So voll wie die Jahnhalle am Mittwochabend bei der SÜDKURIER-Wahlarena war, ist sie vermutlich nur beim Narrengericht. Rund 950 Interessierte verfolgten das Podiumsgespräch mit den fünf Kandidaten für die Bürgermeisterwahl am Sonntag, 15. Oktober. Viele von ihnen sahen einzelne Kandidaten zum ersten Mal und alle erlebten sie erstmals gemeinsam auf einer Bühne.

Die Moderatoren Anna-Maria Schneider, Leiterin der Lokalredaktionen Radolfzell und Stockach, sowie Lokalredakteur Dominique Hahn bohrten bei Yurdagül Coşkun (53, Wuppertal), Rainer Beel (56, Freudenberg), Susen Katter (39, Radolfzell-Liggeringen), Michael Mende (49, Stockach-Raithaslach) und Jayden Stefan Grey (32, Singen) mit Fragen ganz genau nach, wie die Kandidaten ticken.

Der Blick von der Empore auf die Bühne.
Der Blick von der Empore auf die Bühne. | Bild: Hanser, Oliver

Welche Vorbildfunktion hätte eine Bürgermeisterin?

Die beiden Frauen in der Runde erhielten jeweils die Frage, wie sie ihre Vorbildfunktion als möglicherweise erste Frau als Bürgermeisterin im Landkreis Konstanz sehen würden. Coşkun sagte, dass sie die erste Frau mit Migrationshintergrund in Deutschland wäre, die in so eine Position komme. Die Recherche zeigt allerdings, dass es bereits Amtsinhaberinnen mit Migrationshintergrund gibt, zum Beispiel im Jahr 2012 Hatice Kara (SPD) in Timmendorfer Strand (Schleswig-Holstein).

Susen Katter betonte, das Stadtoberhaupt habe immer eine Vorbildfunktion, egal ob Mann oder Frau. Ihr sei es wichtig, zu zeigen, dass der Posten familientauglich sei und man ihn auch als Mutter ausfüllen könne. Sie ist Mutter fünfjähriger Zwillinge und habe glücklicherweise den Rückhalt durch ihren Mann.

Persönliche Fragen schaffen Klarheit

Bei den persönlichen Fragen an die anderen wurde es kontrovers. Coşkun erklärte fragwürdige Facebook-Beiträge – da hatte sie spekuliert, was Gründe sein könnten, wenn jemand sie nicht wählt, und denjenigen mangelndes Politikinteresse oder Diskriminierung vorgeworfen. Mit Verweis auf ihre Herkunft habe sie aber nicht die Türkei, sondern Wuppertal gemeint, erklärte sie auf dem Podium.

Beel sagte zu seiner fehlende Präsenz vor Ort, er sei als Lehrer auf die Ferien angewiesen und habe sich schon für die Wahlarena aufwendig freistellen lassen müssen. Mende erklärte zu seine fehlenden digitalen Präsenz im Wahlkampf, dass es aufgrund seines Berufs an der Zeit mangle.

Grey erläuterte zu den geplatzten Pläne für seine Tierklinik, die wirtschaftliche Lage und die hohen Baupreisen hätten die Umsetzung nicht zugelassen. Dennoch wolle er das Projekt als Bürgermeister weiterverfolgen und alles dafür tun, die Tierklinik zu verwirklichen.

Starke Bekenntnisse zum Krankenhaus

Bei den weiteren Themen waren reihum alle Kandidaten gleichermaßen gefragt. Die erste Frage war: Wie kann das Krankenhaus zukunftsfest gemacht werden? Grey antwortete, er stehe hinter dem Krankenhaus und wolle es mit seinem Leben schützen. Auch Mende sieht es als wichtig an, da es Lebensqualität bringe: „Wir müssen uns dafür einsetzen.“

Michael Mende antwortet den Moderatoren.
Michael Mende antwortet den Moderatoren. | Bild: Hanser, Oliver

Katter verwies auf die Bedeutung für die rund 30.000 Einwohner in der Verwaltungsgemeinschaft, die eine nahe Gesundheitsversorgung im Notfall bräuchten. „Ich werde immer für das Krankenhaus kämpfen“, sagte sie und sprach auch den „beeindruckenden“ Förderverein an.

Susen Katter schildert ihre Sichtweise.
Susen Katter schildert ihre Sichtweise. | Bild: Hanser, Oliver

Rainer Beels Antwort fiel anders aus: „Ich kann das Krankenhaus nicht sichern, aber würde mich dafür stark machen.“ Das Krankenhaus sei nicht dem Bürgermeister oder einzelnen Personen zu verdanken, sondern dem bürgerschaftlichen Engagement und kluger Politik. Bei einem Krankenhausförderverein mit 1500 Mitgliedern habe er keinen Zweifel, dass das Krankenhaus weiter existieren werde.

