Stockach – Ob es wohl Absicht der Veranstalter der Stockacher Meisterkonzerte war, diesen „Klavierlegenden“ titulierten Konzertabend am Tag nach dem 175. Todestag Frédéric Chopins stattfinden zu lassen? Oder ob es Zufall war, dass Yuna Nakagawa, eine vielfach preisgekrönte, mit ihren 25 Jahren noch junge, hochbegabte Pianistin, ausgerechnet an diesem nebligen Herbstabend dem Ruf des Vorsitzenden der Südwestdeutschen Mozartgesellschaft, Georg Mais, sowie von Corinna Bruggaier, in Vertretung des Kulturamts der Stadt Stockach, in deren Oberstadt gefolgt war?
Warum auch immer – das von Nakagawa gespielte Programm dürfte den an diesem Abend erschienenen Meisterkonzert-Abonnenten und Klassik-Begeisterten Herz und Seele gestreichelt haben. Und auch Chopin höchstpersönlich hätte wohl Nakagawas Spielkunst und Musikalität gefeiert. Denn nicht nur waren es größtenteils Chopins Kompositionen, die das von Mais und Nakagawa zusammengestellte Programm füllten. Sondern es war mit Yuna Nakagawa, die erst im Jahr 2023 den ersten Platz beim Chopin-Wettbewerb in Hannover gewonnen hat, eine bedeutende Chopin-Interpretin nach Stockach geholt worden.
Glück und Glückseligkeit waren es dann auch, die oft aus dem Gesicht der Pianistin strahlten, wenn sie beim Spiel die Klänge innerlich mitlebte. Jede noch so feine, klangliche Nuance konnte man in ihren Gesichtszügen ablesen. Und so gab sie dem Wort Mienenspiel eine ganz neue Bedeutung, wie Konzertbesucher Jochen Neumann, der aus Bonn zu Gast in Stockach war, in der Pause anmerkte.
Dieser lenkte das Augenmerk auch auf Nakagawas körperlichen Ausdruck im Klavierspiel: Denn die Töne und Klänge entstehen ja beim Klavierspiel nicht nur durch gekonnte Fingerakrobatik, derer Yuna Nakagawa zweifelsohne Meisterin war, sondern, gestützt durch Emotionen und Atmung, durch geübten Ganzkörpereinsatz. Ohne diesen sind nicht nur Klavierkompositionen von Chopin, ähnlich wie die von Rachmaninow oder Tschaikowski, kaum zu meistern. So kann man sagen, dass man in diesem Konzert eben nicht nur hören, sondern auch sehen konnte, wie sich Nakagawa an den Kompositionen leidenschaftlich, aufopfernd abarbeitete und hingebungsvoll musikalische Skulpturen schuf – bildhaft gesprochen. Verwundert mag so mancher Konzertbesucher gewesen sein, dass am Anfang des Programmes mit, man kann sagen, schwerer Kost – Frédéric Chopin, Franz Liszt und nochmals Chopin, nicht zu vergessen: Chopin in der Zugabe – die „Klaviersonate B-Dur Nr. 13 (KV333)“ des berühmtesten Wiener-Klassik-Vertreters Wolfgang Amadeus Mozart stand.
Diese Sonate klingt so, wie man sich Mozart im Allgemeinen so vorstellt – verspielt, munter und leicht. Und so mag manch einer denken, dass diese Mozart-Sonate für die Chopin-Meister-Interpretin Yuna Nakagawa ein Kinderspiel gewesen sein dürfte. Dies ist jedoch ein Trugschluss, bestätigte Nakagawa dem SÜDKURIER im Gespräch nach dem Konzert. Denn in dieser Sonate stecke weit mehr Arbeit und Vorbereitung als in Chopin, also der „Ballade in As-Dur (Nr. 3, op. 47)“, der „Nocturne in fis-Moll (Nr. 2, op. 48)“, dem „Scherzo in cis-Moll (Nr. 3, op. 39)“, in Chopins „h-Moll-Sonate (Nr. 3, op. 58)“ oder den oben bereits erwähnten Kompositionen von Franz Liszt. Warum also war die Mozart-Sonate zu Beginn eines solchen Programmes ausgewählt worden? Die Antwort ist: Sie war als „luftiger Einstieg“ in das schwerwiegende Programm von Georg Mais gewünscht worden, um das Publikum sanft ankommen zu lassen.
Das Stockacher Publikum ließ sich dann auch bereitwillig in Yuna Nakagawas Bann ziehen und war teilweise derart entrückt, dass es am Ende des Konzerts gar nicht so einfach gewesen sein dürfte, den Weg aus der vor ihm ausgebreiteten Chopin‘schen Seelenwelt zurück in die Realität zu finden.