Singen-Überlingen Acht Jahre hat Jonas Lüscher für seinen jüngsten Roman „Verzauberte Vorbestimmung“ gebraucht. „Ich bin ein langsamer Autor“, sagt er. Und weil er nach zahlreichen Buchrezensionen und Diskussionen in literarischen Sendungen weiß, dass Aufbau und Inhalt des neuen Werkes sich nicht jedem Leser auf Anhieb erschließen, stellt er seiner Lesung im Rahmen der „Erzählzeit ohne Grenzen“ umfangreiche Erklärungen voran. Zahlreiche Literaturfreunde sind nach Überlingen am Ried gekommen, um den Autor dieses – wie Ortsvorsteher Torsten Ehinger sagt – ungewöhnlichen Romans zu erleben. Schnell sind alle Plätze im Bürgerhaus des Singener Stadtteils besetzt.
Einen durchgehenden Handlungsstrang im Sinne eines klassischen Romans gibt es nicht. Vielmehr bewegt sich Jonas Lüscher mit seinen Erzählungen in verschiedenen Epochen, baut viel Geschichtliches aus der Zeit der Frühindustrialisierung ein und richtet seinen Blick aus der Perspektive des Ich-Erzählers und mit Hilfe verschiedener Protagonisten in eine von künstlicher Intelligenz (KI) bestimmten Zukunft. Dem Publikum des Literaturfestivals erleichtert er den Zugang, indem er die Motivation für diese außergewöhnliche Themenzusammenstellung erläutert. Lüscher beschäftigt sich seit seiner Corona-Erfahrung als Koma-Patient mit der Beziehung von Mensch und Maschine. Die digitale Evolution werde die menschliche Intelligenz überholen, so die Theorie von Tech-Giganten im Silicon Valley. „Es wäre blöd, in diese Falle zu tappen“, sagt Lüscher. „Wenn wir verstehen wollen, was auf uns zukommt, müssen wir das Verhältnis von Mensch und Technik verstehen.“ Er selbst sei während seiner Erkrankung über Wochen an eine Herz-Lungen-Maschine angeschlossen gewesen und habe der Technik sein Überleben zu verdanken.
Lüschers Buch ist dennoch eine kritische Auseinandersetzung mit der zunehmenden Digitalisierung der Welt. Es ist eine erzählerische Abwägung anhand von historischen Sequenzen. Und so wirft er einen Blick zurück in die Zeit des Ersten Weltkriegs und den ersten Giftgasangriff mit Tausenden Toten. „Technik, die uns bedroht und auf der anderen Seite weiterbringt“, erklärt er. Denn der Erfinder dieser industriellen Tötungsmethode, Fritz Haber, habe auch den Kunstdünger erfunden, der Millionen Menschen vor dem Verhungern gerettet habe.
„Wie sehen Sie die Zukunft einer Welt, in der alles nicht gut ist?“, lautete eine Frage aus dem Publikum. So negativ wollte sich Lüscher jedoch nicht verstanden wissen. „Es ist ja nicht alles nicht gut“, sagte er. Es gehe ihm um die Beziehung zur Technik als relevante Konstante. Solange sie reguliert sei, sorge sie für Sicherheit. Künstliche Intelligenz in privater Hand könne das jedoch ins Wanken bringen.