Yurdagül Coşkun erklärte, auf die Basisversorgung könne nicht verzichtet werden. Sie könnte sich eine Stiftung vorstellen, da das Krankenhaus nicht allein durch den städtischen Haushalt finanziert werden könne. Sie brachte sogar den Gedanken an Investoren auf.

Anna Schneider (rechts) stellt eine Frage und die Kandidaten antworten.
Anna Schneider (rechts) stellt eine Frage und die Kandidaten antworten. | Bild: Hanser, Oliver

Was muss bei der Sanierung der Oberstadt gemacht werden?

Zur Sanierung der Oberstadt und was dabei wichtig wäre, zeigten die Antworten ein breites Spektrum. Mende befürwortete die Vorzugsvariante der Stadtverwaltung mit hunderten Bäumen, Wasserelementen und Verkehrsberuhigung an.

Katter erachtet ebenfalls eine Verkehrsberuhigung als wichtig und mehr Grün, um der Aufheizung entgegenzuwirken. Sie könne sich unter anderem auch ein Jugendcafé vorstellen.

Rainer Beel beantwortet eine Frage.
Rainer Beel beantwortet eine Frage. | Bild: Hanser, Oliver

Beel war beim Verkehr anderer Auffassung, da die Geschäfte auf Parkplätze direkt vor der Tür angewiesen seien. Coşkun ordnete die Begrünung wichtiger ein als eine Verkehrsberuhigung. Ihr sei es zudem ein Anliegen, dass Geschäfte samstags länger geöffnet haben: Nach 13 Uhr stehe man häufig vor geschlossenen Türen.

Grey will sich für eine verkehrsberuhigte Zone einsetzen. Er finde Grün und Wasser zwar toll, im Hinblick auf Trockenheit und das notwendige Gießen hielt er hunderte Bäume aber nicht für realistisch.

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Ideen für besseren Nahverkehr

Was ist beim ÖPNV wichtiger? Bus oder Zug? „Beides“, so Susen Katter. „Stockach hat ein Verkehrsproblem“, sagte sie ganz klar. Eine Idee könne Mobility-on-Demand sein, also Angebote wie Carsharing. Auch regelmäßiger Zugverkehr auf der Strecke der Biberbahn sei eine Chance. Rainer Beel zeigte sich ebenfalls als Befürworter des ÖPNV-Ausbaus nach Meßkirch. Generell müssten die Einwohner sicher mit dem ÖPNV zur Arbeit und nach Hause kommen.

Yurdagül Coşkun plädierte für von der Stadt finanzierte Schulbusse, damit es keine Elterntaxis mehr gebe. Da müsste nur geschaut werden, wie das über den Haushalt finanzierbar sei.

Jayden Stefan Grey erklärt, was er denkt.
Jayden Stefan Grey erklärt, was er denkt. | Bild: Hanser, Oliver

Jayden Stefan Grey sprach die Sonderstellung von Stockach mit zwei Bundesstraßen und einer Landesstraße sowie als touristisches Ziel an. Selbst wenn die Stockacher selbst nicht mehr Auto fahren würden, gäbe es immer den Durchgangsverkehr. Eine Lösung müsse maßgeschneidert sein. Wie diese aussehen könnte, sagte er jedoch nicht.

Michael Mende ist der Ansicht, es brauche eine ordentliche Taktung von Bus und Bahn, damit weniger Autos auf den Straßen fahren.

„Die Veranstaltung war toll moderiert und ist ein tolles Format. Mir war es wichtig, die Kandidaten mal sehen. Ich fühle mich sehr ...
„Die Veranstaltung war toll moderiert und ist ein tolles Format. Mir war es wichtig, die Kandidaten mal sehen. Ich fühle mich sehr in meiner Vermutung für die Wahl bestärkt.“Christine Derschka, Wahlwies | Bild: Hanser, Oliver
„Der Abend war kurzweilig und die Redebeiträge waren gut sortiert. Für mich war die Wahlarena wichtig, weil ich noch keine ...
„Der Abend war kurzweilig und die Redebeiträge waren gut sortiert. Für mich war die Wahlarena wichtig, weil ich noch keine Wahlentscheidung getroffen habe. Aber ich weiß, wenn ich nicht wählen werde.“Gerd Stiefel, Stockach | Bild: Hanser, Oliver

Große Unterschiede bei Wohnen und Gewerbe

Als es um Flächenversieglung in Bezug auf Gewerbe und Wohnen ging, sagte Coşkun, die Stadt habe schon genug Gewerbegebiete, aber brauche mehr sozialen Wohnraum. Greys Ansicht ist, dass es auch sinnvolle Versieglung gibt. Die Stadt brauche sowohl Gewerbeflächen als auch Wohnraum.

