Wohin geht es mit der Kommunalpolitik? Der Neujahrsempfang ist der Anlass, die politische Position zu bestimmen. Bei dem festlichen Abend in der voll besetzten Singener Stadthalle skizzierte Singens Oberbürgermeister Bernd Häusler in seiner Neujahrsansprache am Freitag die Leitlinien für die Kommunalpolitik des noch jungen Jahres. Ein Bonmot wie das von Konstanz als „End of the Länd“ gab es dieses Jahr zwar nicht. Doch an Klartext ließ es Häusler nicht mangeln und es sprach auch eine gehörige Portion Frust aus seinen Worten. Frust über die Bundes- und Landespolitik, die immer mehr Aufgaben an die kommunale Verwaltungsebene durchreiche. Doch auch in verschiedene andere Richtungen sandte Häusler deutliche Signale.

Kritik an Mietspiegel-Blockade

Zum Beispiel in Sachen Mietspiegel. Den hätte der Gemeinderat eigentlich schon im Dezember verabschieden sollen. Das lange erwartete Dokument, das zur Orientierung über die marktüblichen Preise bei Mietern wie Vermietern dienen soll, ist fertig. Auch die Gemeinde Rielasingen-Worblingen ist mit im Boot. Doch in der entscheidenden Sitzung wurde das Thema von der Tagesordnung genommen. Der Eigentümerverband Haus und Grund hatte den Entwurf abgelehnt, die drei Baugenossenschaften kritisierten ihn, nur der Mieterbund stimmte zu.

Singens OB Bernd Häusler hielt mit seinem Frust über das geplante Wasserstoffkernnetz, das an der Region vorbeigehen soll, nicht hinterm ...
Singens OB Bernd Häusler hielt mit seinem Frust über das geplante Wasserstoffkernnetz, das an der Region vorbeigehen soll, nicht hinterm Berg: „Scheinbar hat der eine oder andere Verantwortliche dort oben in Bonn oder Berlin nicht zur Kenntnis genommen, dass sich auch bei uns an der Schweizer Grenze und entlang des Hochrheins internationale Industrieunternehmen befinden, die künftig auf Wasserstoff angewiesen sein werden.“ | Bild: Hanser, Oliver

Häusler machte nun von der Bühne herab sein Unverständnis darüber deutlich. Das Institut, das den Mietspiegel erstellt habe, habe dieselbe Arbeit schließlich auch in Radolfzell, Stockach und Konstanz gemacht und sei gutachterlich vor Gericht tätig. Gemeint ist damit das Ema-Institut für empirische Marktanalysen mit Sitz in Regensburg. Dass nun manch ein Vertreter der Eigentümerseite Schnappatmung bekomme, habe ihn überrascht, so Häusler, der auch betonte, dass ein Mietspiegel bei aktuell 49.600 Einwohnern in Singen – mit steigender Tendenz – noch freiwillig sei. Ab 50.000 Einwohnern sei er Pflicht. Und noch gebe es einen „nicht unerheblichen finanziellen Zuschuss“.

Kai Feseker, designierter künftiger Chef der Baugenossenschaft Hegau (BGH), erklärte dazu am Rande der Veranstaltung, dass die BGH nicht die Höhe der angesetzten Mieten im Allgemeinen kritisiere, sondern die Bewertung von energetischen Sanierungen in Bestandsbauten.

Passt die zuvor ausgerissene Ecke? Ja, Walafried Schrott (Mitte) hat von Gernot (links) und Wolfram Bohnenberger, besser bekannt als ...
Passt die zuvor ausgerissene Ecke? Ja, Walafried Schrott (Mitte) hat von Gernot (links) und Wolfram Bohnenberger, besser bekannt als Zauberduo Junge Junge, wirklich seinen 50-Euro-Schein zurückbekommen. | Bild: Hanser, Oliver

Ärger über hohe Bürgschaften

Auch die Kassenärztliche Vereinigung Baden-Württemberg (KVBW) nahm das Stadtoberhaupt mit deutlichen Worten ins Visier – und hielt mit seinem Frust nicht hinterm Berg. Anlass ist die Gründung eines Medizinischen Versorgungszentrums (MVZ) mit drei Arztsitzen, für die die KVBW Bürgschaften fordert. Damit sollen etwa Risiken von Abrechnungsfehlern und Falschverordnungen abgesichert werden, ausdrücklich geht es nicht um Kunstfehler. Für jeden Hausarztsitz verlangt die KVBW eine Bürgschaft über einen fünffachen Jahresumsatz zu je etwa 300.000 Euro, also 1,5 Millionen Euro pro Arztsitz. Bei drei Arztsitzen summiert sich dieser Betrag auf 4,5 Millionen Euro.

