Das hat man lange nicht erlebt: Orchester, Chor, Solisten, Publikum ohne Masken, wenn auch die Meßkircher Stadthalle auf Abstand gestuhlt, eine gelöste Stimmung, Begegnung mit lange nicht gesehenen Bekannten, viele Gespräche. Frieder Bernius war mit der Hofkapelle und dem Kammerchor Stuttgart an den Geburtsort von Conradin Kreutzer gekommen, um Auszüge von dessen Oper „Der Taucher“ konzertant aufzuführen. Bürgermeister Arne Zwick dankte ihm dafür, wie auch allen Sponsoren und Helfern für das Zustandekommen dieser aufwendigen Veranstaltung.
Zu Unrecht vergessenes Werk
Bernius war es immer schon wichtig, zu Unrecht vergessene Werke der südwestdeutschen Musiklandschaft aus den Archiven zu holen und dem heutigen Publikum vorzustellen. „Der Taucher“, 1813 im Königlichen Hoftheater in Stuttgart uraufgeführt, ist Bernius‘ siebte Neuausgrabung eines Archivschatzes (die Originalnoten liegen in der Württembergischen Landesbibliothek). Neben der Stuttgarter Erstfassung hat er auch die mit nachkomponierten Rezitativen vervollständigten Wiener Fassungen von 1824 und 1834 berücksichtigt.

Die Hofkapelle Stuttgart, eine der Ensemblegründungen von Frieder Bernius, hat sich seit 2006 in die Musik des frühen 18. Jahrhunderts eingespielt. Sie vermittelt auf historischen Instrumenten (Blasinstrumente ohne Klappen, Querflöten aus Holz, Streicher mit Darmsaiten, tiefere Stimmung) die besondere Ästhetik und Spieltechnik zwischen Klassik und Romantik und damit für uns Heutige den Höreindruck, so ähnlich müsste es bei Aufführungen unter Kreutzers Stabführung geklungen haben. Zwei Kontrabässe, zwei Fagotte, vier Hörner, drei Posaunen sorgten für den von Kreutzer geliebten robusten Grundklang. Der Dirigent, bekannt als Klangästhet, arbeitete die vielen den Text untermalenden, ausdeutenden und verstärkenden Orchestermotive heraus.
Rettung, Ritterschlag und Eheglück
Während der Taucher in Schillers berühmter Ballade von den Wellen verschlungen wird, verhilft in der romantischen Oper der Librettist Samuel Gottlieb Bürde mit Unterstützung der gütigen Fee Morgana und ihrer Nixen dem Helden zu Rettung, Ritterschlag und Eheglück. Der Ulmer Dramaturg Bernd Schmitt schrieb die einführenden und verbindenden Texte vor und zwischen den ausgewählten musikalischen Stücken, Pascal Zurek las die launigen und manchmal ironischen Reime, die manche Besucher zum Schmunzeln brachten. Aber auch der Ernst fehlte nicht: So zum Eingang die Erinnerung an den Ukrainekrieg und an den Brudermord im Alten Testament, die zu einem Hauptmotiv der Oper überleiten: dem Bruderzwist zwischen den Herzogssöhnen Alphonso und Lorenzo. Und dann der ganz aktuelle Wunsch nach Frieden im Schlusschor der Oper: „Friede dir sey Lob und Preis, weiche nie aus diesem Kreis, aus unserm Kreis.“
Stimmen überzeugen
Die Sopranistin Sarah Wegener sang ausdrucksstark die Rolle der Alphonsine, die ihren verbannten Vater vermisst, mit dem ungeliebten Antonio verlobt werden soll, aber den im Wald lebenden Ivo liebt. Der Sopranist (neudeutsch: Countertenor) Philipp Mathmann sang den Ivo, den späteren Taucher, der beschließt, sich eine Frau zu suchen, wobei ihm die Fee Morgana hilft, indem sie ihm, der in seiner Einsamkeit wenig Gelegenheit zu Bekanntschaften hat, im Traum Alphonsine zeigt. Es ist nicht sicher, ob jemals vorher ein Countertenor in Meßkirch zu hören war, aber er bekam für das neuartige Hörerlebnis und seine klare Stimme viel Beifall. Johannes Hill sang den Herzog Lorenzo von Messina, Daniel Schmid den Herzog Antonio von Calabrien. Der Kammerchor Stuttgart eroberte gleich zu Beginn das Meßkircher Herz mit dem Jagdchor: „Verglüht sind schon die Sterne“, einem Leib- und Magenlied des Kreutzerchors.
Was auch positiv zu bewerten ist: Auf jedem Platz lag ein opulent ausgestattetes Programmheft mit viel Text, darunter einer von Armin Heim, einem Nachfahren der Kreutzerfamilie, das aufzuheben sich lohnt.
Was der Rezensent 1834 schrieb, gilt auch für heute: „Die Vorzüge, die wir an diesem Werke gerühmt, und worunter wir besonders die Lieblichkeit der Melodie bezeichnet haben, errangen ihm vorzüglich dadurch das Glück des Beifalls. Hr. Kreutzer wurde zweimal hervorgerufen.“ Das hat die Meßkircher Aufführung getoppt.