In der Region fehlen in Industrie und Handwerk fast überall Fachkräfte. Jetzt hat die Bundesregierung mit ihrem Entwurf eines „Facharbeiterzuwanderungsgesetzes“ einen Gesetzentwurf auf den parlamentarischen Weg geschickt, der dieses Problem bundesweit anpacken soll. In dem Gesetz, das ab 2020 gelten soll, geht es kurz gesagt darum, Fach- und Nachwuchskräften aus dem Nicht-EU-Ausland Einreise, Arbeit und Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland zu erleichtern. Gute Deutschkenntnisse sowie schulische oder berufliche Qualifikationen sieht der Gesetzentwurf als Grundvoraussetzungen vor. Wie eine Umfrage unter lokalen Arbeitgebern zeigt, empfinden sie den Fachkräftemangel als einen der größten Risikofaktoren für die weitere wirtschaftliche Entwicklung in der Region. Unter den befragten Unternehmen gibt nur die Firma Bizerba an, gegenwärtig keine nennenswerten Personalprobleme zu haben.
Facharbeitersektor besonders stark betroffen
Nina Gerstenkorn ist Pressereferentin bei der Industrie- und Handelskammer (IHK) Bodensee-Oberschwaben in Weingarten. Sie betont: „Der Fachkräftemangel betrifft besonders den Facharbeitersektor.“ IHK-Präsident Martin Buck habe schon vor Monaten davon gesprochen, dass in der Region ein akuter Mangel an Fachkräften herrsche und diesen Mangel als „einen der Risikofaktoren“ bezeichnet. Dem Ergebnis einer IHK-Umfrage zufolge, würden fast 30 Prozent der befragten Betriebe bei einem vertretbaren bürokratischen Aufwand qualifizierte Mitarbeiter aus einem Nicht-EU-Land einstellen.
Fachkräftemangel als Wachstumshemmer
Einer der Unternehmer, die tagtäglich mit dem Problem fehlender Fachkräfte konfrontiert sind, ist Günter Stecher von der Stecher-Automations GmbH in Sauldorf-Krumbach. Das Familienunternehmen ist auf einen Stamm guter und zuverlässiger Fachleute angewiesen. Er sagte im SÜDKURIER-Gespräch: „Im Moment ist der Fachkräftemangel ein großer Wachstumshemmer in der Region.“ Das betreffe dank der Fachhochschulen in der Region zwar weniger den Akademikerbereich, aber deutlich den Facharbeitersektor. Fachkräfte würden trotz der gegenwärtigen Konjunkturdelle in der gesamten Region gesucht. Deshalb erhofft sich der Geschäftsführer, dass durch das neue Gesetz entsprechende Fachkräfte den Weg nach Deutschland und besonders in den Raum Meßkirch finden könnten.
Firmen bewerten Gesetzentwurf positiv
Ähnlich sieht Andreas Kupka das Problem. Der Chef des Stettener Herstellers von Soft- und Hardware für integrierte Sicherheitssysteme, Primion Technology, erklärte gegenüber dieser Zeitung: „Der Fachkräftemangel ist für Primion ein ernst zu nehmendes Problem. Dem hohen Bedarf und der damit verbundenen Investitionsbereitschaft von Unternehmen nach Sicherheitssystemen steht aktuell ein leer gefegter Fachkräftemarkt gegenüber.“ Das Gesetz gehe in jedem Fall in die richtige Richtung. Als Erwartung an den Gesetzgeber fügte Andreas Kupka hinzu: „Meines Erachtens sollte jedoch geprüft werden, ob und wie wir die bereits im Land befindlichen Menschen der jüngsten Migrationswellen qualifizieren und ihnen damit eine sinnvolle Perspektive bieten.“

Nicht überall gibt es Personalsorgen
Völlig anders sieht die Welt bei Bizerba aus. Der weltweit tätige Familienkonzern beschäftigt insgesamt 4400 Mitarbeiter. In Balingen sind es 1400 und in Meßkirch stehen 200 Beschäftigte auf der Lohn- und Gehaltsliste. Pressesprecher Markus Ketterer sagte: "Wir beobachten die Aktivitäten des Gesetzgebers. Wir werden uns aber erst im Laufe des Jahres damit beschäftigen, wie wir konkret auf die ab 2020 neue Gesetzeslage reagieren." Bizerba habe dank seiner Personalpolitik und der intensiven Ausbildung von Nachwuchskräften derzeit keine akuten Schwierigkeiten, die Expertenstellen zu besetzen.

