Das Nellenburg Gymnasium (NBG) in Stockach hat eine Besonderheit im Vergleich zu den meisten anderen allgemeinbildenden Gymnasien in Baden-Württemberg: Hier kann man noch das Abitur in 13 Schuljahren machen. An rund 90 Prozent der Schulen gilt seit 2012 das G8, bei dem die Schüler schon nach zwölf Jahren das Abitur in der Tasche haben.
Bisher war das NBG zusammen mit 44 anderen Schulen an einem G9-Modellprojekt beteiligt, das zunächst auf fünf Jahre ausgelegt war und 2017 nochmals um fünf Jahre verlängert wurde. Dabei ging es darum, dass die Schulen neben dem neuen G8 als Wahlmöglichkeit weiterhin das bis dahin gültige G9 anbieten durften.
G9 ist in Stockach sehr gefragt
In Stockach wurde davon rege Gebrauch gemacht. „Es wird bei uns eigentlich immer nur G9 angemeldet, sodass das Nellenburg Gymnasium seit Beginn des Projekts immer ein reines G9 war. Es gab nie einen gemischten Jahrgang mit G8 Schülern“, berichtet Schulleiter Holger Seitz auf Nachfrage des SÜDKURIER.
Das Modellprojekt, das dies ermöglichte, endet jedoch mit dem Schuljahr 2023/2024. Ist dann also in Stockach, zehn Jahre nach dem offiziellen Start, bald G8 angesagt? Der Gemeinderat und die Schulleitung wollen das verhindern. „Verwaltung und Schulleitung sind sich einig, dass sich G9 am Nellenburg Gymnasium bewährt hat und weitergeführt beziehungsweise verstetigt werden soll. Hierfür gibt es viele gute Argumente“, heißt es in einer Sitzungsvorlage, über die der Gemeinderat in seiner jüngsten Sitzung beraten hat.
Persönlichkeitsentwicklung macht einen Sprung
„Ich empfinde das G9 in zweierlei Hinsicht als Bereicherung“, betont Holger Seitz. Zum einen habe er in seiner persönlichen Erfahrung festgestellt, dass beim G9 mehr Schüler an Arbeitsgemeinschaften teilnehmen. „Dadurch, dass weniger Mittagsunterricht stattfindet, haben die Schüler mehr Möglichkeiten, sich selbstbestimmt weiterzuentwickeln in Bereichen, die ihnen liegen“, so Seitz.
Zum anderen habe er immer wieder beobachtet, dass die Schüler zwischen Kursstufe eins und zwei, also zwischen den Klassen 12 und 13 einen enormen Persönlichkeitssprung machen. „Mit den Schülern in der 13. Klasse ist ein noch viel vertiefenderes Arbeiten möglich als mit den jüngeren Schülern“, sagt Seitz. Dieser Persönlichkeitssprung sei auch wichtig im Hinblick auf die Berufs- und Studienwahl.
Mehr Studienabbrüche
Laut Seitz beklagen viele Universitäten seit der Einführung von G8 mehr Studienwechsel und –abbrüche. Für Seitz besteht hier ein klarer Zusammenhang damit, dass den Schülern im G8 weniger Zeit für die Persönlichkeitsentwicklung bleibt. Ein weiteres Argument, das für das G9 sprechen mag: Einige andere Bundesländer wie beispielsweise Niedersachsen, Bayern und Nordrhein-Westfalen sind zum Teil schon wenige Jahre nach der Einführung von G8 wieder zum G9-System zurückgekehrt.
Baden-Württemberg ist neben den Stadtstaaten Hamburg und Bremen eines der wenigen Bundesländer, in denen G8 noch der Regelfall ist. Auch im Saarland ist G8 derzeit noch der Regelfall, allerdings soll dort zum neuen Schuljahr wieder die Rückkehr zum G9-System erfolgen.

Darauf verwies auch Stadträtin Claudia Weber-Bastong (SPD), selbst Lehrerin am NBG, in der Diskussion im Gemeinderat. „Wir sind froh, dass sich die Stadt für unser G9 einsetzt“, betonte sie. Weber-Bastong wertete es als großen Vorteil, dass die G9-Schüler nachmittags mehr Zeit für Vereine und andere Aktivitäten haben.
Wie die Chancen dafür stehen, dass am NBG das G9 weiterhin als Option angeboten wird, nachdem der ursprüngliche Modellversuch ausgelaufen ist, das kann Schulleiter Holger Seitz nicht abschätzen. „Aber ich wünsche es mir für die Schule“, sagt er. „Den Schülern geht es damit gut.“
Stadt soll auf Kultusministerium zugehen
Da sich das Land bislang noch nicht offiziell zur Fortführung der G9-Projekte geäußert hat, hat der Gemeinderat in seiner jüngsten Sitzung beschlossen, dass die Stadtverwaltung proaktiv auf das Kultusministerium zugehen soll, um zu bewirken, dass das G9 am NBG über den Zeitraum des Schulversuchs hinaus etabliert werden kann.
Bürgermeister Rainer Stolz ist guten Mutes, dass das Kultusministerium die G9-Genehmigung verlängern wird. „Wenn ich im Koalitionsvertrag lese, dass nichts an der Schulstruktur geändert werden soll, bin ich optimistisch, was unser Ansinnen anbelangt“, betonte er in der Gemeinderatssitzung.