Rehe sind als schöne Tiere mit Bambi-Faktor beliebt. Viele von ihnen leben wild in den Wäldern rund um Stockach. Doch für manch ein anderes Tier sind Rehe vor allem eins: Beute. Und immer wieder sind auch Hunde unter den jagenden Tieren. Dies beobachtet Kreisjägermeister Kurt Kirchmann in diesem Winter vor allem im Gebiet zwischen Stockach und Zoznegg, rund um die Besetze.
"Im letzten Vierteljahr gab es drei gerissene Rehe in diesem Bereich, die man einem Hund zuordnen kann", sagt er, und die Betroffenheit ist ihm anzumerken. Im Bereich rund um die Kreisstraße 6180, die Stockach mit Zoznegg verbindet, sei das Problem groß.
Anfang Januar wurde in diesem Bereich zuletzt ein totes Reh gefunden, bei dem Kirchmann davon ausgeht, dass es von einem Hund gerissen wurde. Fotos von der Stelle zeigen eine Seite der Natur, die keinen Bambi-Faktor hat. Da ist ein unvollständiger Kadaver zu sehen, dem Hals und Kopf fehlen, Blutspuren finden sich im Schnee neben dem toten Tier.
Auf einen Hund als tötendes Tier schließt Kirchmann anhand der Spuren und der typischen Verhaltensweisen anderer tierischer Jäger. Denn ein Wolf fange, wenn er Beute gemacht habe, eher im Bauchbereich des Opfers an zu fressen. Luchse würden an der Keule anfangen zu zehren und Füchse als erstes den Kopf abtrennen. Die massiven Verletzungen an dem Reh-Kadaver will Kirchmann allerdings nicht einem einzelnen Hund zuschreiben: "Daran haben sich sicher noch andere Tiere wie Krähen oder Füchse bedient."
Experten aus Freiburg schließen Wolf und Luchs als jagende Tiere aus
Johannes Erretkamps, Wildtierökologe bei der Forstlichen Versuchsanstalt in Freiburg, unterstützt Kirchmanns Sicht. Welches Tier das Reh tatsächlich getötet hat, könne man nicht mehr mit Bestimmtheit feststellen. Genmaterial, mit dem man dies eindeutig klären könnte, habe es nicht mehr gegeben. Denn dieses müsste man vom Hals entnehmen, wo die "großen Beutegreifer", so der Fachausdruck, ihre Beute tatsächlich töten.
Da der Hals nicht mehr aufzufinden war, ergebe eine solche Untersuchung keinen Sinn. Doch aufgrund der Spuren an dem getöteten Reh geht auch Erretkamps davon aus, dass Wolf und Luchs als Jäger nicht in Frage kommen. Und er sagt: "Es gibt immer wieder Übergriffe durch Hunde."
Kurt Kirchmann beklagt sich in diesem Zusammenhang vor allem über unvernünftige Hundehalter. Schon im Dezember war ein Fall bekannt geworden, bei dem ein Hund einen Sikahirsch getötet hat, der in der Straußen- und Hirschfarm in Airach lebte (siehe Kasten). Im Gebiet zwischen Stockach und Zoznegg, wo nun das tote Tier gefunden wurde, höre er regelmäßig jagende Hunde, sagt Kirchmann.
Viele Hundehalter sind uneinsichtig
Die meisten Hundehalter an dieser Stelle seien indes uneinsichtig, wenn man sie auf das Thema anspreche. Dabei seien jagende Hunde noch aus einem anderen Grund eine Gefahr für das Wild. Denn die Tiere zehren über den Winter größtenteils von Fettreserven, erklärt Kirchmann. Werden sie gejagt, würden diese Reserven zu schnell verbraucht: "Immer wieder gibt es Wildtiere, die den Winter deswegen nicht überleben." Kirchmann appelliert daher, genau wie das Konstanzer Landratsamt, an alle Hundehalter, ihre Haustiere an die Leine zu nehmen – denn der Jagdtrieb breche manchmal eben doch durch.
Eine Leinenpflicht wie im Osterholz bringt Kirchmann ebenfalls ins Spiel. Doch diese im Gebiet um die Besetze zu erlassen, dürfte wenig Erfolg versprechen, sagt Peter Fritschi, Leiter des Stockacher Ordnungsamtes. Für eine solche Verordnung gebe es sicher keine rechtliche Grundlage, sagt er, Gerichte hätten einen Leinenzwang in ähnlichen Fällen schon gekippt. Im Osterholz sei der Leinenzwang möglich, weil es ein Naherholungsgebiet für viele Menschen sei, so Fritschi.
Ansonsten sei es im Wald nur eine Verhaltensregel, den Hund an die Leine zu nehmen. Und Fritschi gibt zu bedenken, dass es auch vorbildliche Hundehalter gebe, die durch einen Leinenzwang mit bestraft würden. Um wirklich etwas auszurichten und Auflagen zu machen, müsste man einen Hund gewissermaßen auf frischer Tat bei der Jagd erwischen und den Halter ermitteln, sagt Kirchmann. Doch dies gelingt offenbar nur selten.
Älterer Fall
Im Dezember hat Ingrid Frick von der Straußen- und Hirschfarm in Airach eines ihrer Tiere tot aufgefunden. Zuvor hatte sie bereits einen Hund dabei ertappt, wie er eines ihrer Tiere verletzte. Frick erstattete Anzeige gegen die Halterin des letzteren Tieres. Auch sie plädierte dafür, Hunde an der Leine zu halten – in ihrem Fall in der Nähe von Tiergehegen. (eph)