Stockach – Vor fünf Jahren war der Landesvorsitzende und Vorsitzende der SPD-Landtagsfraktion Andreas Stoch schon einmal zu Besuch beim SPD-Stadtverband Stockach. Im Rahmen seiner Tournee „Sport mit Stoch“ traf er jetzt Kinder der Abteilung Leichtathletik der TG Stockach und machte beim Rücken-Yoga des Vereins mit. Dazwischen nahm er sich Zeit, um Klaus Delisle, den Vorsitzenden des Stadtverbands, für seine über 50-jährige SPD-Mitgliedschaft zu ehren und mit ihm, den anwesenden Mitgliedern und Gästen über die aktuelle politische Lage sowie die Bedeutung der Kommunal- und Europawahl zu sprechen.

Seit Pandemiebeginn im März 2020 sehe er eine tiefgreifende Veränderung in Politik und Gesellschaft, sagte Stoch. Die Menschen hätten sich ein stückweit entfremdet, es seien Verhärtungen entstanden. Spätestens mit Kriegsbeginn in der Ukraine sei das Gefühl aufgekommen, einen Normalzustand gebe es nicht mehr. Der Politiker mahnte die Zuhörer: „Wir müssen uns daran gewöhnen, auch mit schwierigen Herausforderungen umzugehen. Unsere Gesellschaft hat die Kraft, solche Herausforderungen zu bewältigen.“ Keiner habe geglaubt, dass es einen Krieg wie in der Ukraine geben werde. „Wir müssen umdenken und fundamental in Frage stellen, welche politischen Entscheidungen wir in der Vergangenheit getroffen haben.“

Mit Blick auf die drei Landtagswahlen im Osten sagte er, es könne einem schon angst werden. „Wenn die demokratischen Kräfte keine Mehrheit mehr zusammenkriegen, haben wir ein Problem.“ Ihn habe positiv überrascht, dass viele Menschen nach dem Bekanntwerden des Treffens rechter Kräfte in Potsdam einen Moment des Aufwachens und Schreckens empfanden und teils zum ersten Mal an einer Demonstration für die Demokratie und gegen rechts teilnahmen. Gerade im Osten sei das mutig gewesen. Stoch betonte: „Es ist ein ganz entscheidender Punkt, ob wir es schaffen, innerhalb der demokratischen Familie zusammenzustehen und dem entgegenzutreten.“ Man müsse den Leuten Hoffnung geben, dass Politik gestalten und Probleme lösen kann. Deshalb habe er das Bündnis für Demokratie und Menschenrechte auf den Weg gebracht. Es vereint alle Bischöfe aus Baden-Württemberg, die Gewerkschaften, den Städte-, Landkreis- und Gemeindetag und die Arbeitgebervertreter. Stoch machte klar: „Wenn man nichts für den Frieden tut, kann der auch weg sein.“

Die anstehende Europawahl sei ebenfalls extrem wichtig. Stoch verdeutlichte: „Wenn wir als Europa die Frage gestellt bekommen: ‚Könnt ihr euch verteidigen?‘, und wir haben die USA mit einem möglichen Präsidenten Trump nicht an unserer Seite, brauchen wir Antworten. Allein sind wir nicht in der Lage, was dann an bedrohlichen Szenarien kommen könnte.“ Daher sei die Wahl von zentraler Bedeutung für die Zukunft Europas. „Wir müssen den Leuten klarmachen, dass wir uns keine Wahlbeteiligung von knapp über 50 Prozent leisten können. Wir müssen jeden Wahlberechtigten an die Urne bringen. Das Gleiche gilt für die Kommunalwahl: Wir leben in einer Demokratie. Die ist dann stark, wenn Leute bereit sind, aus der Komfortzone zu gehen. Das Mindeste ist die Rolle als Wähler, noch wichtiger sind Kandidierende, die zeigen, es lohnt sich, sich für das Gemeinwesen einzusetzen.“

Die Zuhörer hatten die Gelegenheit, Fragen zu stellen. Noah Weber wollte wissen, warum sich die Bundesregierung so schwertue, gute Politik gut zu verkaufen. Die Zeiten seien schwierig, begann Stoch. Man müsse Fehler abstellen, das gehöre zur Wahrheit dazu. Doch die Ampel sei besser als ihr Ruf, vieles sei eine Frage der Wahrnehmung. Zur Kommunikation sagte er: „Diejenigen, die einfache Lösungen haben, können einfache Sätze transportieren.“ Die Realität sei oft anders als Ideologen sie sich zurechtlegen könnten.

Mit Hinweis auf die Mitte-Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung sprach Stoch von inzwischen acht bis zehn Prozent der Deutschen, die ein rechtes Weltbild hätten und mit denen man nicht auf einer Ebene diskutieren könne. Er frage sich: „Was bemüßigt Menschen, denen potentiell die Stimme geben zu wollen? Das Protestmotiv ist offensichtlich schwächer, als man gemeinhin denkt.“ Dabei sei die Meinung, die vertreten werde, sehr oft im Grenzbereich dessen, was unsere Verfassung noch zulasse. Er berichtete, dass es im Landtag kaum umsetzbar sei, AfD-Vertreter in Debatten zu stellen. „Die Auseinandersetzung mit uns ist denen völlig wumpe.“ Es führe kein Weg daran vorbei, im Klartext zu sagen, was es bedeute, wenn „die“ was zu sagen hätten, so Stoch. Dabei kämen als Erste die unter die Räder, die die höchste AfD-Affinität haben. Weiter sagte er: „Wir müssen deutlich machen, dass diese Demokratie auch wehrhaft sein muss.“ Im Grundgesetz seien Elemente für eine solche wehrhafte Demokratie enthalten.

Vertrauen muss zurückkommen

Joachim Kramer, Fraktionsvorsitzender der SPD im Gemeinderat, fragte, ab wann das Rechtssystem eingreife. Der Verfassungsschutz beobachte potentiell verfassungswidrig agierende Organisationen, sagte Stoch. Wenn der sage, die Schwelle ist überschritten, sei mit hoher Wahrscheinlichkeit ein Parteiverbot möglich. Man könne aber nicht die Denkmuster verbieten. Daher sei es vor allem wichtig, dass die Menschen Vertrauen in den Staat und die Parteien, die den Staat tragen, zurückbekämen.

Der ehemalige Landtagsabgeordnete Wolfgang Reuther, Gemeinderat (CDU), Nachbar und Freund von Klaus Delisle, schlug den Bogen zur Kommunalpolitik. Bis dato seien im Stockacher Gemeinderat rechtsorientierte Personen außen vor. In diesem Gremium streite man zwar gelegentlich mal, suche aber vor allem Gemeinsamkeit, denn es gehe um Sach- und Fachlichkeit. Er betonte, wer selbst politische Verantwortung übernehme, erkenne, dass Probleme immer in Komplexität bestünden, nicht im Einfachen.