Es ist ein Kontakt, der auch in Kriegszeiten besteht: Seit 2008 pflegt das Nellenburg-Gymnasium Stockach einen regelmäßigen Austausch mit seiner Partnerschule in Lwiw in der Ukraine. Trotz der derzeitigen Krise im eigenen Land kamen kürzlich neun Jugendliche zwischen 15 und 17 Jahren mit Begleitpersonen nach Stockach. Sie gingen mit ihren deutschen Austauschpartnern zur Schule und beschäftigten sich außerdem gemeinsam mit einem Projekt. Mittlerweile sind die Jugendlichen wieder abgereist – die Eindrücke wirken aber noch nach.
Schüler arbeiten gemeinsam an einem Projekt
Claudia Weber-Bastong betreut den Austausch seit 2010. Dafür meldet sie das geplante Projekt beim Pädagogischen Austauschdienst an, der dieses genehmigen muss. Der Austausch wird immer von Deutschland aus initiiert. „Für unsere Schüler ist es ein Kulturaustausch, für die Ukrainer ein Sprachaustausch“, erklärt sie. Am Ende dieser Austausch-Aktion stehe die Präsentation des gewählten Projekts.
Drei ukrainisch-deutsche Gruppen beschäftigten sich dafür in diesem Jahr mit den Themen Miró, Imperia in Konstanz und Skulpturen und Kunstgrenze zwischen Konstanz und Kreuzlingen. Neben dem Besuch der Miró-Ausstellung im Alten Forstamt und einer Besichtigung in Konstanz erarbeiteten die Schüler erste theatrale Mittel. Später machten sie mit Hilfe von Lehrerin Martina Hartmann Erfahrungen mit performativem und postdramatischem Theater, denn die Präsentation der Arbeitsergebnisse sollte nicht nur vorgetragen, sondern gespielt und gestaltet werden. Als Zuhörer waren die Mitschüler und Gasteltern eingeladen. Auch Bürgermeister Rainer Stolz und die stellvertretende Schulleiterin Ina Ratzke nahmen teil.
„Mit Pech hätten die Kinder nicht mehr heimgekonnt“
Die Austauschpartner hatten sich vor dem Besuch schon digital kennengelernt. Zuvor hatten die deutschen Teilnehmer Steckbriefe nach Lwiw geschickt. „Die stellen dort Paare zusammen. Normalerweise kommt ein Schüler in eine deutsche Familie, aber eine unserer Schülerinnen hatte zwei Gäste, das sind Zwillinge“, sagt Claudia Weber-Bastong. Sie betont, dass in der aktuellen Lage bei den ukrainischen Familien eine große Sorge mitgeschwungen habe. „Mit Pech hätten die Kinder nicht mehr heimgekonnt.“
Doch alle wollten zurück und freuten sich auf ihre Eltern und Geschwister. Der Krieg in ihrem Heimatland blieb aber auch hier in ihren Köpfen. „Wir haben das Thema eher gemieden“, erzählt Nuria Gasch. Mitschülerin Cora Senn ergänzt: „Meine Partnerin wollte das Thema wechseln, wenn wir auf den Krieg kamen. Sie hat sich bedankt, dass sie ihre Ängste kurz vergessen konnte.“ Gespräche seien mit den Ukrainern viel einfacher als beispielsweise mit den Franzosen, weil sie so gut Deutsch sprächen. In der Partnerschule lernen die Schüler Deutsch als erste Fremdsprache bereits intensiv ab der ersten Klasse. „Ihr Abitur machen sie auf C1-Niveau in deutscher Sprache. Viele gehen danach zum Studieren ins europäische Ausland“, teilt Claudia Weber-Bastong mit.
Russische Angriffe per App verfolgt
Antonia Zander war aufgefallen, dass, sobald ein Flugzeug am Himmel erschien, alle Blicke der Ukrainer nach oben gingen und sie während eines Gewitters ziemlich zusammenzuckten. „Aber die Lehrer waren noch viel belasteter. Sie hatten eine App auf dem Handy und konnten sehen, von wo gerade ein russischer Angriff kam und wie viel Zeit den Menschen blieb, um Schutzräume aufzusuchen.“
Claudia Weber-Bastong verrät, sie habe mit den ukrainischen Lehrern heiße politische Diskussionen darüber geführt, warum Deutschland so spät geholfen habe und warum so lange über, aber nicht mit der Ukraine gesprochen worden war.
Schüler können die Zeit trotzdem genießen
Dennoch hätten alle die Tage hier genossen. Cora Senn fand das Picknicken am See in Ludwigshafen mit allen besonders toll, Johanna Gräsele erinnert sich gerne an den gemeinsamen Kinobesuch. Antonia Zander fand es interessant, die ukrainischen Schüler kennenzulernen. „Die sind wahnsinnig ehrgeizig“, sagt sie. Die Gymnasiastin bedauert, dass ein Gegenbesuch in der Ukraine nicht stattfinden wird. Die Schüler könnten sich hoffentlich irgendwann privat treffen, sagt Claudia Weber-Bastong. „Viele der deutsch-ukrainischen Kontakte halten lange Zeit.“