Früher war der Montag für Bernhard Lobmeier schlicht der Wochenbeginn. Nun aber ist er für den Inhaber der Rathaus-Apotheke in St. Georgen der Tag, an dem die frischen Impfstofflieferungen kommen. „Wir bestellen immer dienstags die Vakzine für die kommende Woche. Die Menge orientiert sich an den Bestellungen der Hausärzte. Donnerstags oder freitags erfahren wir dann, wie viel Impfstoff wir letztlich erhalten. Und montagnachmittags kommt der Lieferant“, erläutert Lobmeier. An einem solchen Montag war der SÜDKURIER exklusiv dabei.

Die meisten dieser Boxen sind die leeren aus der Vorwoche. Der Offenburger Transporter hat die St. Georgener Rathaus-Apotheken an diesem ...
Die meisten dieser Boxen sind die leeren aus der Vorwoche. Der Offenburger Transporter hat die St. Georgener Rathaus-Apotheken an diesem Montag zu letzt beliefert. | Bild: Matthias Jundt

Es ist kurz vor 16 Uhr, ein weißer Transporter fährt vor, er kommt aus Offenburg und gehört zu einem Unternehmen, das sich auf den Pharmahandel und -transport spezialisiert hat. Im Inneren des Transporters, der am Hintereingang zur Apotheke hält, befinden sich einige blaue Boxen. In ihnen lagern die Impfstoffe von Biontech und Astrazeneca, außerdem das Zubehör, das die Hausärzte zum Verimpfen brauchen. Beim Stopp in St. Georgen ist der Transporter schon fast leer, zuvor wurden auf dem Weg aus der Ortenau in die sonnige Bergstadt sieben weitere Apotheken beliefert.

Bernhard Lobmeier trägt die Boxen mit den Impfstoffen und dem Zubehör in sein Büro.
Bernhard Lobmeier trägt die Boxen mit den Impfstoffen und dem Zubehör in sein Büro. | Bild: Matthias Jundt

Während sich die beiden Lieferanten nach dem Ausladen der Boxen wieder auf den Rückweg machen, trägt Lobmeier das derzeit wohl kostbarste Gut der Welt in sein Büro. Dort hat er schon das vorbereitet, was er vorbereiten kann: „Jeder Hausarzt, an den wir liefern, erhält detaillierte Informationen zum Impfstoff. Das ist der Chargen-Begleitschein. Den Namen der Praxis und andere Dinge kann ich vorbereiten, vieles andere aber nicht.“ Was er für die vier Praxen, die seine Apotheke beliefert, nicht vorbereiten kann, ist beispielsweise die Chargennummer. Außerdem muss er vor dem Weitertransport eintragen, wann der Impfstoff vom Medizintransporteur aus dem Super-Kühlschrank bei Minus 80 Grad herausgeholt wurde und welche Temperatur die Box beim Eintreffen an der Apotheke hat.

Papierkram erledigen Video: Matthias Jundt

Dass die Kühlkette eingehalten wird, ist wichtig. Andernfalls droht gerade der empfindliche mRNA-Impfstoff von Biontech kaputt zu gehen. Ein Datenlogger, der die Temperatur permanent überwacht, hilft dabei. Wenn der Impfstoff bei der Apotheke ankommt, ist er zwischen zwei und acht Grad kühl. Er hält so etwa eine Woche.

Box auspacken Video: Matthias Jundt

Dann macht sich Lobmeier ans Werk: „Wie viel Impfstoff bekommt die Praxis Probst?“, sagt er zu sich selbst, schaut kurz auf dem Lieferschein nach und holt dann die entsprechende Menge aus der Box. Kurz die Kühlakkus angehoben, den Impfstoff vorsichtig herausgeholt, die Akkus wieder drauf und die Impffläschchen in die Transportbox gelegt. Lobmeier: „Alles muss so schnell wie möglich passieren. Manche Ärzte impfen montags schon ab 17 Uhr.“

Auf dem Boden des Büros von Bernhard Lobmeier stehen die Impfboxen.
Auf dem Boden des Büros von Bernhard Lobmeier stehen die Impfboxen. | Bild: Matthias Jundt

Obwohl der Apotheker diese Prozedere nun schon in der siebten Woche durchläuft, ist er noch immer leicht nervös: „Das Problem ist, dass es keine Routine gibt. Die kann sich auch gar nicht einstellen. Die Impfstoffmenge, die geliefert wird, ist jedes Mal eine andere. Auch das Zubehör, also die Spritzen und die Kanülen, können variieren. Hinzu kommt, dass ich nie wirklich weiß, wann genau der Lieferant bei mir ist. Klar ist nur: Wenn die Impfstoffe kommen, muss alles andere erst einmal warten.“

Wie viel Impfstoff jeder seiner vier Hausärzte erhält, entscheidet in letzter Instanz Lobmeier selbst: „Ich verteile die Fläschchen dann so, dass es am gerechtesten ist. Wenn ich erfahre, wie viel Dosen geliefert werden, rufe ich die Mediziner an und teile das mit.“ In dieser Woche werden es für die fünf Mediziner in der Hausarztpraxis Probst gerade einmal zwölf Biontech-Dosen zur Erstimpfung sein. Die anderen sind für die nicht aufschiebbaren Zweitimpfungen gedacht. In der vergangenen Woche waren es 48 Dosen für Erstimmpfungen. Hausärzte aus St. Georgen und Villingen hatten im SÜDKURIER in der vergangenen Woche vor einem Quasi-Impfstopp gewarnt. Lobmeier: „Das hat sich jetzt in Teilen bewahrheitet.“

Das könnte Sie auch interessieren

Sind die richtigen Impfdosen von Biontech und Astrazeneca in den Transportboxen, geht es weiter mit dem Zubehör. Während die Vaxzevria-Dosen, also die von Astrazeneca, wie geliefert verimpft werden, muss Comirnaty mit Kochsalzlösung verdünnt werden. Die wird den Transportboxen ebenso beigelegt, wie die Spritzen und Kanülen. „Für die Verarbeitung der Impfstofflieferungen sind bei uns drei Mitarbeiter pro Woche zwölf Stunden beschäftigt“, sagt Lobmeier. Ein weiterer Mitarbeiter, der extra dafür engagiert wurde, liefert die Vakzine letztlich zu den Hausärzten. Kommende Woche wiederholt sich das Prozedere.

