Wir treffen uns in Rengetsweiler mit dem Ornithologen Thomas Haug. Unser Vorhaben: mindestens eine Turteltaube aufspüren. Vermutlich sind es insgesamt sechs, also drei Brutpaare, die im Meßkircher Teilort Quartier bezogen haben. Dieser Vogel, der südlich der Sahara überwintert, ist in Siedlungen etwas ganz Seltenes. „Das ist wie ein Ritterschlag für Rengetsweiler“, formuliert es Haug. Der Ort hat es ihm aus vogelkundlerischer Sicht angetan. Nicht nur wegen der Turteltaube. Die naturnahe Verzahnung von Feld und Flur mit dem Dorf, das Vorhandensein offener Flächen und hoher Bäume.

Gesang und Gefieder fallen auf

„Es gibt alte, im positiven Sinn verwilderte Gärten“, weist Haug immer wieder auf Strukturen hin, die Vögeln und Insekten zugutekommen. „Ich freue mich, wenn nicht alles picobello aussieht in den Gärten.“ Er lobt Rasenflächen mit Blühinseln, Hecken zum Verstecken, Kühe mitten im Ort, efeubewachsene Fassaden und einheimische, artenreiche Bepflanzung. Laubbäume sind im Gefüge ebenso wichtig wie Nadelbäume, erklärt der Biologe bei unserem Rundgang durch den Ort. Ohne Nadelgehölz bleiben zum Beispiel Tannenmeise und Grünfink aus. Zum ersten Mal hat Haug die Turteltaube in Rengetsweiler im vergangenen Jahr gesehen – und vor allem akustisch wahrgenommen. „Gesanglich hat die Turteltaube einen ganz anderen Sound, sehr präsent und spürbar“, schwärmt er. Überhaupt sei die Taube extrem hübsch mit ihrem schön gezeichneten Gefieder.

Die Turteltaube hat ein besonders schönes Gefieder und ihr Gesang ist markant. Es unterscheidet sich vom typischen Gurren der ...
Die Turteltaube hat ein besonders schönes Gefieder und ihr Gesang ist markant. Es unterscheidet sich vom typischen Gurren der Stadttaube. Die Turteltaube gilt als Symbol des Glücks und der Liebe. | Bild: Thomas Haug

Gezwitscher ab Sonnenaufgang

Es ist 8 Uhr morgens, in den Kastanien am Bolzplatz bei der Randhalle zwitschern die Spatzen. „Einer der frühesten Sänger ist der Hausrotschwanz. In der Stadt fangen Vögel wegen der vielen Beleuchtung oft schon vor Sonnenaufgang an, zu zwitschern, auf dem Land geht es mit dem Sonnenaufgang los“, erzählt Haug. Das Singen hat den Zweck, einen Partner anzulocken, aber auch, das Revier abzugrenzen. Ein Schwarz- und ein Rotmilan ziehen am Himmel ihre Kreise, Schwalben schießen vorbei, auf der Stromleitung sitzen nebeneinander eine Amsel, eine Bachstelze, ein Star und eine Kohlmeise.

Das könnte Sie auch interessieren

Spatzen mögen PV-Anlagen

„Das ist ein Vogel-Hotspot“, schmunzelt Haug und deutet auf ein Bauernhaus mit Nebengebäuden. Mehlschwalben finden Bruthöhlen unter dem Dachvorsprung, es gibt Nistkästen für Stare und einen Schopf mit vielen Schlupflöchern. Auch für die PV-Anlage auf dem Hausdach findet Haug positive Worte. „Spatzen bauen ihre Nester gerne unter Solar-Module, das richtet keinen Schaden an, außer man stört sich am Gezwitscher.“ Sein geschultes Gehör identifiziert die unterschiedlichsten Vogelstimmen und sein Auge erspäht jedes Flattern. Der freiberufliche Ornithologe aus Sentenhart ist ein echter Experte auf seinem Gebiet. Zu seinen Aufgaben gehören zum Beispiel Brutvogelkartierung und Greifvogelmonitoring. Beim Bau einer neuen Straße oder eines Wohngebiets wird er zur artenschutzrechtlichen Prüfung hinzugezogen. Mit dem Naturschutzzentrum Obere Donau oder den Fachbereich Forst am Landratsamt bietet er Exkursionen an.

Vielfältig bepflanzte Gärten wie dieser in Rengetsweiler bieten Tieren einen willkommenen Lebensraum. Hier finden sie Nahrung und Deckung.
Vielfältig bepflanzte Gärten wie dieser in Rengetsweiler bieten Tieren einen willkommenen Lebensraum. Hier finden sie Nahrung und Deckung. | Bild: Johanson, Kirsten

Jagd auf Turteltauben

Seit 1980 sind laut NABU fast 90 Prozent der Turteltauben-Bestände in Deutschland verloren gegangen. Geeignete, strukturreiche Lebensräume, wie man sie in Rengetsweiler noch findet, werden immer weniger. Eine intensiv betriebene Landwirtschaft, der Rückgang von Ackerwildkräutern und anderen Sämereien machen der Taube zu schaffen. Der Mensch ist auch deshalb eine ernst zu nehmende Gefahr für die Turteltaube, weil er sie jagt und abschießt. Allein in der EU, etwa in Frankreich und im Mittelmeerraum, werden nach NABU-Angaben jährlich rund zwei Millionen Turteltauben getötet. Beim Rundgang begegnet uns eine hellgraue Türkentaube und auch eine Ringeltaube, die größte heimische Art.

Dies ist eine klassische Stadt- oder Straßentaube, die Kulturfolger brüten in großen Kolonien in Taubenschlägen und bevölkern Plätze.
Dies ist eine klassische Stadt- oder Straßentaube, die Kulturfolger brüten in großen Kolonien in Taubenschlägen und bevölkern Plätze. | Bild: Julian Stratenschulte

Der 58-Jährige spitzt die Ohren. War da nicht gerade der Gesang der Turteltaube zu hören? Er schüttelt bedauernd den Kopf. Haug spielt von seinem Handy eine Audioaufnahme ab. Mit dem Gurren einer Straßentaube ist das wirklich nicht zu vergleichen. Es klingt viel schnurriger, nicht abgehackt, und fast melodiös. „Ich hab die Taube heute morgen schon bei der Kirche gehört“, sagt ein vorbeikommender Fußgänger. Auch Ulrike Löffler vom Sommercafé im Grünen berichtet, dass der seltene Vogel am Vorabend gesungen hat.

Bild 4: Turteltaube brütet in Rengetsweiler
Bild: Thomas Haug

Es gibt sie also in Rengetsweiler, auch wenn sich die Turteltaube an diesem Donnerstag der Presse nicht zeigen will. Der typische Vorführeffekt. „Meine Vermutung ist, dass die Tauben schon brüten, dann singen sie weniger, sondern sitzen überwiegend still auf dem Nest“, so Thomas Haug.