Das Schöffengericht unter Leitung von Richterin Kristina Selig hat im Amtsgericht Sigmaringen einen 41-Jährigen wegen nachgewiesener übler Nachrede gegenüber seiner nunmehr geschiedenen Ehefrau zu einer Geldstrafe von 22 500 Euro verurteilt. Die weitaus schwerer wiegenden Anklagepunkte, seine Ex-Frau mehrfach vorsätzlich verletzt und vergewaltigt zu haben, brachte ein vom Freiburger Diplom-Psychologen Kenan Alkan-Mewes erstelltes und vor Gericht in Teilen vorgetragenes Gutachten zu Fall. „Es war keine einfache Entscheidung“, räumte Richterin Selig ein, dass ihr gefälltes Urteil nicht frei von Zweifeln sei: „Wir sind nicht von ihrer Unschuld überzeugt!“ Hauptsächliche Skepsis hätten jedoch die Ausführungen des Sachverständigen ausgelöst, ob die in der Anklageschrift erhobenen Anschuldigungen so tatsächlich stimmten. Eine Falschaussage oder Suggestion sei hierbei nicht auszuschließen gewesen.
Gutachter bezweifelt Aussage der Frau
In dem umfassenden Gutachten spielte der Sachverständige auf die Vorwürfe eine mögliche Vorab-Beeinflussung von Therapeutinnen auf die Frau an und bezeichnete die in dreieinhalbstündiger Sitzung mit der Ex-Ehefrau gewonnenen eigenen Erkenntnisgewinn als „überschaubar“. Ihre geschilderten Details besäßen „sehr wenig Qualität“, um eine Lügenhypothese zurückweisen zu können, betonte der Gutachter vor Gericht. Vielmehr schlussfolgerte er aus der familienrechtlichen Auseinandersetzung eine von ihm interpretierte Absicht der Frau, den „Angeklagten zu diskreditieren“.
Vier Zeuginnen geladen
Das Schöffengericht war in dieser fast siebenstündigen Marathonsitzung dem Wunsch des Sachverständigen nachgekommen, dass sich dieser im Gericht zuvor durch die direkte Befragung von vier geladenen Zeuginnen ein ergänzendes Bild von der Geschädigten machen konnte. Zu Wort kam die Amtsrichterin von Hechingen, die die erste richterliche Vernehmung der Ex-Ehefrau vorgenommen hatte. Auch drei Therapeutinnen stellten sich den gerichtlichen Nachfragen, bei denen diese in Behandlung war oder ist.
Traumatisierung bereits als Kind
Eine 39-Jährige, die die Geschädigte in der Akutklinik Albstadt im April 2021 in mehreren Sitzungen betreute, hatte bei ihr eine „emotional instabile Persönlichkeit und posttraumatische Belastung“ diagnostiziert. Traumatisierungen würden bereits aus ihrer Kindheit und Jugend herrühren. So soll es durch ihren Stiefvater zu sexuellem Missbrauch gekommen sein, auch später durch einen Heimbruder in einem Kinderdorf, nachdem sie das Elternhaus ihrer alkoholkranken Mutter verlassen hatte. Ihre Klientin hätte mehrfach von Konflikten in der Partnerschaft mit dem Angeklagten berichtet und von Suizidandrohungen gesprochen. Die Therapeutin stellte bei ihr eine Alkohol- und Cannabisabhängigkeit fest. Sexualität in der Ehe hätte häufig nur unter Drogen- und Alkoholeinfluss stattgefunden. Der auf der Anklagebank sitzende Ex-Ehemann und Sozialpädagoge sei „ähnlich manipulativ“ aufgetreten. Drogen oder Alkoholmissbrauch hatte der Angeklagte stets vehement verneint und für sein unkontrolliertes Wesen die ärztliche Bescheinigung seiner ADHS-Erkrankung (Hyperaktivität, Unaufmerksamkeit, Impulsivität) nachgereicht. Im Prozess drückte er oft schluchzend auf die Tränendrüse.
Söhne wollen nicht aussagen
Die beiden älteren Söhne hatten jeweils von ihrem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch gemacht und waren der Vorladung nicht gefolgt. Dennoch lag Richterin Kristina Selig ein handgeschriebener Brief von einem der Söhne vor, den sie verlas. Darin enthalten waren erschütternde Darstellungen von einem selten spannungsfreien Eheleben. „Sie hat oft nicht wie eine Mutter gehandelt und sie hat uns nicht viel gegönnt“, beklagte er sich in dem Schreiben über die „seelischen Misshandlungen einer manisch-depressiven Frau“ und deren widersprüchliche, von Eifersucht geprägten Handlungen, insbesondere nach Streitigkeiten mit dem Angeklagten. Eine Zeugin, die aktuell die Frau in psychosomatischer Therapie behandelt, sagte vor Gericht aus, dass die heute 43-Jährige immer noch unter den Flashbacks ihres in ihrer Jugend erlebten chronischen Missbrauchs leiden würde.
Staatsanwalt glaubt der Frau
Staatsanwalt Markus Engel, der sich zuvor fachlich intensiv mit dem Gutachter auseinandersetzte, dessen Einschätzungen über die Frau widersprach und auf seine eigenen langjährige Prozesserfahrung in Sachen Gewalt in der Ehe verwies, hielt an den Anklagepunkten unverrückbar fest: „Ich bin davon überzeugt, dass die Vorwürfe der Geschädigten nachvollziehbar und glaubhaft sind“. Insbesondere eine Vergewaltigungsszene sowie die Gewaltausbrüche und Drohungen des Angeklagten seien sehr wohl detailreich beschrieben. In seinem Plädoyer forderte er aufgrund der Körperverletzung inklusive Morddrohung eine eineinhalbjährige Freiheitsstrafe, für drei Jahre zur Bewährung ausgesetzt, sowie eine Geldstrafe von 20 000 Euro. Die Nebenklägeranwältin Stefanie Kranz schloss sich den Ausführungen des Staatsanwalts vollumfänglich an.
Verteidiger hält seinen Mandanten für unschuldig
Verteidiger Karl Abt berief sich mehrfach auf das Gutachten des Diplom-Psychologen, bezeichnete die familiäre Situation vonseiten der Kinder und die ihres Vaters als unerträglich gegenüber einer „völlig weggetretenen Mutter“. Deren Vorfälle in der Zeit ihres Heranwachsens zog er ebenfalls stark in Zweifel. „Mein Mandant sitzt völlig unschuldig hier, ich fordere einen Freispruch!“ Endgültig geklärt werden müsse das vorläufig vom Jugendamt der Frau übertragene Sorgerecht des Allerjüngsten. Im Vorfeld hatte der Angeklagte schon deutlich gemacht, dass er um ihn kämpfen wolle. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.