Handwerk setzt große Hoffnungen in neues Gesetz
Das Handwerk hat mit ähnlichen Personalproblemen zu kämpfen wie die Industrie. Angesprochen auf das neue Gesetz meint Karl Griener, der Geschäftsführer der Kreishandwerkerschaft in Sigmaringen: „Auf dieses Gesetz warte ich schon seit Langem.“ Es gebe im Handwerk eigentlich keine Bereiche ohne Fachkräftesorgen. Stark betroffen sei vor allem das Bauhauptgewerbe. In dem geplanten Gesetz sehe er „sehr wohl“ die Möglichkeit, neue Fachkräfte für das heimische Handwerk zu gewinnen.
Keine genauen Zahlen zum Fachkräftemangel im Handwerk insgesamt
Wie hoch der Fachkräftemangel im Handwerk genau ist, lässt sich selbst im Computerzeitalter nicht exakt feststellen, wie Rolf Gehring von der Arbeitsagentur und Udo Steinort von der Handwerkskammer Reutlingen übereinstimmend feststellen. Zwar nutzen sie unterschiedliche Datenbanken. Doch können Beide nur die Fehlstellen in einzelnen Berufssparten, nicht aber in einem Gesamtbereich wie „Handwerk“ ermitteln.
Im Bereich der IHK Weingarten ergab eine Umfrage im vergangenen Herbst, dass 60 Prozent der befragten Betriebe Probleme bei der Stellenbesetzung hatten. Dem stehe, so die IHK, eine Arbeitslosenquote von lediglich 2,5 Prozent gegenüber.
Der Gesetzentwurf
Am 19. Dezember stellte die Bundesregierung in Berlin den Entwurf für ein „Fachkräfteeinwanderungsgesetz“ vor. Das Gesetz muss noch den Bundestag passieren und soll am 1. Januar 2020 in Kraft treten. Wie das Bundesinnenministerium auf seiner Internetseite erklärt, sollen die neuen Regelungen die Einwanderung von Fachkräften aus dem Nicht-EU-Ausland „fachgerecht steuern und stärken“. Mit „Fachkräften“ sind erstmals nicht nur Akademiker gemeint, sondern alle Beschäftigten mit einer qualifizierten Berufsausbildung.
Besonders interessant ist beispielsweise für die Absolventen deutscher Auslandsschulen, dass sie zur Ausbildungs- und Studienplatzsuche nach Deutschland kommen können. Generelle Voraussetzung sind gute, auf das berufliche Umfeld zugeschnittene Deutschkenntnisse. Die Schulabsolventen müssen aber ebenso wie die Arbeitsplatzsuchenden während des Deutschlandaufenthalts ihren Lebensunterhalt selbst bestreiten. Beide Regelungen sollen für fünf Jahre auf Probe eingeführt werden.
Zusätzlich, so das Ministerium, werde die Möglichkeit zur Einreise zum „Zweck der Anerkennung einer im Ausland erworbenen beruflichen Qualifikation ausgebaut und verstärkt“. Die Vorrangprüfung für Deutsche und EU-Bürger entfällt. Damit muss nicht mehr vor einer Einstellung geprüft werden, ob für die Arbeitsstelle Bewerber aus der EU zur Verfügung stehen. Die bisherige Beschränkung auf bestimmte Mangelberufe soll entfallen.
Der Entwurf enthält auch eine Regelung für gut integrierte Geduldete. Damit will der Gesetzgeber auf Klagen aus der Wirtschaft wegen der Abschiebung von Mitarbeitern reagieren.