitet oder der, wo die Mitarbeiter am längsten dabei sind?“

Marcus Berger vom Singener Ordnungsamt erklärt auf Nachfrage, dass der gesamte Bereich äußerst komplex sei. „Wir können die gesetzlichen Vorgaben nicht einfach ignorieren“, betont er. Allerdings hätten sich die Abstandsregeln seit dem Landesglücksspielgesetz 2011 nicht geändert. Als Übergangsregelung habe man 2017 für einige Spielhallen eine Erlaubnis für die nächsten fünf Jahre erteilt. „Diese Übergangsregelung ist jedoch mit Ablauf des Zeitraums ausgeschöpft“, sagt Berger.
Welche Kriterien für eine neue Erlaubnis gelten
Welche Spielhalle keine neue Erlaubnis bekommt – und damit effektiv schließen muss – entscheide man „auf Grundlage eines transparenten, für alle Bewerber einheitlichen, willkürfreien und nachvollziehbaren Verfahrens“. Auf erneute Nachfrage erklärt Berger, dass Kriterien etwa Standortkapazität und Umfeld seien. Weniger ins Gewicht fallen das Alter der Spielhalle oder wirtschaftliche Gründe, welche ja mit der Übergangsfrist berücksichtigt worden seien.
Ständig lockt das Online-Zocken?
Dem Gesetzgeber sei besonders der Aspekt des Jugendschutzes wichtig gewesen, sagt Ordnungsamtsleiter Marcus Berger. Dazu tragen Abstandsregeln aber nicht bei, findet Lars Kiefer von der Fachstelle Sucht in Singen: „Es ist nicht das Problem, dass Jugendliche auf dem Weg zur Schule an einer Spielhalle vorbeilaufen. Das Problem haben sie in der Hostentasche: ihr Handy.“ Denn darauf könne man sich problemlos Spiele runterladen, die ähnlich eines Glücksspiels funktionieren.
Auch Sportwetten seien kritisch, besonders wenn Prominente dafür werben. „Wenn Oliver Kahn sagt, dass Geld in sicheren Händen ist, klingt das wie von einer Bank, aber nicht nach Sportwetten“, sagt Kiefer. Inzwischen dürften Funktionäre wie der Welttorhüter zwar nicht mehr werben, aber Vereine. „Das macht es noch schlimmer.“ Auch durch Influencer werde Online-Glücksspiel leider salonfähiger.
Online-Casinos sind jetzt legal – aber kaum reguliert
Der Glücksspiel-Staatsvertrag holte Online-Casinos aus dem Graubereich und legalisierte sie. Dabei werde aber mit zweierlei Maß gemessen, kritisiert Heike Jaser. Während für stationäres Glücksspiel ein absolutes Werbeverbot gelte, dürfen Online-Anbieter ihre Kunden mit Newslettern immer wieder ansprechen und Bonusgelder verschenken. Das bemängelt auch Lars Kiefer und sieht eine große Gefahr. Denn online könnten Menschen jederzeit anonym spielen. Die im stationären Glücksspiel übliche Sperrdatei funktioniere online noch nicht zuverlässig. Und dass die Aufsichtsbehörde erst im nächsten Sommer voll einsatzbereit sein soll, sei irrsinnig.

Auch ein geplantes Einsatz-Limit von 1000 Euro pro Monat und Spieler sei deutlich zu hoch. „Da braucht es eine engere Regelung und mehr Struktur“, sagt der Suchtexperte. Man solle Glücksspiel nicht grundsätzlich verbieten, denn das werde den Spieltrieb eines Süchtigen nicht unterbinden. Es brauche aber Spielstätten, die ein sicheres und gutes Spiel anbieten.
Manche Kollegen stehen vor Ruin
Heike Jaser tut sich schwer, ihre betroffenen Spielhallen zu schließen: Die Automaten sind geleast, der Mietvertrag ist langfristig. Mit den Abstandsregeln finde sich so leicht auch kein neuer Standort – zumal das neue Investitionen benötigen würde. Angesprochen auf das Klischee, dass Spielhallen-Betreiber sowieso säckeweise Geld scheffeln würden, muss sie schmunzeln. Nach Betriebskosten und Steuern bleibe nicht viel. Eine Eilklage soll nun einen Aufschub von wenigen Monaten verschaffen. Und dann? „Es würde für uns weiter gehen, wenn auch kleiner. Aber manche Kollegen stehen vor dem Ruin.“

