Er nannte sich auf seinen für alle öffentlich zugänglichen Twitter-Konten „Dr. Lustmolch“, „Mastdarm“ oder „An die Wand mit dir“. Unter diesen Nutzernamen soll der 27-jährige Angeklagte zwischen 2022 und 2023 diverse Hetzbotschaften mit verherrlichten NS-Inhalten und abgebildeten Hakenkreuzen abgesetzt haben. Wegen nachgewiesener Volksverhetzung in sechs Fällen verurteilte Richterin Julia Veitinger am Amtsgericht Sigmaringen den gebürtigen Pfullendorfer zu einer zehnmonatigen Freiheitsstrafe, die für zwei Jahre zur Bewährung ausgesetzt wird.
250 Liter Schwefelsäure gelagert
In den Beiträgen des Angeklagten wurden explizit Menschen aus dem Irak, Syrien und Indonesien verunglimpft, ihnen die Rückkehr ins „Affenland“ oder gar die Kastration empfohlen. Auch Bundesinnenministerin Nancy Faser nahm er in derber Form aufs Korn. Die unter dem NS-Regime ermordete und wegen ihres Tagebuchs bekannte Jüdin Anne Frank bezeichnete er als Lügnerin. Zudem lieferte er Anleitungen zum Bau von Sprengsätzen. Bei einer Wohnungsdurchsuchung im August 2023 wurden bei ihm 250 Liter gelagerte Schwefelsäure entdeckt, zu deren Besitz er nicht berechtigt war. Die ätzende Flüssigkeit habe er zum Entkalken gebraucht und sie problemlos bei einem großen Online-Versandhändler erwerben können, versuchte er sich zu rechtfertigen. Ein Polizeibeamter aus Ravensburg bezeichnete die Schwefelsäure als Zufallsfund.
Beschuldigter gibt Selbsthass an
„Es tut mir leid, ich war schwerer Alkoholiker und in jener Zeit in einem psychiatrischen Institut stationär in Behandlung“, erklärte der Angeklagte, den Tränen nahe. Seine Taten begründete er mit manischen Depressionen, unter bipolaren Störungen würde er schon sehr lange leiden. Im Suff hätte er des Nachts sich dann jeweils irgendetwas zurecht geschwurbelt, im Nachhall sei es komplettes Wirrwarr gewesen: „Ich hatte Hass auf mich selbst, Hass auf andere und befand mich im Größenwahn!“ Mehrfach beteuerte er vor Gericht: „Ich bin kein Nazi, mehr kann ich dazu nicht sagen!“ Gleichzeitig verwies er auf seine Verlobte, die jüdischer Abstammung sei. Gott sei Dank würde er keinen Alkohol mehr trinken, sagte der Angeklagte, was er im Prozessverlauf mit seiner Äußerung, den Durst hin- und wieder mit einem Radler zu löschen, wieder relativierte. Der junge Mann hatte sich nach seinem Abitur zum Studium eingeschrieben, wurde aber zweimal wegen von ihm nur angedeuteter Vorfälle vorzeitig exmatrikuliert.
Staatsanwältin sieht keine Anhaltspunkte für Aufhebung der Schuldfähigkeit
Staatsanwältin Corinna Koch sah die Anklage in allen Punkten bestätigt. Sein Profilbild sei in den Accounts gefunden worden, sämtliche Tweets hätte er von zuhause abgesetzt, auch wenn er sich an manches nicht so recht zu erinnern vermöge. Als studierter Chemiker könne er sich beim Erwerb der Säure nicht auf Unwissenheit stützen. Für eine Aufhebung seiner Schuldfähigkeit sehe sie keine Anhaltspunkte, seine Erkrankung spräche lediglich für eine Schuldverminderung. Negativ würde ins Gewicht fallen, dass der Angeklagte mit dem Gesetz bereits in Konflikt geraten war. Fünf Eintragungen stehen im Strafregister, darunter Verstöße gegen das Betäubungsmittelgesetz, wegen fahrlässiger Körperverletzung und dem Gebrauch eines nicht zugelassenen Fahrzeugs. Zudem wandte er gegenüber einem Kommilitonen K.o.-Tropfen an.
Absetzen der Medikamente wird als grob fahrlässig gewertet
Das in ihrem Plädoyer geforderte Strafmaß fand sich im Urteilspruch von Richterin Julia Veitinger wieder, dessen bekundetes eigenmächtiges Absetzen der Medikation bewertete sie als grob fahrlässig. „Sie haben gesagt, dass sie ihre Probleme und ihr Privatleben angehen werden. Es ist ihre letzte Chance und eine eindrückliche Warnung zugleich“, gab sie dem Verurteilten mahnend mit auf den Weg. Dem Verurteilten, der in einem Nachbarschaftskreis von Pfullendorf lebt, wird eine Bewährungshilfe beigestellt. Er hat zudem 100 gemeinnützige Arbeitsstunden abzuleisten. Als weitere Auflage muss er begonnene Beratungsgespräche in einer psychiatrischen Institutsambulanz nachweislich fortführen.