Ist es möglich, daheim, in den eigenen vier Wänden, vor dem Computer mittelalterliche Handwerkstechniken zu lernen? Ja – das zeigte das fünftägige Workshopseminar der Jugendbauhütte Baden-Württemberg vom 19. bis 23. April in Kooperation mit Campus Galli. Seit 2019 ist Campus Galli in Meßkirch Kooperationspartner der Jugendbauhütte Baden-Württemberg. Die Mittelalterbaustelle selbst ist derzeit aufgrund der Vorgaben durch die Corona-Verordnung noch für den Besucherverkehr geschlossen.
Für Leiter David Nonnenmann ein Experiment
So kamen Schmiede, Weber und Töpfer kurzerhand online zu den 22 Freiwilligen und verlegten den praktischen und theoretischen Unterricht mit alten Handwerkstechniken in den digitalen Raum. „Es ist ein Experiment, bei dem das 9. Jahrhundert auf das 21. Jahrhundert stößt“, beschreibt es David Nonnenmann, Leiter der Jugendbauhütte Baden-Württemberg.

Allen Teilnehmern hatte Nonnenmann vorab ein Paket mit den erforderlichen Projektmaterialien wie frische, ungewaschene Schafwolle, Stoff, Modelliermasse und einen Schleifstein zugeschickt. Am vergangenen Dienstag stand die „Wollverarbeitung“ auf dem Themenplan. Campus-Galli-Weberin Mechthild zeigte den Freiwilligen, wie die ungewaschene Schafwolle mit einer Weberkarde (Kardendistel) bearbeitet wird. Aus Holz und Modelliermasse stellten die Workshopteilnehmer ihre eigene Spindel her und nähten von Hand eine Tasche. Auch die Verpflegung im Mittelalter war Thema der Woche und so kochten die jungen Menschen zuhause ein mittelalterliches Gericht. Die Schmiede Thilo Olschewski und Johannes Wolf wiesen am Mittwoch die jungen Menschen in die Technik des Messerschleifens ein. Innerhalb von zwei Minuten könne man ein Messer schärfen, erläuterten die Schmiede. So könne beispielsweise auch der unglasierte Rand auf der Unterseite eines Untertellers oder einer Tasse als „Schleifstein“ benutzt werden. Immer wieder hatten die Teilnehmer die Möglichkeit, direkt ihre Fragen zur Umsetzung an die Experten zu richten. Als Ersatzwerkstoff für Lehm wurde beim Töpfern eine Modelliermasse eingesetzt.

Großes Interesse bei Pirmin und Jero Lehr
Pirmin und Jero Lehr wohnen derzeit in Meßkirch. Die Zwillinge arbeiten aktuell als Freiwillige auf Campus Galli und nahmen am Workshopseminar teil. Jero Lehr (19 Jahre) erläutert: „Im Wesentlichen hat sich an unseren Tätigkeiten als FSJler auf Campus Galli nicht viel geändert. Dadurch, dass derzeit kein Besucherbetrieb ist, kann ich mich mehr meinen handwerklichen Tätigkeiten widmen. Schade ist, dass ich dadurch auch keine Besucher informieren kann.“ Sein Bruder Pirmin hat sich aufgrund seines Interesses für alte Handwerkstechniken und dem Interesse, mit den eigenen Händen aus Naturmaterialien etwas Nützliches und Schönes herzustellen für den Freiwilligendienst auf Campus Galli entschieden. Besonders gefallen dem 19-Jährigen die Vielfalt der Handwerker auf dem Campus und die Ausübung der alten handwerklichen Tätigkeiten.
Workshopinhalte sehr gut umsetzbar

Workshopteilnehmerin Pauline Lehmann, 19 Jahre, aus Zwiefalten erklärte im Gespräch mit dem SÜDKURIER: “Neugier und Interesse kombiniert aus historischem Interesse und Handwerk waren meine Gründe für den Freiwilligendienst bei der Jugendbauhütte. Nach dem Abitur hatte ich den starken Wunsch mich handwerklich zu betätigen, bevor ich die Uni-Bank drücke.“ Die 21-jährige FSJ-lerin Chiara Gaugel aus der Nähe von Schwäbisch Hall ist Sprecherin der Gruppe und als Restauratorin im Metallbereich tätig: „Ich finde es richtig cool, dass wir so praktisch arbeiten, viel mit der Hand machen und Campus Galli live erleben. Die Workshopinhalte sind super umsetzbar, auch dank des Materials, das wir vorab zugeschickt bekommen haben.“ Auch David Nonnenmann sieht dieses digitale Workhopseminar als Chance, auch künftig bundesweit gefragte Referenten auf diesem Weg zu Projekten zuschalten zu können.
Die Jugendbauhütte Baden-Württemberg
Die Jugendbauhütten sind ein Projekt der Deutschen Stiftung Denkmalschutz in Trägerschaft der internationalen Jugendgemeinschaftsdienste. Die Jugendbauhütten weiten sich seit 2001 deutschlandweit aus und kamen 2019 nach Baden-Württemberg. Sie haben das Ziel, jungen Menschen zwischen 16 und 26 Jahren im Rahmen eines Freiwilligen Sozialen Jahres (FSJ) oder Bundesfreiwilligendienstes in der Denkmalpflege für historische Bauten zu begeistern und für die vielfältigen Berufsfelder der Denkmalpflege zu gewinnen. Das Jugendbauhüttenjahr startet jährlich am 1. September für die Dauer von zwölf Monaten. Die Freiwilligen arbeiten für ein Jahr in Betrieben und Einrichtungen der Kultur-und Denkmalpflege in Baden-Württemberg mit. Die Arbeit in den Einsatzstellen wird durch sechs Seminarwochen ergänzt. Die Jugendbauhütte Baden-Württemberg hat ihren Sitz in Esslingen am Neckar. Leiter ist David Nonnenmann.