Der Kokainprozess vor dem Landgericht Konstanz ist am Freitagvormittag mit zum Teil langjährigen Freiheitsstrafen zu Ende gegangen. Angeklagt waren sechs Personen, denen die Staatsanwaltschaft unter anderem bandenmäßigen Handel mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge vorgeworfen hat. Laut der Anklageschrift ging es unter anderem um die unglaubliche Menge von etwa eineinhalb Tonnen Kokain, die die sechs Personen bewegt haben sollen – bei Geschäften, die mal zustande kamen, manchmal aber auch nicht. Manches davon war bei Durchsuchungen kurz vor Weihnachten 2021 sichergestellt worden. Den Straßenverkaufswert der Funde gaben die Behörden damals mit mindestens 50 Millionen Euro an – einer der größten Drogenfunde in Baden-Württemberg.
Dass die sechs Angeklagten, die sich dafür nun vor dem Landgericht Konstanz verantworten mussten, wie eine Bande im Sinne des Strafgesetzbuches gehandelt haben, dafür habe das Gericht im Laufe der ersten fünf Verhandlungstage allerdings nicht genügend Anhaltspunkte gesehen, erklärte der Vorsitzende Richter Arno Hornstein in seiner Urteilsbegründung. Die Urteile ergingen daher für die jeweiligen individuellen Tatbeteiligungen beziehungsweise Beihilfen zu einzelnen Taten.
Richter: Täter sind hochprofessionell vorgegangen
Die Angeklagten, die nun verurteilt wurden, seien hochprofessionell vorgegangen, sagte Arno Hornstein in der Urteilsbegründung. Und es sei um riesige Mengen an Rauschgift gegangen. Allein bei der sichergestellten Kokainmenge seien mehrere Millionen Konsumeinheiten zusammengekommen, rechnete der Vorsitzende Richter vor. Zudem sei das Rauschgift sehr rein gewesen und wohl direkt aus dem Produktionsland gekommen.
Dass der Prozess nun relativ rasch über die Bühne gehen konnte, sei auch auf eine Prozessabsprache zwischen Gericht, Staatsanwaltschaft und den Verteidigern zurückzuführen, nach der die Angeklagten geständig waren. „Die Strafen sind immer noch ordentlich, aber niedriger, als bei einem streitigen Verfahren hätte herauskommen können.“

Auch die Rolle des verdeckten Ermittlers bei den Taten kommentierte Hornstein. Da gebe es immer die Frage, wie weit ein verdeckter Ermittler gehen darf. Die Ermessensfrage: Kann man mehr aufklären, wenn man eine weitere Tat zulässt? Oder muss man diese stoppen? In diesem Verfahren halte das Gericht die Rolle des verdeckten Ermittlers für unbedenklich, so Hornstein. Der Zugriff kurz vor Weihnachten 2021 sei noch rechtzeitig erfolgt.
1,1 Millionen Euro für den Staat abgeschöpft
Beeindruckt äußerte sich der Richter auch über die letzten Worte mancher Angeklagter. Raymond C. und Christopher L. hätten sich demnach beim deutschen Staat entschuldigt: „Das hört man selten und es wirkte ehrlich“, so Hornstein.
Außerdem ordnete das Gericht die Einziehung hoher Geldsummen bei den Verurteilten an. Der Hintergrund ist, dass sich Verbrechen nicht lohnen darf. Im konkreten Fall: Die Erlöse, die beim Drogenverkauf zusammenkamen, werden für die Staatskasse abgeschöpft. Zusammen geht es um mehr als 1,1 Millionen Euro. Richter Hornstein relativierte aber auf Nachfrage: Der Staat habe jetzt zwar einen Titel gegen die vier betroffenen Angeklagten, müsse diesen aber noch durchsetzen. Konkret bedeutet das, dass man das Geld bei den betroffenen Verurteilten auch einziehen muss. Noch ist allerdings nicht gesagt, ob die Beträge wirklich in der Staatskasse ankommen.
