Das Mega-Thema im Landkreis war und ist die geplante Schließung der Krankenhäuser Pfullendorf und Bad Saulgau. Haben Sie die Emotionalität dieses Themas richtig eingeschätzt?
Dass dies ein hochemotionales Thema ist, war mir immer bewusst, denn es berührt ein Grundbedürfnis von uns Menschen, dass wir im Fall von Krankheit gut versorgt sein wollen. Wobei manche eine gute medizinische Versorgung mit kurzen Wegen gleichsetzen, was so monokausal nicht stimmt.
Sondern?
Es geht vor allem um die Qualität von Medizin. Über welche Erfahrungen verfügt ein Arzt, welches Team, welche Diagnostik und Ausrüstung hat er oder sie zur Verfügung? Und Medizin verändert sich rasant. Einerseits hin zur Spezialisierung, andererseits hin zur Ambulantisierung. Krankheitsbilder, die in Krankenhäusern behandelt werden sind heute häufig so komplex, dass viele Kompetenzen und Spezialisten zur Heilung benötigt werden. Schwere Notfälle, wie z.B. Herzinfarkte und Schlaganfälle erfordern verschiedene Fachärzte, die interdisziplinär zusammen arbeiten, erfordern Zentren und eine Intensivstation. Dadurch kommen aber kleine Häuser zunehmend unter Druck, da diese Häuser die Bandbreite an Kompetenzen nicht vorhalten können und vieles von dem, was diese Häuser derzeit leisten, aufgrund des medizinischen Fortschritts minimalinvasiv oder ambulant erfolgen kann.
Begründet wurde die Beauftragung des medizinischen Gutachtens mit betriebswirtschaftlichen und personellen Problemen der Kliniken GmbH. Wurden auch die Gründe für diese Probleme aufgedeckt?
Aus meiner Sicht Ja. Die Gründe treffen auf fast alle Kliniken zu. 92 Prozent aller Krankenhäuser in Deutschland, finden nicht genügend Personal. Sie müssen – verstärkt durch gesetzliche Vorgaben wie den Personaluntergrenzen – das knappe Personal in effizienten Strukturen konzentrieren, um so viele Patienten wie möglich versorgen zu können.
Zudem schreiben 65 Prozent aller Krankenhäuser in Baden-Württemberg rote Zahlen. Der wirtschaftliche Druck durch eine nicht auskömmliche Krankenhausfinanzierung nimmt zu.
Gibt es einen Zusammenhang zwischen dem Neubau/Erweiterung des Krankenhauses Sigmaringen und der Notwendigkeit, die gesamte Klinikstruktur des Landkreises neu zu ordnen?
Ja und nein. Auch ohne den Neubau hätten wir uns die Krankenhausstrukturen anschauen müssen. Akut wurde dies durch notwendige Investitionen in den drei Häusern. Zudem hat Corona sowohl beim Fachkräftemangel, als auch wirtschaftlich wie ein Brandbeschleuniger gewirkt. Gutes Personal gewinnen wir nur mit verlässlichen Strukturen, einem modernen Haus und guter Medizin. Deshalb bin ich froh, dass wir schon frühzeitig mit der Bildung von Zentren am Krankenhaus Sigmaringen begonnen haben – denken Sie nur an das onkologische Zentrum, Brustzentrum oder Traumazentrum. Daher hilft uns der Neubau ganz entscheidend, auch in Zukunft gute Medizin anbieten zu können.
Alle Zentren wurden in Sigmaringen gebildet. Das versprochene Geriatrie-Zentrum in Pfullendorf wurde hingegen nicht verwirklicht.
Das stimmt. Aber ein Geriatriezentrum benötigt eine Unfallchirurgie, Innere Medizin, Anästhesie und Neurologie in nächster Nähe. Dies lässt sich nur in Sigmaringen verwirklichen.
Aber dieser Zusammenhang war doch schon vor Jahren bekannt, als die Zentrenbildung beschlossen wurde?
Damals hat uns noch die Hoffnung geleitet, das Haus in Pfullendorf so stärken zu können. Das war vielleicht ein Fehler. Ich habe für mich daraus die Lehre gezogen, in Zukunft nicht auf das Prinzip Hoffnung zu bauen, sondern soweit möglich realistisch zu planen.
Auffällig ist, mit welcher Eile – auch von Ihnen – eine definitive Entscheidung bezüglich der Krankenhausstruktur angestrebt wird. Warum?
Es sind drei Gründe. Die Diskussion sorgt für Verunsicherung bei den Mitarbeitenden. Ich habe mit vielen Beschäftigten und auch Betriebsräten gesprochen und alle sagen mir: Entscheidet schnell. Auch für Patienten ist es wichtig zu wissen, dass sie eine medizinisch hochwertige Versorgung haben. Und jeder Monat, den wir nicht entscheiden, kostet Geld. Geld, das wir besser in Personal und medizinischen Fortschritt investieren wollen, statt in Strukturen, die nicht zukunftsfähig sind. Für 2021 erwarten wir einen Verlust von 7,5 Millionen Euro. Abzuwarten macht vieles schlechter und nichts besser.
Wenn das Land seine Förderung für den Krankenhausneubau in Sigmaringen erhöhen würde, hätte die Klinik mehr Geld?!
Wir haben für den ersten Bauabschnitt, der 68 Millionen Euro kostet, eine Landesförderung von 48 Prozent bekommen. Das ist verglichen mit anderen Häusern schon viel. Natürlich wäre eine 100-prozentige Förderung ideal. Für die zweite Bauphase, also die Sanierung des bestehenden Funktionstraktes, der etwa 40 Millionen Euro kostet, stellen wir wieder einen Förderantrag und sind dabei in guten Gesprächen mit dem Sozialministerium.
