Sieben Bewerber, zwei Wahlgänge und ein riesiger Menschenauflauf: Franz Ziwey setzte sich am 2. November 1969 als neuer Bürgermeister und Nachfolger von Alois Deufel durch. Der heute 85-Jährige war 24 Jahre lang das Stockacher Stadtoberhaupt. Er ist heute einer von zwei noch lebenden Ehrenbürgern, bei vielen Veranstaltungen präsent und hoch angesehen.
Ziwey wurde im Jahr 1932 in Stefansfeld (Banat) geboren und musste im Jahr 1947 mit seiner Familie nach Österreich fliehen, nachdem er mehrere Jahre in einem Konzentrationslager im heute ehemaligen Jugoslawien gewesen war. Später kam er nach Deutschland und ging 1949 in Spaichingen zur Schule. Er sei einer der ersten Flüchtlinge in Spaichingen gewesen, erzählt er. Ziwey besuchte das Progymnasium und wurde bei der Stadt Lehrling für die Inspektorenlaufbahn. Er war 1969 unter Bürgermeister Erwin Teufel (späterer Ministerpräsident) Stadtkämmerer in Spaichingen, als er sich spontan entschloss, sich in Stockach als Bürgermeister zu bewerben. Teufel brachte Ziwey auf die Idee, als er über seine eigenen Ambitionen sprach.

Franz Ziwey kannte Stockach bis dahin kaum. Er habe nur gewusst, dass es eine Gießerei, Schiesser und das Umspannwerk des Badenwerks gab. "Ich habe mir Stockach dann angeschaut", erzählt der 85-Jährige. "Ich bin zum SÜDKURIER gegangen und habe mir alle Zeitungen von 1969 angesehen." Nachdem er sich dann beim amtierenden Bürgermeister Alois Deufel erkundigt habe, ob jemand aus der Verwaltung kandidiere, habe er gesagt: "Also gut, ich bewerbe mich."
Paula, seine erste Frau, und die Kinder seien von der Entscheidung nicht gerade begeistert gewesen. "Wir hatten erst zwei Jahre vorher ein Einfamilienhaus in bester Lage in Spaichingen gebaut", erzählt Ziwey. Seine Frau wäre sicher froh gewesen, wenn es nicht geklappt hätte, sagt er.
Ziwey gab seine Bewerbung als erster ab. Der zweite Bewerber war Erwin Kästle (CDU), der zu diesem Zeitpunkt Bürgermeister von Dotternhausen war. Später kamen fünf weitere Bewerber. Eigentlich sogar sechs, doch einer zog wieder zurück, wie der SÜDKURIER Anfang Oktober 1969 berichtete. Im Wahlkampf, der kein Vergleich zu den heutigen ist, hatte der damals 36-jährige Parteilose keine Helfer in Stockach. Er habe ein einziges großes Wahlplakat aufgestellt. Dabei halfen ihm ein paar Spaichinger. Ziwey machte verschiedene Wahlveranstaltungen, eine davon mit Lautsprecher. Er stellte sich abends beim Gemeinderat, der Sparkasse und dem Narrengericht vor. Es sei anstrengend gewesen, da er tagsüber in Spaichingen gearbeitet hatte.
"Ich dachte mir, dass es bei so vielen Kandidaten sicher einen zweiten Wahlgang gibt", erinnert sich Ziwey zurück. Und so kam es auch. Er lag im ersten Wahlgang am 19. Oktober 1969 an zweiter Stelle hinter Erwin Kästle (siehe Infoteil). Keiner hatte die nötige Mehrheit und am 2. November folgte der zweite Wahlgang. "Mir war klar, dass ich mit Sicherheit gewinne", sagt Ziwey. "CDU wählt CDU, aber die anderen nicht." Er wurde mit einem Vorsprung von 150 Stimmen der neue Bürgermeister von Stockach, das damals rund 6500 Einwohner hatte.