Kronzeuge wird für Mitarbeit belohnt
Dabei habe die vierte Strafkammer des Landgerichts, die nun zu entscheiden hatte, dahingehend Neuland betreten, dass es einen Angeklagten im Zeugenschutzprogramm gab, erklärte Hornstein. Aufgrund dieser Regelung im Betäubungsmittelgesetz kann ein Gericht die Strafe mildern, wenn ein Angeklagter „durch freiwilliges Offenbaren seines Wissens wesentlich dazu beigetragen hat“, dass andere Straftaten aufgedeckt werden konnten, wie es im Gesetz heißt. Beamte des Landeskriminalamtes hätten das Zeugenschutzprogramm vorbildlich umgesetzt, so Hornstein.
Dass die Bedingungen auf Edward N. zutreffen, sah das Gericht als gegeben. N. hatte bereits früh umfassende Geständnisse gemacht und sei für diese Mitarbeit belohnt worden, so Hornstein. N. muss nun für sechs Jahre und zwei Monate ins Gefängnis. Ursprünglich hätten 13 Jahre im Raum gestanden, so der Vorsitzende Richter.
Christopher L. hatte Kontakte nach Südamerika
Die längste Freiheitsstrafe von zehn Jahren und acht Monaten verhängte das Gericht gegen Christopher L., dessen Rolle bei früheren Verhandlungstagen als die des hauptsächlichen Beschaffers der Drogen aus Südamerika geschildert wurde – also derjenige, der direkt mit den Hintermännern in Südamerika in Kontakt treten konnte, hieß es damals.
Ein weiterer Angeklagter, Inhaber eines Gottmadinger Betriebes, wo laut Anklage einer der Umschlagplätze für die Drogen war, muss für sieben Jahre und sechs Monate hinter Gitter. Bei ihm sah das Gericht neben den Drogendelikten auch mehrere Verstöße gegen das Waffenrecht als erwiesen an, allerdings keinen bewaffneten Drogenhandel.
Der aufsehenerregende Prozess im Rückblick
- Tag 1: Staatsanwalt Kulikow braucht allein eine Stunde zum Verlesen der Anklageschrift. Deutlich wird dabei: Die Angeklagten sollen mit der unglaublichen Menge von eineinhalb Tonnen Kokain gehandelt haben.
- Tag 2: Ein Kronzeuge berichtet ausführlich darüber, wie der Drogenhandel ablief. Unter anderem sei Kokain eingeschweißt in den Rahmen von Containern von Südamerika nach Deutschland transportiert worden.
- Tag 3: Am dritten Verhandlungstag wird deutlicher, wie sich ein verdeckter Ermittler in die Gruppe eingeschleust hat und welche Rolle er bei der Überführung der nun verurteilten Angeklagten gespielt hat.
- Tag 4: Abgehörtes Auto, präparierte Halle und Kokain im Hubschrauber – die Ermittler haben alle Register gezogen, um die sechs Angeklagten zu überführen. Wie die Verhaftung konkret ablief, war Gegenstand am vierten Verhandlungstag.

Nur eine muss nicht ins Gefängnis
Raymond C. bekam eine Freiheitsstrafe von neun Jahren. Vor allem bei den früheren Taten der Gruppe habe er einen „herausragenden Beitrag“ (Hornstein) zu dem illegalen Treiben geleistet, indem er eine Firma für den Drogenimport gegründet habe. Zum Schein handelte diese Firma mit Kunststoffgranulat, in den Containern reiste allerdings auch Rauschgift über den Atlantik. Klaus F., der laut der Anklage hauptsächlich als Drogenkurier tätig war, muss für sieben Jahre ins Gefängnis. Dabei ist eine Freiheitsstrafe des Landgerichts Krefeld wegen Drogendelikten schon einbezogen.
Die einzige weibliche Angeklagte kam mit einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren davon, die für drei Jahre zur Bewährung ausgesetzt wurde. Das Gericht sah ihren Tatbeitrag hauptsächlich in Übersetzungen zwischen den anderen Mitgliedern der Gruppe. Sie muss allerdings verschiedene Auflagen erfüllen, beispielsweise 3000 Euro an die Drogenhilfe Landkreis Konstanz zahlen. Die Urteile sind noch nicht rechtskräftig. Es besteht die Möglichkeit der Revision.