Bad Dürrheim Sich in sozialen Begegnungen zurückzuhalten, ist eine Frage des Takts: eine „alte“ Tugend, die Höflichkeit der Könner. Diese Kulturtechniken des Respekts regeln unaufdringlich die Haltung und den Umgang von Menschen miteinander. Taktvoll ist, wer seinem Gegenüber mit freundlicher Distanz begegnet, ihm/ihr Spielraum lässt, der dem jeweiligen Intimitätsniveau entspricht: Wer uns besonders nah steht, dem können wir auch mehr leibliche und geistige Nähe zutrauen.
Wer über eine gute Menschenkenntnis verfügt, hat auch einen besseren Zugang zum Takt. Ein taktvoller Mensch verfügt über ein gutes Gespür für die Empfindsamkeit seines Gesprächspartners. Dabei kann es aber auch – bei zu viel Einfühlungsvermögen – dazu kommen, dass man sich gar nicht mehr getraut, eine kritische Äußerung, ein direktes Wort zu wagen. Man schweigt dann aus – falscher?- Höflichkeit, weil man ja niemandem zu nahe treten möchte. (Beleidigtsein?)
Die zu beobachtende Überempfindlichkeit einer „woken“ Generation macht es schwer, ihnen gegenüber die im Moment gängigen Begriffe zu nutzen. Die jungen Woke- und Genderaktivisten neigen oft zur fast militanten Empfindsamkeit. Der gebildete Mensch zahlt auf eine Grobheit nicht mit gleicher Münze zurück. Ein höflicher, taktvoller Mensch, wird sich nicht von der Frechheit oder Unverschämtheit eines „Proleten“ anstecken lassen: Sich weder hinreißen lassen, noch ungefragt in die Intimsphäre eines anderen Menschen einzudringen, bedeutet Takt; es ist das Gegenteil von „Übergriffigkeit“.
Das gilt sogar für langgediente Paare. Der Dichter Rilke hat einmal gesagt, man solle an der Einsamkeit des anderen Wache halten, das heißt: sie zur Kenntnis nehmen und sie behüten. Die Schwächen und Empfindsamkeiten des Partners nicht ausnutzen, nicht öffentlich machen – also: den Anderen stets gut aussehen lassen. Dazu gehört eben auch, dass man bestimmte, kritische Themen oder Verhaltensweisen unkommentiert lässt, anstatt auf ihnen herumzureiten.