Der 26. Oktober 1957 ist Charlotte Blank bis heute im Gedächtnis geblieben, obwohl sie damals erst acht Jahre alt war. „Das war ein Samstagnachmittag. Da hat meine Mutter immer die Buchführung der Firma gemacht und ich saß mit ihr im Büro“, erzählt die heute 73-Jährige. Von dort habe sie direkt auf das sogenannte Maschinenhaus der ehemaligen Gerberei ihrer Familie, gelegen an der heutigen Kreuzung Dillstraße und Am Osterholz, gesehen. „Wir saßen da, plötzlich gab es einen unglaublichen Schlag und gegenüber brannte es“, berichtet Charlotte Blank.

Sie und ihre Mutter seien sofort rausgerannt. „Ich erinnere mich nur an eine Gestalt, die brennend auf uns zukam. Meine Mutter hat geschrien: ‚Hermann, Hermann.‘ Ich selbst bin sofort weggelaufen“, erinnert sie sich an den Moment, als sie ihren Vater Hermann Blank aus dem brennenden Haus flüchten sah. 66 Jahre später wird nun auch das Wohnhaus, das den Brand einst überstand, abgerissen.
Was ist am 26. Oktober 1957 passiert?
Der SÜDKURIER berichtete damals über das Unglück, das sich auf dem dicht bebauten Grundstück der Familie Blank ereignete. Demnach hatte der 57-jährige Firmeninhaber Hermann Blank gemeinsam mit seinem Freund und ehemaligen Mitarbeiter Johann Mayer, 74, im Maschinenhaus der ehemaligen Gerberei gearbeitet, während drei Schrotthändlern aus Singen – der 35-jährige Giovanni Gaspare sowie Nikolaus und Wilhelm Zepf – an einem eisernen Behälter schweißten. Plötzlich habe es eine Stichflamme bis weit über das Gebäude hinaus gegeben.

Die Gewerbeaufsicht sprach danach von Unverantwortlichkeit und Fahrlässigkeit der Beteiligten. Denn ein Funke vom Schweißen hatte einen Jutesack mit Filmabfällen in Brand gesetzt, die Hermann Blank zur Herstellung eines Klebers für Schuhe nutzte. Denn nach dem Zweiten Weltkrieg hatte er die Gerberei aufgegeben und produzierte nun Schuhmacherbedarf. Dabei sei ein hochexplosives Gas entstanden, das die Explosion auslöste.
„Lebende Fackeln“ rennen aus dem Gebäude
Die Männer seien laut Zeitungsberichten als „lebende Fackeln“ aus dem Gebäude gerannt. Laut Stockacher Anzeiger seien sogar Passanten stehen geblieben, als die brennenden Gestalten aus dem Maschinenhaus gerannt kamen und sich unter Schmerzen auf der Erde wälzten. Einer sei in seiner Verzweiflung sogar in die Aach gesprungen.

Wenig später habe es eine zweite Explosion gegeben, diesmal durch die Gasflasche vom Schweißen. Zu diesem Zeitpunkt sei bereits die Freiwillige Feuerwehr vor Ort gewesen, die ein Übergreifen des Feuers auf die danebenliegende Garage habe verhindern können.
Die fünf Schwerverletzten, laut damaligen Berichten bis zur Unkenntlichkeit verunstaltet und bei vollem Bewusstsein, seien zwar ins Stockacher Krankenhaus gekommen. Doch lediglich Wilhelm Zepf überlebte, die anderen vier starben noch in der ersten Nacht an ihren Verbrennungen.
Charlotte Blank flüchtet zu Nachbarn
Charlotte Blank bekam das alles nicht mehr mit. Sie habe sich nach dem Anblick ihres brennenden Vaters hinter der gegenüber liegenden Gärtnerei versteckt. Da ihr das angesichts des Feuers aber nicht länger sicher vorgekommen sei, sei sie dann den Württembergerhofweg hochgelaufen – bis zum ersten Haus auf der rechten Seite, in dem damals eine Familie wohnte, mit deren Sohn sie zur Schule ging. „Wie ich wieder nach Hause gekommen bin, weiß ich nicht mehr. Aber am Abend kam meine Großmutter aus Konstanz und hat mich abgeholt. Dort war ich bis Dienstag“, erzählt Blank weiter.