Hausärztin Natalie Frisch kümmert sich darum, dass die Impfdosen fachgerecht aufgezogen werden.
Hausärztin Natalie Frisch kümmert sich darum, dass die Impfdosen fachgerecht aufgezogen werden. | Bild: Matthias Jundt

Dienstag, 9.45 Uhr. In der Gemeinschaftspraxis Probst in St. Georgen herrscht reger Betrieb. Ein Vater kommt mit seinem Sohn in die Praxis, eine ältere Frau wartet, bis sie drankommt und in einem der Behandlungszimmer macht Natalie Frisch das, was ihr immer noch eine „gewisse Aufregung“ verschafft: Die Hausärztin bereitet die Impfspritzen mit der Biontech-Vakzine so vor, dass sie verabreicht werden können. „Man darf nichts falsch machen. Man will keine Impfdosis vergeuden“, sagt Frisch. Zur Sicherheit liegt neben ihr die Anleitung zum Aufziehen der Impfspritzen bereit.

Die Schritt-für-Schritt-Anleitung: Sicher ist sicher.
Die Schritt-für-Schritt-Anleitung: Sicher ist sicher. | Bild: Matthias Jundt

Dann beginnt sie. Zunächst desinfiziert die Medizinerin die Tischoberfläche gründlich, ebenso das Biontech-Fläschchen mit einem Desinfektionstüchlein. Verunreinigungen könnten den Impfstoff wertlos machen. Das will Frisch um jeden Preis verhindern. Schon bereit liegen die Spritzen und die Kanülen. Sie sind in dieser Woche andere, als in der Vorwoche. Auch deshalb kann sich kaum eine Routine einstelle.

Biontech schwenken Video: Matthias Jundt

Zunächst muss die Ärztin das Biontech-Fläschchen vorsichtig schwenken: „Zehnmal muss das passieren, damit alles gut durchmischt ist. Ich muss auch schauen, dass keine Partikel oder anderes drin ist.“ Dann muss sie den Gummistopfen des Biontech-Fläschchens so durchstechen, dass kein Material im Impfstoff landet. Anschließend zieht sie die mitgelieferte Kochsalzlösung in eine Spritze. 1,8 Milliliter sind das genau. Jetzt spritzt sie die Lösung vorsichtig ins Biontech-Fläschchen. Macht sie das zu stark, könnte das den Impfstoff beschädigen. Frisch: „Und zum Druckausgleich, muss ich die Luft wieder abziehen.“

Der Biontech-Impfstoff muss vor dem Spritzen mit Kochsalzlösung verdünnt werden.
Der Biontech-Impfstoff muss vor dem Spritzen mit Kochsalzlösung verdünnt werden. | Bild: Matthias Jundt

Nun geht es ans Eingemachte. Hochkonzentriert führt die Ärztin erst eine Aufziehkanüle ins Fläschchen ein. Diese Kanüle nutzt sie dann, um den verdünnten Impfstoff in die Spritze zu ziehen. 0,3 Milliliter müssen es sein, damit der Impfstoff wirkt. Sind es weniger, könnte die Injektion einem Placebo gleichen. Fünf weitere Male wiederholt Frisch diesen Vorgang, dann sind sechs Impfspritzen von Biontech bereit, in die Oberarme von sechs Patienten gespritzt zu werden.

Impfstoff in die Spritze Video: Matthias Jundt

Manchmal, sagt die Ärztin, gelingt es, sieben Impfdosen aus einem Fläschchen zu gewinnen: „Es ist wichtig, eine Aufziehkanüle im Fläschchen stecken zu lassen, um den Gummistopfen nicht zu oft durchstehen zu müssen. Aber vor allem ist es auch wichtig, um zu vermeiden, bei jeder neuen Aufziehspritze neuen Totraum in Form von Luft in der Kanüle zu haben. Das ist wichtig, um genügend Impfstoff und wenn möglich auch die siebte Dosis aus dem Fläschchen zu bekommen.“ Beim Aufziehen der anderen Impfspritzen an diesem Dienstag gelang ihr das.

Übrigens: Der Astrazeneca-Impfstoff wird bereits so geliefert, dass man ihn sofort verimpfen kann Er muss nicht verdünnt werden. 0,5 Milliliter sind hier die richtige Menge, pro Fläschchen gewinnen Ärzte zehn Impfdosen.

Das sind sie, die fertigen Impfspritzen.
Das sind sie, die fertigen Impfspritzen. | Bild: Matthias Jundt

Für den St. Georgener Hausarzt Johannes Probst und Frischs Kollegen ist die Frage nach der Anzahl der Dosen klar zu beantworten: „Das ist eine ethische Frage. Wir haben unseren Patienten gegenüber eine Verantwortung, viele Menschen schnell zu impfen. Wenn wir sieben Dosen aus einem Fläschchen gewinnen können, machen wir das.“ Das Bundesland Rheinland-Pfalz hat die siebte Dosis vor einem Monat offiziell erlaubt. In Baden-Württemberg gibt es noch keine offizielle Sieben-Dosen-Regelung.