Ist das Land nicht verpflichtet, die Investitionen im Krankenhauswesen komplett zu finanzieren?
Ja, doch dies war in den vergangenen Jahrzehnten leider noch nie der Fall. Im Koalitionsvertrag der grün-schwarzen Landesregierung steht, dass das Land eine zukunftsfähige Gesundheitsinfrastruktur durch eine auskömmliche Krankenhausförderung unterstützen wird, insofern setzen wir auf eine Erhöhung der Förderung.
In einem Interview haben Sie erwähnt, dass SRH für einen so genannten Migrationszeitraum 2022/2023 die Konzentration der stationären Versorgung in Sigmaringen entwickelt und somit die Abwicklung der kleineren Standorte quasi plant?!
Sollten sich die Gesellschafter für die Empfehlungen der Geschäftsführung entscheiden, müssen diese umgesetzt werden. Mit einem sogenannten Migrationsplan bereitet sich die Geschäftsführung darauf vor. Klar ist aber, dass zunächst das Ergebnis der Zweitmeinung abgewartet wird. Entschieden ist noch nichts.
Der Aufsichtsrat hat im September 2021 der Empfehlung des Erstgutachtens, die kleinen Häuser zu schließen, doch zugestimmt?
Ja, es gab eine breite Mehrheit im Aufsichtsrat für diese Empfehlung, die ich nachvollziehen kann und auch wenn sie uns allen schwer fiel, persönlich für richtig halte. Aber weil wir alle um die Tragweite einer solchen Entscheidung wissen, habe ich dem Kreistag auch vorgeschlagen, eine zweite Meinung einzuholen. WMC soll die Empfehlungen des Erstgutachtens für uns bewerten und uns sagen, ob Risiken oder auch Chancen womöglich nicht erkannt wurden.
Wann wird denn das Ergebnis des Zweitgutachtens vorgelegt und wie ist das weitere Prozedere?
Das Gutachten wird im Januar vorliegen.
Und dann?
Dann wird das Gutachten in den Gremien der Gesellschafter vorgestellt. Danach möchten wir es auch den Bürgerinnen und Bürgern transparent vorstellen. Spätestens im März müssen die Gesellschafter SRH, Kreistag und Spitalfonds Pfullendorf dann eine Entscheidung über die Klinikstruktur treffen. Ich hoffe sehr, dass uns das Zweitgutachten dann auch erste Ideen für eine Nachnutzung geben wird.
Eine Idee ist die Etablierung von Medizinischen Versorgungszentren (MVZ)?
Die Kliniken haben schon 2016 mehrere Tochtergesellschaften, sogenannte MVZs gegründet. Und es ist das klare Ziel der Gesellschafter, den Menschen in den MVZs ein Angebot für die ambulante Versorgung zu machen. Aber das liegt nicht allein in unserer Hand, sondern erfordert die Zustimmung der niedergelassenen Ärzte, der Kassenärztlichen Vereinigung (KVBW). Der Wille und die Bereitschaft der MVZs ist da. Im Übrigen müssen wir uns kreisweit gemeinsam mit der Ärzteschaft die medizinischen Versorgungsstrukturen anschauen. Nicht nur bei den Hausärzten gibt es Handlungsbedarf.
Ein anderes Thema. Die Landesregierung will die Windkraft massiv ausbauen. Gibt es aktuell Anfragen für den Bau von Anlagen im Kreis Sigmaringen?
Der Ansatz der Landesregierung ist absolut richtig. Der Energieverbrauch nimmt zu und wenn wir aus Atomkraft, Kohle und womöglich auch Gas aussteigen, müssen wir schnell mehr erneuerbare Energiequellen zur Verfügung haben.
Aktuell liegt uns kreisweit kein vollständiger Antrag auf Errichtung einer Windkraftanlage zur Genehmigung vor. Wir rechnen aber damit, dass in diesem Jahr der Antrag für Anlagen in Bingen vervollständigt wird. In Veringenstadt wird derzeit eine Anlage gebaut, auch hier könnte eventuell. noch ein Antrag auf weitere Anlagen folgen. Auch für den Bau von Freiflächen-Photovoltaikanlagen rechne ich mit Anträgen.
Mobilität und öffentlicher Personennahverkehr (ÖPNV). Im Kreis wurde eine weitere Regiobus-Linie mit verlässlichem Stundentakt installiert. Was ist aus Ihrer Sicht nötig, um im Ländlichen Raum eine verlässliche ÖPNV-Struktur zu bekommen?
Mit den Regiobuslinien haben wir die Grundachsen gestärkt, auf die nun andere Busverkehre angebunden werden müssen. Wir müssen den Takt weiter erhöhen. Nur wenn die Bürger einen verlässlichen ÖPNV haben, der so einfach wie möglich funktioniert, werden mehr Menschen auf Bus und Bahn umsteigen. Im Landratsamt haben wir einen Arbeitskreis ÖPNV eingerichtet und sind auch in Gesprächen mit den Busunternehmen.
Was hat Ihnen die Entscheidung für eine erneute Kandidatur als Landrätin im April 2022 leicht gemacht?
Die Zusammenarbeit mit dem Kreistag und meinen Mitarbeitenden macht große Freude. Es ist ein konstruktives und produktives Miteinander, das Spaß macht. Wir haben uns viel vorgenommen. Das will ich weiter voranbringen, genauso, wie ich noch viel Neues anstoßen möchte.
Fragen: Siegfried Volk