Schon am Mittwoch sei sie wieder in die Schule gegangen. „Da haben meine Mitschüler mich natürlich etwas merkwürdig angeguckt. Aber wir hatten eine sehr nette Klassenlehrerin, Frau Wieczorek. Die hat sich neben mich gesetzt und mich in den Arm genommen. Und da habe ich natürlich losgeheult“, erzählt die damals Achtjährige viele Jahrzehnte später.
Schwerstes Unglück seit den Bomben 1945
Die Folgen des Unglücks wirkten in Stockach noch lange nach. Der Stockacher Stadtarchivar Johannes Waldschütz berichtet: „Der Unfall hat die Stadt aufgewühlt. Das war Gesprächsthema und etwas absolut Außergewöhnliches.“ Der Vergleich als „schwerstes Unglück seit den Bombenangriffen 1945“ damals durch den Stockacher Anzeiger sei laut Waldschütz eine „gute Einordnung“.

Hinzu sei die Bekanntheit von Hermann Blank gekommen. „Er wird als ein bekannter und geachteter Stockacher Bürger beschrieben“, sagt der Stadtarchivar. Der am 2. März 1900 geborene Blank habe als Förderer der Turngemeinde gegolten, war zeitweise Vorsitzender des Obstbauvereins und Mitglied des Narrengerichts. „In den letzten Kriegsjahren hat er vermutlich sogar versucht, lokal den Nazis etwas entgegenzusetzen. Auch deshalb galt er den Franzosen nach dem Krieg als unbedenklich und wurde in den ersten Stockacher Gemeinderat eingesetzt“, berichtet Waldschütz aus Archivmaterial.
Folglich sind zu seiner Beisetzung auf dem Loretto-Friedhof ungewöhnlich viele Gäste gekommen, berichtete der SÜDURIER damals. Auch der damalige Bürgermeister Alois Deufel bekundete sein Beileid.

Charlotte Blank erinnert sich noch an die Zeit nach dem Unglückstag: „Der Brand war danach Stadtgespräch.“ Mit ihrer Mutter hat sie damals aber wohl nicht mehr darüber geredet – diese „hatte wahrscheinlich andere Sorgen und keine Zeit, viel nachzudenken“, vermutet Blank.
Da Hermann Blank selbstständig gewesen war, habe er keine Rentenversicherung gehabt. Finanziell sei die Situation für seine Frau, welche die Firma nach dem Unglück aufgeben musste, daher schwer gewesen. „Wie meine Mutter das alles geschafft hat, weiß ich nicht genau. Sie hat angefangen, in der Gärtnerei zu arbeiten. Aber vermutlich hat meine Großmutter aus Konstanz auch ausgeholfen“, sagt Charlotte Blank.
Haus wird abgerissen: „Ich habe abgeschlossen damit“
Vergangene Woche wurde auf dem Gelände nun das ehemalige Wohnhaus, das den Brand 1957 überstand und in dem Charlotte Blanks Mutter bis 2016 noch lebte, für den Aachpark abgerissen. Was löst das in ihr aus? Kommen Erinnerungen an das Unglück hoch? „Als ich davon gehört habe, fand ich es zuerst schade. Ich dachte, es gibt mir einen Stich ins Herz. Aber inzwischen wundere ich mich, wie kühl ich das sehe“, antwortet sie.
Das Gebäude hatte wegen des moorigen Untergrunds und der Erschütterungen durch den zunehmenden Lastwagen-Verkehr auf der Dillstraße ohnehin Risse gehabt und wäre beim nächsten Erdbeben vermutlich eingestürzt.
Und auch über den Brand zu sprechen, habe sie sich schwieriger vorgestellt. „Ich dachte, ich würde emotionaler sein. Ich habe meinen Vater als äußerst freundlichen Vater in Erinnerung. Ich habe ihn sehr gemocht. Aber es ist alles sehr lange her. Ich habe abgeschlossen damit“, sagt Blank. Sie ist nach dem Tod ihres Mannes vor zehn Jahren nach Stockach zurückgekehrt und wohnt nun ganz in der Nähe der Dillstraße.