Auch Tage nach dem Ehinger Herbstfest hält sich im Hegau ein Gerücht hartnäckig: Tengens Bürgermeister Selcuk Gök soll nach einem Besuch im Ehinger Festzelt betrunken Auto gefahren sein und einen Unfall beim Engener Stadtteil Anselfingen gebaut haben. Der SÜDKURIER hat Gök mit den Vorwürfen einer Alkoholfahrt mit angeblich 1,8 Promille im Blut konfrontiert. Der 26-Jährige erklärt sich und steht knapp ein halbes Jahr nach seiner Wahl möglicherweise vor der größten Belastungsprobe seiner noch jungen Karriere als Bürgermeister.
Was bisher bekannt ist
Die Polizei hat kürzlich in einer Pressemitteilung einen Unfall in der Nacht von Samstag auf Sonntag, 16. auf 17. September, auf der Lindenstraße – kurz vor der Bahnunterführung – gemeldet. Dabei sei ein 26 Jahre alter Mann mit seinem Audi in einer Linkskurve von der Fahrbahn abgekommen, geradeaus gefahren und mit seinem Wagen auf den Hang abgekommen. Unterhalb der Bahnschienen sei das Fahrzeug im dortigen Gebüsch stehen geblieben, so die Polizei weiter.
Bei der Unfallaufnahme hätten die Beamten Alkoholgeruch beim Fahrer festgestellt. Ein Alkohol-Test ergab der damaligen Pressemitteilung zufolge einen Wert von 1,8 Promille. Daraufhin, so hieß es im Polizeibericht, musste der junge Mann laut Polizeiangaben in einem Krankenhaus eine Blutprobe abgeben. Um den festhängenden Audi hatte sich ein Abschlepp-Unternehmen gekümmert.
War der angetrunkene Fahrer Selcuk Gök?
Selcuk Gök sitzt an diesem Nachmittag in seinem Büro, er wirkt aufgeräumt. Als der SÜDKURIER ihn mit den Gerüchten über die angebliche Alkoholfahrt samt Unfall konfrontiert, druckst der Tengener Bürgermeister nicht lange herum, sondern kommt gleich zur Sache und räumt ein ungutes Ende des Herbstfestes ein. „Die Gerüchte haben natürlich auch mich erreicht. Ich bin bisher sehr privat mit dem Vorfall umgegangen, denn er ist in meiner Privatzeit vorgefallen und nicht in meiner Arbeitszeit.“ Gegenüber dem SÜDKURIER gibt er zu, dass es einen Vorfall nach dem Herbstfest gegeben habe. „Ich bin in einer ungeschickten Kurve abgekommen“, schildert Gök.

Im Gespräch zeigt er sich reumütig. „Die Entscheidung, noch zu fahren, war sicherlich keine gute. Ich bereue es wirklich, sie so getroffen zu haben“, betont Gök. Heute würde er nicht mehr so handeln. „Als Bürgermeister ist man in einer gewissen Position, aber ich habe auch ein Privatleben, und da passieren Fehler“, beteuert Gök. Er sei froh, dass nicht noch mehr geschehen sei. So sei es bei einem Blechschaden an seinem Privatauto geblieben.
1,8 Promille oder doch viel weniger?
Der Darstellung in der Polizeimeldung widerspricht der Bürgermeister aber besonders in einem Punkt: dem Alkoholwert. Denn der sei geringer gewesen, so seine Aussage. „Das war ein Atemalkoholtest, der nicht so genau und auch nicht gerichtsfest ist. Der später tatsächlich festgestellte Wert lag deutlich darunter“, sagt Gök.
Auf Nachfrage zum genauen Alkoholblutwert gibt sich die Pressestelle des Konstanzer Polizeipräsidiums äußerst zugeknöpft. Stattdessen verweist die Polizeipressestelle auf die andauernden Ermittlungen.
Laut Gök laufe das Verfahren zum Vorfall noch. Daher wolle er den bei der Blutprobe ermittelten, für die rechtliche Bewertung entscheidenden Wert aus der Blutprobe nicht offenlegen. So bleiben die 1,8 Promille als bisher von der Polizei bestätigter Wert bestehen. Die später durch die Blutprobe ermittelte Blutalkoholkonzentration – also der für die rechtliche Bewertung des Falls maßgebliche Wert – liegt in der Regel aber nicht wesentlich darunter.