„Meine Damen und Herren, das kann so nicht sein“, rief Häusler in den Saal, in dem sich einige niedergelassene Mediziner befanden. Und Häusler formulierte das Ärgernis aus Sicht der Stadt: „Wir gehen als Kommune ins Risiko und wollen den Erhalt der hausärztlichen Versorgung in unserer Stadt sicherstellen. Eine Aufgabe, die von der Kassenärztlichen Vereinigung Baden-Württemberg sichergestellt werden müsste, aber nicht wird. Ja, Stuttgart ist halt weit weg.“

Wo ist der Kopf des Bruders hin? Gernot Bohnenberger kann es scheinbar selbst nicht fassen, obwohl er selbst an dem Zauberkunststück mit ...
Wo ist der Kopf des Bruders hin? Gernot Bohnenberger kann es scheinbar selbst nicht fassen, obwohl er selbst an dem Zauberkunststück mit seinem Bruder Wolfram nicht ganz unbeteiligt war. | Bild: Hanser, Oliver

Doch das ist nicht die letzte Quelle von Ärger beim Singener Stadtoberhaupt, wie in der etwa einstündigen Rede deutlich wurde. Fassungslos ist er zum Beispiel darüber, dass die Region an der Schweizer Grenze beim Anschluss an ein Wasserstoff-Kernnetz auf 2040 vertröstet werde. „Das sabotiert die Wettbewerbsfähigkeit von vornherein“, es sei unverständlich und geradezu fahrlässig. Der Bundestagsabgeordnete Andreas Jung (CDU) habe die Stadtverwaltung auf diesen Missstand aufmerksam gemacht.

Aufgaben werden durchgereicht

Auch bei Kinderbetreuung, Integration von Flüchtlingen und kommunaler Wärmeplanung, die nun als Zauberwort für die Wärmewende diene, würden die übergeordneten Ebenen Aufgaben ohne auskömmliche Finanzierung an die Kommunen durchreichen, so der Tenor von Häuslers Rede. Er zählte zahlreiche weitere Themen der nächsten Jahre auf, darunter den geplanten Bau eines neuen Kreiskrankenhauses auf Singener Gebiet, Straßenbau, Neubau der Scheffelhalle, die städtischen Finanzen, 125 Jahre Stadtrechte, das schwierige Umfeld für den Einzelhandel, in dem Karstadt wieder Sorgen bereitet, oder die Umgestaltung der Knöpfleswies.

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Häusler warb dafür, dass Bürger sich zur Kommunalwahl 2024 auf den Listen der demokratischen Parteien und Wählervereinigungen aufstellen lassen. Und er wandte sich an die Wähler: Auch wenn die Stimmung gegenüber der Politik nicht gerade euphorisch sei, eine Denkzettelwahl könne in die Hose gehen.

Hohe Ehrung für Ex-Betriebsratschef Heinrich Holl

Und dann gab der Neujahrsempfang noch den feierlichen Rahmen für eine besondere Ehrung ab. Heinrich Holl, bis zum Ruhestand 2020 langjähriger Betriebsratschef von Constellium, erhielt die Bürgermedaille der Stadt Singen. OB Häusler platzierte diese Ehrung auch als Zeichen des Miteinanders im Hegau, denn Holl lebt im Engener Ortsteil Neuhausen. Und er warf einen Blick auf harte Auseinandersetzungen zwischen Unternehmensleitung einerseits und Belegschaft und IG Metall andererseits, als es zu Beginn des neuen Jahrtausends zweimal um den Abbau hunderter Arbeitsplätze ging. Holl habe den schwierigen Spagat geschafft, die Interessen der Mitarbeiter zu vertreten, aber auch die Wettbewerbsfähigkeit des Unternehmens im Blick zu behalten.

Bürgermedaille für einen Engener, der auch ein Stückweit Singener ist (von links): OB Bernd Häusler, der Geehrte Heinrich Holl und seine ...
Bürgermedaille für einen Engener, der auch ein Stückweit Singener ist (von links): OB Bernd Häusler, der Geehrte Heinrich Holl und seine Ehefrau Eva-Maria. | Bild: Hanser, Oliver

Holl selbst eröffnete seine Dankesrede mit den Worten „Ich bin stolz und fühle mich sehr geehrt.“ Er blickte auf die harten Auseinandersetzungen zurück, als Betriebsrat und Gewerkschaft auch in der Singener Innenstadt mobil machten.

Zudem würdigte er die Rolle der Medien, die das Anliegen in die Öffentlichkeit trugen, und der politischen Amtsträger wie des damaligen Landessozialministers Andreas Renner (CDU) oder des damaligen Bundestagsabgeordneten Hans-Peter Repnik (CDU). Sagen zu können, dass maßgebliche Politiker mit Einfluss involviert sind, habe im Großunternehmen Eindruck gemacht, erinnerte sich Holl an seine Zeit an der Spitze des europäischen Betriebsrats des Konzerns.

Jürgen Waldschütz, CDU-Gemeinderat in Engen, würdigte in einer E-Mail an die Redaktion seinen Engener UWV-Ratskollegen: „Ich freue mich, ihn als Stadtratskollegen im Gemeinderat der Stadt Engen zu haben, und freue mich mit ihm und für ihn für diese hohe Auszeichnung und persönliche Anerkennung.“