Es gibt sie noch, die großen gemeinschaftsstiftenden Momente. Zum Beispiel wenn nach der Mittelstandskundgebung beim Tengener Schätzele-Markt etwa 2000 Menschen sich von ihren Plätzen erheben, um Nationalhymne und Badnerlied zu singen. Da versammeln sich dann alle hinter diesen musikalischen Symbolen, begleitet von der Jugendkapelle Engen, und alles, was für Konflikte sorgen könnte, scheint für eine kurze Zeit vergessen.
Das passt zur Rede von Manuel Hagel, der als Gastredner bei der Mittelstandskundgebung eingesprungen war, nachdem der eigentlich vorgesehene Vize-Ministerpräsident Thomas Strobl kurzfristig abgesagt hatte. Und es passte zu den Worten, die Selcuk Gök, seit April Bürgermeister von Tengen und SPD-Mitglied, bei seinem ersten Auftritt auf dem größten Volksfest der Region fand.
Statt eines Landesinnenministers und scheidenden CDU-Landesvorsitzenden bekamen die Menschen im Festzelt also den Mann zu hören, der mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit am 18. November zum neuen Landesvorsitzenden der CDU gewählt wird. Er dürfte bei der nächsten Landtagswahl auch Spitzenkandidat seiner Partei sein.
Wird er eine Bewerbungsrede halten? Wirklich nötig hat Hagel das nicht. Auf dem Podium verkündete er seine Positionen – auch altbekannte – mit teilweise markigen Worten. Was man mit Hagel bekommt, hätte nicht klarer werden können. Im Festzelt sei er als Oberschwabener sehr routiniert, hatte er noch im Pressegespräch vor dem Auftritt gesagt. Und mit dem Hustenbonbon in der Hand gescherzt, dass er nach mehreren Auftritten als Redner in dieser Woche um jede Stimme kämpfe – „auch um meine eigene“.
Mehr abschieben, weniger Bürgergeld zahlen
Mit dieser forderte er dann klar und deutlich wie schon mehrfach eine 180 Grad-Wende in der Migrationspolitik. Und er forderte erneut, Menschen abzuschieben, die hier Schutz suchen, nach dem Angriff der Hamas auf Israel aber Palästina-Flaggen schwenken und „den Tod von Menschen feiern“. Hagel meint: „Wer unsere freiheitlichen Grundrechte in Anspruch nimmt und Antisemit ist, zeigt, dass er die freiheitliche-demokratische Grundordnung nicht akzeptiert.“
Für die Feinheiten dieses komplexen Themas blieb im Festzelt kein Platz. Offene Grenzen in Europa seien sehr wichtig, so Hagel nach dem Auftritt: „Aber wir müssen wissen, wer in unserem Land ist, sonst brauchen wir Grenzkontrollen als Ultima Ratio.“ Schon beim Pressegespräch warf er der Ampelregierung vor, illegale Migration nicht in den Griff zu bekommen.

Auch beim Bürgergeld ließ es Hagel nicht an Deutlichkeit mangeln. Eine Familie, die Bürgergeld beziehe, habe 60 Euro mehr im Monat übrig als manch eine Familie, bei der beide Elternteile arbeiten gehen, lautete seine Rechnung. Er kam zu dem – durchaus diskussionswürdigen – Schluss: „Nicht Löhne sind zu niedrig, sondern das Bürgergeld zu hoch.“ Und: „Wer arbeiten kann, muss auch arbeiten.“
Schließlich sprach Hagel eine Überdrüssigkeit der Bürger an, wenn sie dem Staat begegnen. Und er hält dagegen: „Nicht überall, wo Freiheit ist, ist eine Gesetzeslücke.“ Im Vorgespräch hatte er Abhilfe durch verschiedene Einrichtungen in Aussicht gestellt – und sich zuversichtlich gezeigt, dass es diesmal einen Erfolg in Sachen Bürokratieabbau gibt. Doch unnötige Vorschriften endlich zu streichen, das habe auch etwas mit Rückgrat der Politik zu tun. Im Festzelt gab es immer wieder lautstarke Zustimmung für Hagels Rede, am Ende wurde er mit lang anhaltendem Applaus belohnt.
Auch am Rande des Auftritts im Festzelt lief, in einer Zeit, in der neben der Ukraine auch noch Krieg in Israel herrscht, manches markant anders als im vergangenen Jahr, als der sozialdemokratische Innenminister von Thüringen Georg Maier auf Einladung von Göks Vorgänger Marian Schreier, ebenfalls SPD, zu Gast war.
Hagel und Gök begannen den kurzen Rundgang über die Gewerbeausstellung bei den Soldaten der Tengener Patenkompanie der deutsch-französischen Brigade, die ihre Arbeit und Ausstattung neben dem Rathaus präsentierten. Und auch nach der Kundgebung waren sie im Festzelt bei den Männern und Frauen in Camouflage-Grün anzutreffen.

Schon vor Hagels Auftritt hat das Publikum Klartext von Bürgermeister Gök zu hören bekommen. Darunter war Bemerkenswertes, etwa dass ein SPD-Bürgermeister die Forderung ins rappelvolle Festzelt wirft: „Wir müssen mehr abschieben.“ So ganz auf der Linie seiner Partei liege er damit nicht, gab Gök nach dem Auftritt zu. „Ich bin kein Parteisoldat, sondern Bürgermeister.“ Als solcher sehe er, dass man mit der Integration nicht vorankomme, wenn jeder hierbleibe. Schutzbedürftige dürfe man nicht abschieben, aber man müsse Ressourcen richtig einsetzen. Gök nach dem Auftritt: Und: „Gesunde Kritik gehört dazu. Es ist wichtig zu sagen, was schiefläuft.“

Gök teilt aus – gegen Grüne, FDP, SPD, CDU und AfD
Ironische Spitzen bekamen zu Beginn seiner Rede alle Parteien ab. Die Ampelregierung sei damit beschäftigt, sich gegenseitig ans Bein zu pinkeln, die Grünen überfordert, die FDP von der Null-Schulden-Partei zur Schuldenmacher-Partei geworden. Auch seine eigene Partei verschonte Gök nicht: „Die SPD erinnert sich an vieles nicht mehr und sagt jetzt gar nichts mehr. Das hat auch den Vorteil, dass man sich nicht so viel merken muss.“ Die CDU wisse vor lauter Langeweile nicht, ob sie den nordrhein-westfälischen Ministerpräsidenten Hendrik Wüst oder Parteivorsitzenden Friedrich Merz als Kanzlerkandidat aufstellen solle.
Und der AfD bescheinigte er, keine Ideen und keine Lösungen zu haben – inklusive einem lautstarken Wortgefecht mit einzelnen Menschen im Publikum. ‚Eine Partei nur aus Trotz zu wählen, ist keine Lösung‘, rief Gök ins Festzelt.
So viel Kritik von zwei Politikern an der Politik hätte die Stimmung im Festzelt trüben können. Doch dafür fand Manuel Hagel zum Ende seiner Rede auch noch Worte: „Lassen Sie sich das Land nicht schlechtreden“, lautete sein Appell. Dem schloss sich das Publikum nur zu gerne an – bei Nationalhymne und Badnerlied.