Vom Alkoholwert hängt ab, welche Strafe auf den Bürgermeister zukommt: Gök gehe auf Grundlage des niedrigeren Alkoholwertes von einem Führerscheinentzug von sechs Monaten aus. Eine medizinisch-psychologische Untersuchung (MPU) sei erst einmal nicht zu erwarten. Da das Verfahren allerdings noch laufe, warte Gök jetzt darauf, was dann auf ihn zukommen werde. Polizei und Staatsanwaltschaft machten zu möglichen Folgen für Gök auf Nachfrage keine Angaben.
Wie wurde die Polizei auf den Unfall aufmerksam?
Laut Bürgermeister Selcuk Gök habe seine Smartwatch und auch die Technik im Auto den Notruf nach dem Unfall ausgelöst. Diesen Vorgang hätte er abbrechen können, habe aber davon abgesehen und die Polizisten auch selbst zum Unfallort gelotst. „Mir war klar, dass die Polizei jetzt kommen muss“, so Gök. Er habe sich nicht vor der Verantwortung oder einer Aktennotiz drücken wollen.
Die Pressestelle der Polizei bestätigt dies. Auf Nachfrage erklärt die Polizei, dass der Unfall durch ein technisches Hilfsmittel bei der Polizei gemeldet worden sei. „Während der Unfallaufnahme war der Fahrer kooperativ“, teilt die Pressestelle weiter mit. Laut Polizeiangaben sei der Fahrer wegen Trunkenheit im Straßenverkehr angezeigt worden.
Was ist als Bürgermeister noch privat?
Dass sein Vorfall nun für so viel Gerede sorge, störe ihn allerdings: „Denn ich merke nun, dass ich gar kein Privatleben mehr habe und auch keine Fehler mehr machen kann.“ Der Vorfall sei ärgerlich, vermeidbar und absolut unüberlegt gewesen, so Gök. In dem einen Moment sei etwas schiefgelaufen. Etwas, das nicht schieflaufen dürfe, sagt der Tengener Bürgermeister. Auf die Geschicke der Stadt Tengen, deren Verwaltungschef und oberster politischer Repräsentant er ist, habe der Vorfall aber keine Auswirkungen. Es sollte nicht wichtig sein, dass er Fehler mache – dazu gehören auch dumme Fehler.
Gök ist sich sicher: Das Vertrauen ist nicht weg
„Was die Leute interessieren sollte, sind Themen wie die Bewältigung der Flüchtlingskrise, wie bekommen wir neue Betreuungsplätze oder die Haushaltslage voran. Und nicht, ob der Bürgermeister mit dem Auto oder zu Fuß oder mit dem Fahrrad angefahren kommt. Denn der Bürgermeister kommt, daran ändert sich nichts“, sagt Gök. Deswegen habe er auch nicht das Gefühl, dass er Vertrauen zurückgewinnen müsse.
Dabei unterscheiden viele Bürger nicht zwischen dem privaten Menschen und dem Bürgermeister, der als Stadtoberhaupt fungiert und für das Einhalten von Regeln des Gemeinwesens steht – das schildern Bürgermeister gegenüber dem SÜDKURIER immer wieder. Und immer wieder ziehen Menschen in öffentlichen Rollen berufliche Konsequenzen nach privaten Fehltritten. Zur Erinnerung: 2010 trat etwa die Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche Deutschlands (EKD), Margot Käßmann, nach einer Alkoholfahrt mit 1,54 Promille von allen Ämtern zurück.
Gök zeigt sich nach dem Gespräch fast beruhigt, dass die Lokalredaktion ihn auf das Thema angesprochen habe, wie er selbst sagt. Denn er werde nur einmal mit dem SÜDKURIER über den Vorfall sprechen und danach weiterarbeiten. „Ich werde den Vorfall nicht die kommenden 7,5 Jahre mit mir herumtragen und in der Öffentlichkeit auch keine weiteren Fragen dazu beantworten“, sagt er. So lange dauert noch seine erste Amtszeit als Tengener Bürgermeister.