Danach liegt man auf einer Welle von Serotonin. Davor gilt es aber, den inneren Schweinehund zu besiegen: vorsichtig ins Wasser, ruhig atmen und den Körper langsam an die Temperatur gewöhnen. Dann mit den Armen rein und ein paar Meter schwimmen. Nicht mehr Minuten im Wasser bleiben als das Thermometer anzeigt. Dann raus und warme Klamotten anziehen. Langsam verschwindet die Kälte und irgendwann kommt die Welle von Glücksgefühlen angeschwappt.
Eisschwimmer auf TikTok und Instagram
Eisbaden ist beliebt wie nie. Bei der Wassersportaktivität geht es darum, in kalten Gewässern unter fünf Grad zu schwimmen. Für viele ist es einerseits ein Kick, andererseits soll es gut für die Gesundheit sein. Auf Instagram oder TikTok posten Menschen mittlerweile, wie sie in die Eistonne oder in kalte Seen gehen. Auch in der Bodenseeregion haben viele das Eisbaden entdeckt. Einige gehen mehrmals die Woche ins kühle Nass oder nutzen Angebote zum gemeinsamen Schwimmen, wie beim Linzgauverein Überlingen. Die DLRG Salem hat mehrfach das Anbaden im Salemer Schlosssee im Januar veranstaltet – und damit für viele ein beliebtes Winterritual geschaffen.
Fast jeden Tag im Eiswasser
Für Paul Bieber ist Eisschwimmen mehr als nur ein Winterritual. Der 40-Jährige ist Extremsportler und ein Mal am Tag im Eiswasser. Er ist zudem Weltmeister in der Sportart und hält zwei deutsche Rekorde: für die längste zurückgelegte Distanz am Stück und die meisten Eismeilen (eine Eismeile sind etwa 1600 Meter). „Für mich ist Eisschwimmen ein großer Kick, aber auch Faszination, Naturverbundenheit und das Austesten von Grenzen“, sagt er.
Bieber bietet Eisschwimmkurse in Wasserburg an. Seine Teilnehmer sind meist zwischen 30 und 60 Jahren alt und müssen vor dem Kurs eine ärztlich Untersuchung bestanden haben. Vor Ort macht der Extremsportler mit ihnen einen EKG-Test, weist sie ein, geht mit ihnen ins Wasser und überwacht ihren Puls mit einer Pulsuhr. Nach einem ersten Probelauf, gehen die Teilnehmer dann erneut ins Wasser und schwimmen ein paar Meter mit dem Allgäuer.
„Definitiv ein Stimmungsaufheller“
„Viele machen die Kurse, um das Abenteuer in Begleitung zu erleben“, sagt er. Den Trend zum alleinigen Eisbaden findet er dagegen gefährlich. Viele würden unvorbereitet und ohne notwendige Sicherheitsvorkehrungen ins Wasser steigen, meint er. „Es ist aber wichtig, dass Herz, Lunge und die Durchblutung der Venen überprüft wurden.“ Außerdem sollten Schwimmer niemals allein gehen und Schutzausrüstung wie eine Boje mitnehmen. Denn: „Im schlimmsten Fall können Schwimmer eine Panikattacke oder einen Herzinfarkt bekommen.“
Ob Eisschwimmen gesundheitliche Vorteile habe, könne er nicht definitiv sagen. Als Extremsportart, wie Bieber es praktiziert, sei es „definitiv nicht gesund“, sagt er mit einem Grinsen. „Im normalen Rahmen ist es aber definitiv ein Stimmungsaufheller.“ Einige Teilnehmer seiner Kurse seien zudem Rheuma-Patienten oder Menschen mit Muskelschmerzen. „Sie haben anschließend weniger Schmerzen und fühlen sich besser“, berichtet er.
Studien: Fördert allgemeines Wohlbefinden
In welchem Maße Eisbaden gesund ist, darüber ist die Wissenschaft noch uneins. Mehrere Studien konnten bislang herausfinden, dass das regelmäßige Eisbaden zumindest bei gesunden Menschen das allgemeine Wohlbefinden steigert. Eine Studie eines internationalen Forscherteams fand 2020 heraus, dass regelmäßiges Eisbaden unter anderem den Blutkreislauf, das Immunsystem und das Hormonsystem anregt. Die Forscher wiesen in ihrer Analyse aber auch auf die Gefahren für unerfahrene oder untrainierte Schwimmer hin.
Diese Gefahren lauern beim Eisbaden
Ähnlich sieht es auch Roland Simeoni, Chefarzt der Kardiologie am Helios-Spital Überlingen. „Eisbaden an sich ist nicht ungesund, aber die Folgen bergen Risiken, die es zu beachten gilt“, sagt er. Kaltes Wasser habe einen großen Einfluss auf das vegetative Nervensystem mit unter Umständen lebensbedrohlichem Abfall der Herzfrequenz. „Ist man einmal im Wasser, droht eine Unterkühlung“, so Simeoni.
Die Faustregel besage, dass man so viele Minuten, wie das Wasser in Grad Celsius warm oder kalt sei, schwimmen könne. Danach drohten, zumeist reversible, jedoch ernste gesundheitliche Folgen. „Auch für die Atmung stellt die Kälte eine Herausforderung dar“, so der Chefarzt. Daher werde ein langsames Herantasten empfohlen, das heißt: den Körper vorsichtig an die neue Situation zu gewöhnen. „Hier kann man im Vorfeld unter der Dusche experimentieren.“
Warum spürt man danach Glücksgefühle?
Dass das Bad im kalten Wasser überhaupt so einen Effekt im Körper auslöst, erklärt er folgendermaßen: „Durch den Kälteschock verengen sich die Gefäße in der Haut und die Blutbahnen im Körperinneren weiten sich aus.“ So werde die Durchblutung der Organe sichergestellt. „Das Stresshormon Adrenalin kurbelt den Kreislauf an, indem es den Puls und Blutdruck in die Höhe jagt. Zugleich erzeugt das Hormon Serotonin Glücksgefühle“, so der Kardiologie.
Doch Eisbaden könne der Mediziner nicht jedem empfehlen. Kindern und Menschen mit Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Untergewicht, Kälteasthma oder Lungenerkrankungen werde generell vom Winterschwimmen abgeraten. „Wer aber gesund ist und nicht an zu hohem Blutdruck leidet, kann dem eisigen Hobby nachgehen“, so Simeoni.