Die Gemeindereform hat die einst selbstständigen Orte Steißlingen und Wiechs zusammengeführt. Dabei sei das Dorf Wiechs vor über 50 Jahren eine begehrte Ortschaft gewesen, lautet die Erkenntnis des amtierenden Bürgermeisters Benjamin Mors nach tiefen Studien im Gemeindearchiv. Am Ende haben sich die Wiechser für die Eingemeindung nach Steißlingen entschieden.

Dennoch dauerte es noch drei Jahre, bis erstmals ein gemeinsamer Gemeinderat tagen konnte. Daran hat jetzt eine besondere Ratssitzung im Steißlinger Ortsteil erinnert. Vor Ort wurden nicht nur Entscheidungen für die Zukunft getroffen, sondern auch an die gemeinsame Vergangenheit erinnert.

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Das tatsächliche 50-jährige Jubiläum der Eingemeindung fiel in Steißlingen in die Zeit der Corona-Pandemie. „Da wir damals nicht feiern konnten, haben wir nach einem neuen prägnanten Datum gesucht und es mit der ersten gemeinsamen Gemeinderatssitzung am 21. Mai 1975 gefunden“, erklärte Bürgermeister Benjamin Mors. Und so versammelten sich die Gemeinderäte nun in Wiechs zu einer Gemeinderatssitzung in Erinnerung an die Anfänge. Hoch erfreut war Mors über die vielen Besucher. „So könnte es immer sein“, befand er freudig.

Er verriet, dass man zum Thema Eingemeindung viele Akten im Archiv durchstöbert habe. Neben den offiziellen Vorgaben zur Eingemeindung habe man auch herausgefunden, dass „viele Bürgermeister in geheimer Mission unterwegs waren“. Doch sei Wiechs schon immer in Richtung Steißlingen orientiert gewesen und es sei zudem klar gewesen, dass Wiechs nicht mehr alleine bestehen könne.

Eingemeindung als schwierige Entscheidung

Die Entscheidung sei trotzdem Thema bei Ratsmitgliedern und Bürgern gewesen. „Von 102 Wahlberechtigten gingen dann 78 zur Wahl, von denen entschieden sich 60 für den Zusammenschluss mit Steißlingen“, wusste Mors zu berichten. Am 1. Juli 1972 folgte die formale Eingliederung. Am 20. April 1975 fand schließlich die erste gemeinsame Gemeinderatswahl statt. Noch bis in die 1990er-Jahre sei nach dem Verfahren der unechten Teilortswahl abgestimmt worden. „Wie unnötig manche Bürokratie ist, kann man auch hier gut ablesen“, so Mors. Denn man wollte damit erreichen, dass garantiert ein Wiechser Stimmrecht im Gemeinderat hat. „Heute sind es drei“, erklärt Mors.

Über dreißig Bürger fanden den Weg in die öffentliche Gemeinderatssitzung im Wiechser Rathaus. Eine solche Sitzung ist mit den vielen ...
Über dreißig Bürger fanden den Weg in die öffentliche Gemeinderatssitzung im Wiechser Rathaus. Eine solche Sitzung ist mit den vielen digitalen Medien nicht einfach zu gestalten. Sie fand aber auch bei den Gemeinderäten großen Anklang. | Bild: Susanne Schön

Bei der letzten Wiechser Gemeinderatssitzung vor über 50 Jahren sei eindeutig zum Ausdruck gekommen, dass es sowohl für Ratsmitglieder als auch die Bürger eine der schwersten Entscheidungen war, die jahrhundertealte Selbstständigkeit der Gemeinde Wiechs aufzugeben. Im Rückblick sei es aber kein Fehler gewesen. „Das gemeinsame Miteinander spüren wir noch heute. Die gemeinsame Zusammenarbeit ist eine Erfolgsgeschichte“, betonte der Bürgermeister. Man nehme Wiechser Themen ernst im Steißlinger Gemeinderat. So habe Wiechs mit dem Glasfasernetz nun besseres Internet als Steißlingen. Auch Wiechser Eigenheiten seien erhalten geblieben, wie die starke Landwirtschaft und das lebendige Vereinsleben.

Die Bedeutung der Landwirtschaft fürs Dorf

Da Ortsvorsteher Alexander Fuchs im Urlaub war, übernahm seine Stellvertreterin, Franziska Zimmermann, die Rede aus Sicht der Wiechser. Mit Alexander Fuchs hatte auch sie das Archiv durchforstet. Und ihre Bilanz fiel ebenfalls positiv aus: „Es ist beiden Seiten nicht leicht gefallen und trotzdem war es aus heutiger Sicht sicherlich richtig.“ Wiechs sei nach wie vor stark landwirtschaftlich geprägt. „Wir haben sechs tierhaltende Betriebe von Geflügel über Pferde, Schweine, Milchvieh und Gastronomie, fünf davon im Vollerwerb“, betonte sie.

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Vor 50 Jahren war es den Vertragspartnern wichtig, im Eingemeindungsvertrag festzuschreiben, dass die Landwirtschaft im Ortsteil Wiechs geschützt werden soll. „Ich möchte die Gelegenheit nutzen, uns als Gemeinderat für unsere Zusammenarbeit und Entscheidungen in Erinnerung zu rufen, wie wichtig diese Stelle vor allem für die Wiechser ist“, so Zimmermann.

Schließlich berichtete sie von ein paar Perlen, die sie mit Ortsvorsteher Fuchs aus dem Archiv fischen konnte. So erklärte sie, dass einige Großväter der heutigen Ortschaftsräte damals im Gemeinderat saßen. 1971 wurde in einer Bürgerversammlung das Benehmen Steißlingens gegenüber Wiechs stark bemängelt. Als die Gemeindereform beraten wurde, hätten sich die Anwesenden einstimmig dafür ausgesprochen, „dass abgewartet werden soll, da mit Steißlingen die Wasserfrage zuerst gelöst sein muss.“ Bei der Eingemeindung sei dann erklärt worden: „Die Gemeinde Wiechs bringt ihre Wasserversorgungsanlagen als besonderes Vermögen ein.“

Lebendiger Teil der Gemeinde

Zum Schluss erklärte sie, dass aus der Eingemeindung viel Gutes gewachsen sei und Wiechs nicht untergegangen sei, sondern mitgestalte und ein lebendiger Teil der Gemeinde sei. Sie wünsche sich, dass die Wiechser auch in Zukunft so selbstbewusst und engagiert bleiben und ihren ganz eigenen Charakter einbringen dürfen. „Was wir als kleines Dorf bewegen können, haben wir bei den Narrentagen in diesem Jahr beweisen.“

Auch Alt-Bürgermeister Artur Ostermaier war beim Festakt dabei.
Auch Alt-Bürgermeister Artur Ostermaier war beim Festakt dabei. | Bild: Susanne Schön

Im Anschluss an die Gemeinderatssitzung waren die Besucher zum Stehempfang eingeladen. Im Gespräch tauschten sich nicht nur Steißlinger und Wiechser Gemeinderäte und Bürger aus, auch für Altbürgermeister Artur Ostermaier war der Termin unverzichtbar.