Nach der Wahl berichtete der SÜDKURIER so: „Gestern Abend war die Hauptstraße vor dem Rathaus und vor der SÜDKURIER-Geschäftsstelle von einer riesigen Menschenmasse blockiert. Gegen 20 Uhr stellte Dr. Deufel vor dem mit Scheinwerfern angestrahlten Rathauseingang der Bevölkerung offiziell seinen Nachfolger vor. Unter dem Jubel der Menge beglückwünschte er ihn im Namen der Stadt zu dem überzeugenden Wahlsieg und übermittelte ihm zugleich auch die Glückwünsche des unterlegenen Mitbewerbers.“ Allerdings musste Ziwey erst nach Stockach fahren, als er vom Ergebnis erfuhr. Er sei nicht dort gewesen, als es bekannt gegeben wurde, erzählt er. "Ich hab gesagt, die wissen, wo sie mich erreichen, wenn ich gewählt werde." Er fuhr dann nach Stockach und war 30 Minuten später da, während die Menge auf ihn wartete. Die Stadtkapelle spielte ein Ständchen für den neuen Bürgermeister, der eine Rede hielt. Mitbewerber Erwin Kästle sagte laut einem Artikel vom 4. November 1969, dass er Ziwey den Erfolg gönne. Seine Gemeinde Dotternhausen freute sich, dass er dort als Bürgermeister erhalten blieb.

Die Amtseinführung war am 3. Dezember 1969 und Franz Ziwey wohnte anfangs in einem Zimmer im Hotel "Zum Goldenen Ochsen". Zum Schuljahrsbeginn 1970/71 zog dann die ganze Familie in eine Mietwohnung und 1974 in einen Neubau. In Ziweys ersten Dienstjahren bahnten sich die Gemeindereform sowie die Kreisreform an. "Mir war schnell klar, dass es den Landkreis Stockach nicht mehr geben wird. Mir war klar, dass wir uns so rasch wie möglich nach Konstanz orientieren sollten", sagt er über die damalige Zeit. Ziwey war bis 1993 Bürgermeister und hatte in den 1970er-Jahren großen Anteil an der Entstehung der Städtepartnerschaft mit La Roche. Nach drei Amtszeiten entschied er sich, in den Ruhestand zu gehen. Sein Nachfolger wurde und ist heute noch Rainer Stolz. Ziwey war außerdem noch bis 1999 Mitglied im Kreistag für die Freien Wähler.
So lief die Bürgermeisterwahl im Jahr 1969
- Erster Wahlgang: Am 19. Oktober 1969 war der erste Wahlgang, doch keiner der sieben Kandidaten konnte sich durchsetzen. Der SÜDKURIER berichtete damals, dass von den 3788 Wahlberechtigten in der Stadt 3091 ihre Stimmen (davon 3064 gültige) in den vier Wahllokalen abgaben. Am Sonntagabend war ein Riesenandrang an der SÜDKURIER-Geschäftsstelle, als die Wahlergebnisse ausgehängt wurden. Es gab auch ein Sonderblatt, das wenig später in Gaststätten und auf der Straße verteilt wurde. Der 31-jährige Bewerber Erwin Kästle, der zu diesem Zeitpunkt Bürgermeister von Dotternhausen war, erhielt 1084 Stimmen und der 36-jährige Spaichinger Stadtkämmerer Franz Ziwey bekam 929 Stimmen. Die anderen Kandidaten lagen weiter darunter. Für den Drittplatzierten Heinrich Struckat, den einzigen Kandidaten aus Stockach, stimmten 412 Bürger. Der SÜDKURIER schrieb von einem „Wahlkampf, wie ihn Stockach noch nicht erlebt hat“. Es hatte 25 Wahlversammlungen, Zeitungsanzeigen, Flugblätter, Plakate, Handzettel und Lautsprecherwerbung gegeben.
- Zweiter Wahlgang: Da keiner der Kandidaten die erforderliche Mehrheit hatte, gab es einen zweiten Wahlgang am 2. November 1969. Bereits nach dem 19. Oktober hatte Erwin Kästle dem SÜDKURIER gesagt, er glaube, dass er seinen Vorsprung behaupten könne. Bei der Wahl kam es dann aber anders: Franz Ziwey gewann mit 150 Stimmen Vorsprung. Für ihn stimmten 1660 Wahlberechtigte, für Kästle gab es 1408 Stimmen. (löf)