Yurdagül Coskun gibt eine Antwort.
Yurdagül Coskun gibt eine Antwort. | Bild: Hanser, Oliver

Mende sagte, die Einwohner hätten verstanden, dass es wichtig sei, nachhaltig und finanzierbar zu bauen. Flächen seien teuer. Katter bezeichnete sich als „eine Freundin der Innenverdichtung“. Gewerbe müsse mit Bedacht weiterentwickelt werden.

Beel dagegen hielt sich vage: Alles müsse in Einklang gebracht werden und nicht alleine der Bürgermeister entscheide.

Der Andrang war so groß, dass nachgestuhlt werden musste.
Der Andrang war so groß, dass nachgestuhlt werden musste. | Bild: Hanser, Oliver

Publikum bohrt bei Oberstadt und Jugend nach

Auf eine Zuschauerfrage von Evelin Lußmann, wie man Fachgeschäfte nach Stockach holen könnte, schlug Coşkun eine Bürgerbeteiligung vor, um den Bedarf zu ermitteln. Beel möchte primär die vorhandenen Geschäfte halten und Katter sagte, mit mehr Aufenthaltsqualität würden die Leute bummeln und in die Läden gehen, es brauche also neue Rahmenbedingungen. Auch Grey will eine Belebung der Oberstadt. Mende wiederholte die Bedeutung von Parkplätzen direkt vor den Geschäften.

Einwohner Max Lohr wollte wissen, wie die Stadt für die Jugend attraktiver werden könnte. Während die anderen wenig konkret waren, nannte Katter die Idee für einen Jugendgemeinderat, um Jugendliche besser einzubeziehen. Beel schloss sich an. Gleichzeitig sagte die 39-Jährige: „Es braucht beide Seiten: Das Angebot zur Beteiligung und das Annehmen.“

„Es war unglaublich hilfreich, die Kandidaten zu erleben. Für mich sind jetzt drei komplett raus. Man kommt an so einem Abend auch ...
„Es war unglaublich hilfreich, die Kandidaten zu erleben. Für mich sind jetzt drei komplett raus. Man kommt an so einem Abend auch in den Austausch und kann Fragen stellen.“Claudia Laucht, Stockach | Bild: Hanser, Oliver
„Ich bin tief berührt von der Resonanz auf die Veranstaltung. Es ist toll, wie viele Leute da waren. Die Konzeption der ...
„Ich bin tief berührt von der Resonanz auf die Veranstaltung. Es ist toll, wie viele Leute da waren. Die Konzeption der Veranstaltung war sehr geeignet, die unterschiedlichen Persönlichkeitsprofile der Kandidaten deutlich werden zu lassen, ganz unabhängig von den Sachaussagen. Eine gute Entscheidungshilfe für die anstehende Wahl.“Manfred Schnopp, Stockach | Bild: Hanser, Oliver

Was, wenn eine Katastrophe passiert?

Interessant wurde es noch, als plötzlich die massiven Unwetterschäden Mitte Juli in Bodman-Ludwigshafen zur Sprache kamen, da dies für den dortigen neuen Bürgermeister Christoph Stolz zwei Wochen nach Amtsantritt direkt zur Feuertaufe geworden war. Die Frage einer Einwohnerin: Wie versiert sind die Kandidaten im Umgang mit Katastropheneinsätzen?

Katter berichtete von Übungen zur afrikanischen Schweinepest und dass sie Feuerwehrübungen angeschaut habe. Beel erklärte, er habe als Oberfeuerwehrmann Einsatzerfahrungen. Coşkun sagte, in Wuppertal gebe es alle zwei Jahre Überschwemmungen und da helfe sie. Grey verwies auf Übungen während seiner Zeit im Polizeireferat Tuttlingen. Mende nannte Rohrbrüche und ständige Rufbereitschaften, die er als Forscher erlebt habe.

In der Jahnhalle verfolgten rund 950 Zuschauer, vielleicht sogar mehr, die Wahlarena.
In der Jahnhalle verfolgten rund 950 Zuschauer, vielleicht sogar mehr, die Wahlarena. | Bild: Hanser, Oliver

Wählen gehen ist wichtig

Jörg-Peter Rau, Mitglied der SÜDKURIER-Chefredaktion, rief am Ende alle auf, zur Wahl zu gehen und ein Zeichen für die Demokratie zu setzen: „Wer nicht wählen geht, überlässt die Wahl anderen.“ Schon am 15. Oktober könnte sich entscheiden, wer nächster Bürgermeister wird, wenn ein Kandidat oder eine Kandidatin die absolute Mehrheit erhält. Ansonsten gibt es drei Wochen später nach neuem Wahlrecht eine Stichwahl zwischen den beiden Erstplatzierten.

Die SÜDKURIER-Wahlarena wurde aufgezeichnet, damit Wähler sich auch nach der Veranstaltungen einen Eindruck aller Kandidaten machen können. Das Video in voller Länge finden Sie hier.