Unterrehna gehört zu Wintersulgen, einem Teilort der Gemeinde Heiligenberg im Bodenseekreis. Idylle pur. Es gibt eine Bushaltestelle, einen Briefkasten und ein „Käppele“, wie die Einheimischen ihr kleines Gotteshaus liebevoll nennen. Gottesdienste gibt es hier nur selten. Das Kirchlein ist ein Relikt aus der Zeit, als noch mehr Leben im Dorf war. Hier herrscht keine Hektik, aber es gibt auch kein Kino, kein Freibad und keinen Supermarkt.
Von der Stadt aufs Land ziehen? Wie kommen Stadtmenschen damit klar? Und wiegen die Vorteile die Entbehrungen auf? „Alles nicht so schlimm“, sagen zwei Familien, die der SÜDKURIER besucht hat. Jeannette Roth-Fritz (39) und ihr Mann Manfred Fritz (52) leben mit ihren Kindern Magdalena (12), Janosch (10) und Noah (8) in Unterrehna. Dass hier zu wenig los ist, können sie nicht bestätigen. „Stimmt nicht“, sagt Familienvater Manfred. Der Betriebswirt für Holzbau arbeitet in einem Nachbarort und ist keineswegs der Meinung, dass in Unterrehna „tote Hose“ ist. Es gebe eine lebendige Dorfgemeinschaft und langweilig sei es nie.
Das Dorfgasthaus hat längst dicht gemacht
Auch in Unterrehna hat das Dorfgasthaus längst dicht gemacht und auch ein Vereinsheim ist nicht in Sicht. Dafür kennt man sich hier. Und immerhin kann das kleine Dorf ein Nagelstudio vorweisen. „Und das ist ja schon mal was“, sagt Manfred Fritz schmunzelnd. Er hat den Beruf des Landwirts erlernt und vor vielen Jahren den elterlichen Hof übernommen. Jetzt ist er Nebenerwerbslandwirt und und im Hauptberuf Betriebswirt in einem Holzbaubetrieb. Landwirtschaftliche Gebäude prägen noch immer das Ortsbild, zudem ist hier ein großer Steinmetzbetrieb angesiedelt. Ein Gewerbegebiet gibt es natürlich nicht. Und auch keinen Spielplatz. „Da wurde schon mal darüber diskutiert, die Gemeinde hat sich dann aber dagegen entschieden“, sagt Ortsreferent Heinrich Stengele. Man war sich nicht sicher, ob der Kinderboom anhalten wird. 70 Einwohner hat Unterrehna derzeit, davon sind rund 20 Prozent Kinder.

Dem Nachwuchs wird es trotzdem nicht langweilig im Dorf. Es ist wie früher: Man spielt viel „auf der Gass“, wie ältere SÜDKURIER-Leser sich bestimmt noch erinnern werden. Die 12-jährige Magdalena findet es super im Dorf. „Es gibt hier viele Kinder und man kann ganz toll spielen.“ Nur, dass die meisten Spielkameraden Jungs sind, das stört sie etwas. Wie ihr Bruder Janosch geht sie in Wilhelmsdorf zur Schule. Der Bus fährt morgens um 6.30 Uhr. Um 12.30 Uhr geht es wieder zurück. Noah geht in die Grundschule nach Wintersulgen und kommt ebenfalls zum Mittagessen nach Hause. Nach dem Mittagessen stehen die Hausaufgaben an und dann geht es raus. Fußballspielen, toben – Langeweile gibt es nicht.
Von München nach Unterrehna
Jeanette Roth-Fritz ist Diplom-Mathematikerin und die Mutter des munteren Trios. Studiert hat sie in München – eine ganz andere Größenordnung. Die 39-Jährige stammt nicht aus Unterrehna, aber die Idee, doch hierher zu ziehen, die fand sie nicht schlecht. Sie ist im Nachbarort Hattenweiler aufgewachsen und kannte deshalb das Dorfleben. Neben dem Bauernhaus der Eltern von Ehemann Manfred wurde dann neu gebaut. „Wenn man den Bauplatz nicht kaufen muss, dann ist das natürlich schon ein Vorteil“, ist das Ehepaar überzeugt.
Schwierig ist das Einkaufen – da geht ohne Auto nichts. Frickingen oder Pfullendorf werden dann angesteuert, aber nicht täglich. Einmal in der Woche steht ein Großeinkauf an. Das Eltern-Taxi fährt natürlich auch in Unterrehna. Wenn die Kinder zum Sport oder zum Musikunterricht wollen, sind die Mütter und Väter gefragt. Magdalena, Janosch und Noah haben noch einen Vorteil: Ihre Mutter gibt Musikunterricht. Sie sorgt auch dafür, dass die Dorfkinder jedes Jahr im ehemaligen Kuhstall gegenüber ein Krippenspiel mit Musik aufführen. Den Stall hat die Familie mit viel Unterstützung in Eigenleistung hergerichtet, er ist auch sonst ein Treffpunkt. Das ganze Dorf half mit, das Projekt zu verwirklichen. Familie Roth-Fritz denkt nicht ans Wegziehen. Wobei Vater Manfred sich schon vorstellen kann, Unterrehna irgendwann einmal zu verlassen und in eine Senioren-Wohngemeinschaft zu ziehen.
