„Wollen Sie einen Kaffee, oder fangen wir direkt an zu arbeiten?“, fragt Franz Ziwey den SÜDKURIER-Redakteur bei dessen Besuch zum Gespräch über den anstehenden Geburtstag und macht damit gleich deutlich: Er ist auch in seinem Alter noch fit und voller Tatendrang.
Am 14. Dezember wird der Stockacher Altbürgermeister 90 Jahre. Der Stadt, der er drei Amtszeiten als Bürgermeister gedient hat, ist er bis heute treu geblieben. Doch so stetig wie sein Leben in den vergangenen 50 Jahren gewesen ist, war es nicht immer.
Er ist im Weltkrieg aufgewachsen
Geboren wurde Ziwey nämlich am 14. Dezember 1932 in Stefansfeld im Banat. Das ist eine historische Region in Südosteuropa, die heute in den Staaten Rumänien, Serbien und Ungarn liegt. Seine Eltern waren Landwirte. Fast zeitgleich mit dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs wurde der kleine Franz im Herbst 1939 eingeschult. Während den Kriegsjahren absolvierte er seine Grundschulzeit und konnte danach noch ein Jahr lang eine weiterführende Schule besuchen.
Doch „dann kamen die Russen“, erinnert sich Ziwey. Unmittelbar nach dem Einmarsch der Roten Armee wurden die Deutschen aus dem ganzen Ort zusammengezogen und in einem einzigen Straßenzug einquartiert. Die Höfe und Häuser wurden enteignet und an Serben vergeben.
Wenig später ging es für Ziwey, seine Mutter und seinen Bruder weiter in ein zentrales Internierungslager nach Molidorf. „Dort mussten wir auf einer Decke auf dem Erdboden schlafen. Sie können sich nicht vorstellen, wie bitterarm wir in dieser Zeit waren“, sagt Ziwey.
Kinder mussten betteln gehen
Mehrere Jahre lebte die Familie in Lagern. Franz Ziwey erinnert sich noch gut daran, wie er zusammen mit gleichaltrigen Jungen ausgebüxt ist, um in Dörfern jenseits der ungarischen Grenze betteln zu gehen. Bis heute kann er noch einen einzigen Satz auf Ungarisch: „Bitte ein Stückchen Brot.“
Als das Lager 1947 aufgelöst wurde, musste Familie Ziwey, inzwischen mit dem Vater aus der Kriegsgefangenschaft wieder vereint, zusehen, wo sie unterkommen kann. Weitestgehend zu Fuß sei es von der ungarischen Grenze zunächst nach Österreich gegangen und von dort dann nach einiger Zeit mit dem Zug nach Deutschland – in die Region, aus der einst ihre Vorfahren ausgewandert waren: Über Bahlingen kamen sie schließlich nach Spaichingen.
„Wir waren die ersten Heimatvertriebenen in Spaichingen“, erzählt Ziwey. Dort konnte er endlich das Progymnasium abschließen. Von den anderen Schülern sei er aber seltsam angeschaut worden, auch wegen seiner angeborene Hüftgelenksverrenkung. Davon ließ er sich aber nicht beirren.
Zur Ausbildung ist er nicht erschienen
Nach dem Abitur wollte Ziwey die Inspektorenlaufbahn im Spaichinger Rathaus einschlagen. Doch weil lange keine Rückmeldung auf seine Bewerbung kam, bewarb er sich noch um eine kaufmännische Ausbildung in einem Möbelhaus. „Und ich sage Ihnen, das Leben ist Schicksal“, betont Ziwey mit feierlicher Stimme. Denn anstatt seinen ersten Arbeitstag im Möbelhaus anzutreten, ging er ins Rathaus, um nachzufragen, was mit der Rückmeldung auf seine Bewerbung passiert war. Und siehe da: Die Zusage lag vor.
Nach der Ausbildung und einer Zwischenstation im Landratsamt Rottweil, kehrte Ziwey 1964 zur Stadtverwaltung Spaichingen zurück. Dort hatte sich bei der Bürgermeisterwahl gerade der 25-jährige Erwin Teufel gegen „gestandene Leut“ durchgesetzt. Bis 1969 blieb Ziwey Kämmerer unter dem späteren Ministerpräsidenten. Als absehbar geworden sei, dass dieser in die höhere Politik gehen wollte, warf auch Ziwey seinen Hut im Rennen um den Chefsessel des Stockacher Rathauses in den Ring.