Stadt könnten fünf- bis sechsstellige Steuererlöse verloren gehen
Das Schließen von Spielstätten wird sich in Singen auch finanziell bemerkbar machen: 700.000 bis 800.000 Euro flossen vor Corona pro Jahr an Vergnügungssteuer in die Stadtkasse, wie Marcus Berger erklärt. Etwa 65 bis 75 Prozent davon stammen von Spielhallen.
Der Ordnungsamtsleiter sagt aber auch: Gerichte hätten die grundsätzliche Wertentscheidung des Gesetzgebers für Jugend- und Spielerschutz auch zulasten von Spielhallenbetreibern mehrfach bestätigt. „Dass man jahrelange hoffte, es gäbe noch Änderungen zu Gunsten der Spielhallen, können wir verstehen. Wir können aber nicht glauben, dass im Jahr 2022 ein Betreiber nicht damit rechnet, für eine bestehende Spielhalle keine Erlaubnis mehr zu bekommen.“ Denn das sei seit Jahren absehbar gewesen.
Wie Spieler geschützt werden sollen
- Zahlreiche Schutzmaßnahmen sollen sicherstellen, dass Menschen nicht in die Spielsucht geraten und ihr ganzes Geld verzocken, wie Spielhallen-Betreiberin Heike Jaser beschreibt. So sei beispielsweise geregelt, dass ein Spieler höchstens 20 Euro pro Stunde an einem Automaten verlieren darf. Außerdem müsse man einen Automaten mit Pin-Code freischalten und könne somit nicht mehrere gleichzeitig nutzen. Regelmäßige Pausen seien einprogrammiert und Alkohol sei verboten. Mitarbeiter müssten regelmäßig geschult werden: einmal zu Beginn zwei Tage, später alle drei Jahre einen Tag. Wenn ein Kunde ein problematisches Verhältnis zum Spielen habe, könne er sich in einem zentralen Verzeichnis sperren lassen für mindestens drei Monate oder auch sein ganzes Leben. Solche Maßnahmen fehlen häufig beim Online-Spiel, kritisiert Jaser: „Im Onlinecasino läuft das 24 Stunden durch mit ganz anderen Einsätzen, das ist nicht vergleichbar.“
- Die Zahl von Süchtigen ist laut Lars Kiefer von der Fachstelle Sucht in Singen seit einigen Jahren stabil. Manch einer habe zwar während der Pandemie die Finger vom Glücksspiel gelassen, doch andere hätten auch eine neue Leidenschaft dafür entwickelt. Besonders Automaten seien verführerisch: „Je mehr Gelegenheiten man schafft, desto mehr Suchtprobleme gibt es auch“, so Kiefer. Das Bundesgesundheitsministerium geht davon aus, dass rund 500.000 Menschen ein problematisches Glücksspielverhalten zeigen. Zum Vergleich: 1,6 Millionen Menschen gelten als alkoholabhängig und bei 560.000 Menschen sei eine Mediensucht zu beobachten. Ein generelles Verbot von Glücksspiel ist laut Suchtberater aber nicht zielführend.
- Die Fachstelle Sucht empfiehlt einen Fragebogen, anhand dessen Spieler feststellen können, ob ist Glücksspielverhältnis kritisch ist. Anzeichen sei beispielsweise, wenn man mehr Geld einsetze, als man sich leisten könne, oder wenn man erfolglos versucht habe, seinen Konsum einzuschränken. „Die suchtkranke Person leidet erstmal am wenigsten, sondern das Umfeld. Zum Beispiel wenn das Kind nicht ins Schullandheim kann, weil das Geld fehlt“, sagt Suchtexperte Lars Kiefer. Einen Test gibt es auch online unter www.check-dein-spiel.de/tests/selbsttest . Austausch und Unterstützung bietet die Fachstelle in Einzelgesprächen für Betroffene und ihre Angehörigen oder mit einer Selbsthilfegruppe. Diese trifft sich jeden Montag von 19.30 bis 21.00 Uhr im Gruppenraum der Fachstelle Sucht in der Schützenstraße 2 in Radolfzell.