In Langgassen gibt es gutes Internet
Einige Kilometer entfernt liegt Langgassen. Es gehört zu Denkingen, einem Ortsteil von Pfullendorf. Hier leben Mandy Schmieder, ihr Mann Jürgen und der kleine Noah Gabriel, der bald in die Schule kommt. Denkingen ist nicht weit entfernt und hat eine eigene Grundschule, die Busfahrt dorthin dauert nicht lange. Für Vater Jürgen sieht das ganz anders aus. Der 53-jährige Industriemeister arbeitet in Singen. Im Winter wird es je nach Schneemenge und Straßenlage schon mal zum Problem, überhaupt aus dem Dorf rauszukommen. Wenn gar nichts geht, dann kann er auch Homeoffice machen. Denn Internet gibt es in Langgassen. „Und so schlecht ist das gar nicht“, sagt Jürgen Schmieder.
Wegziehen? Auf keinen Fall
Das kleine Haus hat Familie Schmieder gemietet. „In der Stadt würde das viel mehr kosten und die Lebensqualität hier ist sowieso besser“, ist Mandy Schmieder überzeugt. Sie stammt aus Weimar. Die Stadt in Thüringen ist Weltkulturerbe und gilt als die Wiege der deutschen Kultur. „Für Touristen ist das dort schon prima. Aber leben kann man in Langgassen besser“, sagt die 35-jährige Verkäuferin. Sie hat in Pfullendorf zwei Arbeitsstellen in Teilzeit und so ist das mit dem Einkaufen kein Problem. Sie bringt das mit, was man braucht. Jürgen und Mandy Schmieder haben sich in Heiligenberg kennengelernt, zu dieser Zeit wohnten sie beide auch dort. Als ein Kumpel das Haus in Langgassen anbot, griffen sie zu. Wegziehen? „Kommt nicht in die Tüte“, sagt Mandy lachend.

So überzeugt wie heute war Mandy Schmieder anfangs allerdings nicht: Ihr erster Eindruck sei gewesen, dass sie „ans Ende der Welt“ komme – und ein Naturmensch ist sie auch nicht. Aber: „Für Kinder ist es hier ein Traum.“ Musikschule? Sport? Kein Problem. Sohn Noah geht zum Karatetraining. Das Auto ist unabdingbar, doch Mandy Schmieder ist auch gerne mit dem Rad unterwegs und fährt damit nach Denkingen zum Zumba.
In der Stadt wollen die Schmieders nicht leben. Sogar Pfullendorf mit knapp 14 000 Einwohnern wäre ihnen zu groß. Für sie ist das Landleben genau das Richtige.
Langgassen
Wer von Pfullendorf über Denkingen nach Illmensee fährt, der kommt an einem kleinen Schild vorbei, das den Weg nach Langgassen weist. Das ist ein schmuckes Dorf mit einer 2014 komplett neu gemachten Ortsdurchfahrt und einer hübschen Kapelle. Sie steht direkt am kleinen Dorfplatz mit dem Brunnen. Zwei Voll- und vier Nebenerwerbslandwirte gibt es hier. Dazu haben ein Bauunternehmen und eine Spedition ihren Firmensitz in Langgassen. Ortsvorsteher von Denkingen und damit auch von Langgassen ist Karl Abt. Er ist im Hauptberuf Rechtsanwalt.
Die Infrastruktur im Ort beschränkt sich auf einen Briefkasten und eine Bushaltestelle. Einen Laden oder eine Kneipe sucht man in Langgassen vergeblich. "Aber es gibt jedes Jahr einen Dorfausflug und das Dorffest an Fronleichnam", sagt der 36-jährige Abt. Auch auf den traditionellen Funken am Sonntag nach Aschermittwoch verweist er.
Die 86 Einwohner sind immer dabei, wenn in Langgassen was los ist. Der Ort wurde erstmals 1393 als Wolffurthrüthi zusammen mit Daisendorf, Schönach und Hilpensberg in einer „Gewährschaft und Versicherung“ von Margarethen von Ladenberg erwähnt und im Jahr 1522 als "zu Langengassen". Der Weiler gehörte früher der Reichsstadt Überlingen, später zu Denkingen und kam 1973 zu Pfullendorf.
Unterrehna
Großen Trubel gibt es in Unterrehna nicht. 78 Einwohner hat das Dort, etwa zwölf bis 15 davon sind Kinder. "Für junge Familien ist der Ort scheinbar nicht uninteressant", sagt Ortsreferent Heinrich Stengele. Er übt das Amt, das anderswo Ortsvorsteher heißt, bereits seit 25 Jahren aus. Zuständig ist er für die Teilorte der ehemals selbstständigen Gemeinde Wintersulgen. Dazu gehört auch Unterrehna mit seinen 23 Wohnhäusern. Viele übernehmen das Anwesen der Eltern oder bekommen einen Bauplatz aus Familienbesitz. Das sei natürlich attraktiv, stellt der 56-Jährige fest. Im Hauptberuf ist Stengele Bauunternehmer. Sein Ehrenamt übe er mit Leidenschaft aus, sagt der Ortsreferent. Die kleinen Orte lagen ihm stets am Herzen. Bei der Kommunalwahl im Mai tritt er nicht mehr an.
Heinrich Stengele erinnert sich an den kleinen Laden, den es früher in Unterrehna gab. Dort gab es alles für den täglichen Bedarf. Doch der Laden hat längst geschlossen. Und an eine Kneipe kann sich kaum noch jemand erinnern. Aber es gibt noch einen Briefkasten und sogar zwei Bushaltestellen – eine mehr also als in Langgassen. Die Linie für die Schüler hält mitten im Ort und an der Straße nach Hattenweiler nimmt der Bus nach Heiligenberg, Überlingen oder Pfullendorf die Fahrgäste auf. Die Haltestelle ist sogar überdacht und wird von einer Solarlampe beleuchtet. Natürlich gibt es auch hier eine kleine Kapelle.