Als sie nach knapp 40 Minuten endlich vor der Impfkabine sitzt, geht alles ganz schnell: Erst die Spritze, dann der Kleber im Impfpass. Rosemarie Bernhardt-Clericus aus Owingen wurde im Kreisimpfzentrum in Singen gegen das Coronavirus geimpft. Sie gehört mit ihren über 60 Jahren zur zweiten Prio-Gruppe. Ab Montag, 7. Juni, braucht es keine Priorisierung mehr, um eine Impfung zu erhalten. Doch die regelrechte Jagd nach einem Termin macht das nicht einfacher: In dieser Woche gibt es keinen Termin für eine Erstimpfung, wie Jens Bittermann vom Landratsamt Konstanz auf Nachfrage sagt.
Der knappe Impfstoff ist erstmal für Zweitimpfungen reserviert. „Die Nachfrage wird auch im Juni noch das Angebot deutlich übersteigen. Denn mit dem Wegfall der Priorisierung stehen keine größeren Mengen an Impfstoff zur Verfügung“, erklärt Florian Mader als Sprecher des Landesministeriums für Soziales, Gesundheit und Integration.
Entsprechend froh war Rosemarie Bernhardt-Clericus, als sie endlich mit einem Pflaster am Oberarm aus dem Kreisimpfzentrum in Singen spaziert. Es regnet in Strömen, doch das kann ihrer guten Stimmung nichts anhaben. Seit 19. April hätte sie sich impfen lassen dürfen. Doch erst war sie sich nicht ganz sicher, ob sie das will, und dann habe sie keinen Termin bekommen.
Benachteiligt das Online-Angebot die Älteren bei der Terminsuche?
Online seien sie und ihr Mann nicht weiter gekommen und am Telefon habe man sie abgewiesen, weil es keine Termine gebe. Auch der Hausarzt hatte keinen Impfstoff für die beiden – Prioritätsgruppe hin oder her. Werden ältere Menschen bei einer Online-Terminvereinbarung eigentlich benachteiligt? Der Ministeriumssprecher sagt Nein: „Gerade für jene Personen, die mit der Homepage nicht klar kommen, haben wir die Hotline 116 117 eingerichtet.“ Diese greife auf das gleiche System zurück. „Es ist also niemand benachteiligt. Klar ist, dass es dennoch viel zu wenige Termine gibt“, sagt Mader.
Sind die Prio-Gruppen eigentlich schon versorgt? Das sagen die Zahlen
Eine seriöse Schätzung, wie viele Menschen zu den Prioritätsgruppen gehören und wie viele davon geimpft sind, gibt es laut Florian Mader nicht. „Einzig zur Gruppe der Über-60-Jährigen liegen uns genaue Zahlen vor. Diese Gruppe umfasst in Baden-Württemberg knapp drei Millionen Menschen. In dieser Gruppe haben wir (Stand Donnerstag) über 77,3 Prozent Erstgeimpfte und 40,1 Prozent vollständig Geimpfte.“ Davon wurden rund 65 Prozent in Impfzentren geimpft und der Rest in niedergelassenen Arztpraxen.
Betriebe können ab Montag ihre Mitarbeiter impfen
Künftig sollen auch Betriebsärzte dazu beitragen, dass mehr Menschen gegen das Coronavirus immunisiert sind. Impfungen in Betrieben sind laut dem Ministeriumssprecher ab Montag möglich. Wie viele Impfungen über diese dritte Säule möglich sein werden, kann er nicht sagen: Den Impfstoff dafür würden Betriebsärzte, ebenso wie Hausärzte, direkt vom Bund über den Pharmagroßhandel und die Apotheken erhalten.
Der Impfstoff, mit dem die mobilen Impfteams weiterhin rund 1000 Menschen pro Woche im Landkreis impfen, wird hingegen von der Lieferung ans Kreisimpfzentrum (KIZ) abgezogen. Allerdings seien auch die mobilen Impfteams momentan mit Zweitimpfungen beschäftigt, wie Jens Bittermann erklärt.
Gerüchte und Falschmeldungen haben sie erst verunsichert
Bei Familie Clericus ging es online auf einmal doch ganz schnell, Samstagabend gab es einen Termin für Donnerstag in Singen. Dabei hatten sie sich fast schon darauf eingestellt, weiter fahren zu müssen. Was sie letztlich von der Impfung überzeugt hat? „Anders werden wir die Pandemie nicht in den Griff bekommen“, sagt die 63-Jährige. Und nach einiger Recherche sei sie überzeugt, dass das Risiko, an Corona zu erkranken und langfristige Folgen zu haben, höher sei als das Risiko von möglichen Impf-Nebenwirkungen.
Dennoch sei sie aufgeregt gewesen: Im Internet würden die wildesten Gerüchte und auch Falschmeldungen zu Impfungen kursieren, das habe sie etwas verunsichert. Außerdem sei die letzte Spritze schon einige Jahre her.

Das Kreisimpfzentrum in Singen erlebt die 63-Jährige als gut organisiert und freundlich. Erst die Anmeldung, dann eine neue medizinische Maske, dann in der Stadthalle eine kurze Befragung, ein Film, ein Arztgespräch und endlich die Impfung. Eine von durchschnittlich 700 pro Tag im KIZ Singen. „Und jetzt gibt es Sekt?“, habe sie die Ärztin im Spaß gefragt. Das nicht, aber ein gutes Gefühl. Nach dem Piks geht es ihr gut, auch in den Tagen danach hat sie keine Nebenwirkungen.
Fehlt nur noch eine Impfung für den Sohn
Einen Wunsch aber hat sie: Dass auch ihr 27 Jahre alter Sohn bald geimpft werden kann. Wenn er denn dann endlich einen Termin bekommt. Laut Landesministerium für Soziales, Gesundheit und Integration sollen die Impfzentren bis mindestens 15. August bleiben – mit Option einer weiteren Verlängerung: „Je nach verfügbaren Impfstoffen werden wir die Impfzentren auch im September noch brauchen.“
Rosemarie Bernhardt-Clericus arbeitet als Redaktionsassistentin beim SÜDKURIER in Friedrichshafen und ist die Mutter der Autorin dieses Textes. Sie zu begleiten, war zu diesem Zeitpunkt eine seltene Gelegenheit, direkte Eindrücke aus dem Kreisimpfzentrum Singen zu erhalten.