„Damals war Stockach mit 7000 Einwohnern die kleinste Kreisstadt in Baden-Württemberg. Das hat mir imponiert“, sagt Ziwey. Sieben Kandidaten traten an. Ziwey und Erwin Kästle, der Kandidat der CDU, landeten auf den Spitzenplätzen und stellten sich dem zweiten Wahlgang. „Da war ich mir schon sicher, dass ich das Rennen machen, denn alle, die nicht die CDU wollten, würden mich wählen.“
In Stockach begann „ein völlig neuer Abschnitt“
Als Franz Ziwey am 5. Dezember 1969 sein Amt in Stockach antrat, begann nicht nur für ihn „ein völlig neuer Abschnitt“. Mit der Verwaltungs-, Gemeinde-, und Kreisreform war in Baden-Württemberg gerade einiges im Umbruch. Stockach verlor seinen offiziellen Status als Kreisstadt, dafür wurden ab 1971 insgesamt zehn kleinere Orte eingemeindet und die Verwaltungsgemeinschaft gegründet.
Doch in seinen drei Amtszeiten sollten viele weitere Mammutprojekte auf Ziwey zukommen. „Anfang der 70er Jahre habe ich den größten Bebauungsplan für Wohnbau erstellen lassen“, berichtet er. 30 Hektar umfasst das Gebiet nördlich der Oberstadt, in dem auch der Bürgermeister sein Haus baute, das er bis heute bewohnt. Die schöne Aussicht über Stockach, bei schönem Wetter bis zu den Alpen, fasziniert ihn noch heute, erzählt er beim Blick aus dem großen Wohnzimmerfenster.
Er zeigt sich als Mann mit Weitblick
Weitblick bewies Ziwey auch, als er das Gelände des alten Kieswerks Hardt für die Stadt erwarb, um ein Gewerbegebiet zu realisieren. Eines der ersten Unternehmen, die er dort ansiedeln konnte, war die heutige ETO-Gruppe. Arbeitsplätze in der Stadt zu sichern, das war auch sein Anliegen, als die Firma Fahr sich aus Stockach zurückzog. Für die Übernahme des riesigen Geländes konnte Ziwey die Firma Rival gewinnen.
Ein bisschen Stolz schwingt in Ziweys Stimme mit, als er von den Firmenansiedlungen erzählt. Stolz ist er aber auch auf die Gründung der Städtepartnerschaft mit La Roche sur Foron. Den Kontakt in die dortige Region hat er aus seiner Zeit aus Spaichingen mitgebracht.

Nach 24 Jahren war dann aber Schluss. „Ich wollte keine vierte Amtszeit machen.“ Im Jahr 1993 folgte ihm Rainer Stolz nach. Und auf seinen Nachfolger lässt Ziwey nichts kommen. „Er und sein Gemeinderat haben die wirtschaftliche Entwicklung mit Nachdruck und Erfolg weiter betrieben. Darüber bin ich sehr froh“, sagt Ziwey. Er ist auch im hohen Alter noch immer bestens informiert und nimmt pro Woche zwei bis drei Termine wahr.
Uraltbürgermeister will er nicht werden
Nach dem Bürgermeister-Ruhestand hat Ziwey Unternehmen beraten. Aus der Stockacher Kommunalpolitik hat er sich aber herausgehalten. Nur einmal hat er sich eingemischt: „Ich habe Rainer Stolz gebeten, für eine vierte Amtszeit anzutreten, denn wenn er nicht mehr antritt wird er Altbürgermeister. Dann wäre ich ja Uraltbürgermeister“, scherzt Ziwey.

Der Kaffee, der während des gesamten Gesprächs vor ihm gestanden hat, ist inzwischen kalt geworden. Die Arbeit geht halt doch vor. Auch mit 90 Jahren. Vielleicht ist das mit ein Geheimnis, warum sich der Altbürgermeister bis heute noch so fit fühlt. Ans Kürzertreten denkt er jedenfalls nicht. Die große Geburtstagsfeier mit seiner Frau ist im kommenden Frühjahr geplant. „Wir feiern dann zusammen unsern 160er“, sagt Ziwey mit einem verschmitzten Lächeln.