Bad Dürrheim – Als nicht instinktgeleitetes Lebewesen müssen wir uns immer wieder entscheiden. Auch auf der höchsten sittlichen Ebene der moralischen Wertvorstellungen kommt es immer wieder zu Diskrepanzen.

Wir alle kennen solche Dissensen von konkurrierenden Wertvorstellungen: Menschenrechte gegen Export von Gütern; Sicherheit zuweilen im Gegensatz zur persönlichen Freiheit; Sehnsucht nach Bindung und Bedürfnis nach Selbstbestimmung und so weiter. Der Laie fragt sich zu Recht: „Wozu denn dann überhaupt Werte, wenn man (auch als Regierung) oft dagegen verstößt?“ Die Proklamation von Werten dient der einzelnen Person, aber auch der Allgemeinheit bzw. allen Menschen als Orientierung.

Die erklärten Rechte der Menschen stellen ein Geländer dar, an dem man sich in schwierigem Gelände festhalten und orientieren kann. Wären wir ohne solche Werte (und manche Subkulturen wünschen sich das!), hätten wir das Faustrecht des Stärkeren, die Macht derjenigen, die die „besten“ Waffen hätten – also Chaos und Willkür.

Es geht also in einer freiheitlich-demokratischen Ordnung stets darum, eine gute Balance (zuweilen eben auch die Quadratur des Kreises) hinzubekommen. Werte haben die Besonderheit, dass sie immer auch einen Gegenwert haben. (Tapferkeit/Zivilcourage und Feigkeit; Optimismus und Pessimismus; eine hohe oder auch eine niedrige Verantwortung. Wir kennen dieses dichotome Prinzip auch bei der Gesundheit.) Es geht also immer auch um den Ausprägungsgrad eines Wertes in einer bestimmten Situation.

Es kann in einer Situation richtig sein, dem Kind gegenüber streng bzw. konsequent und zu einer anderen Zeit dafür großzügig und verständnisvoll zu sein. Dies „Sowohl-als-auch“ ist die Kunst der guten Menschenbeeinflussung. Für einen selbst ist es auch eine besondere Fähigkeit, die Kluft zwischen Sehnsucht (nach Liebe, Glück...) und Realität (welche Möglichkeiten habe ich zur Zeit?), zwischen Ich-Kontrolle und Geschehenlassen, zwischen Lust und Pflicht, situativ richtig auszufüllen; es kommt auf die Situation an.

Jede Bemühung um Erfolg ist auch von der steten Möglichkeit des Scheiterns begleitet. So kommt es, zweitens, auf das Können/ die Talente an und drittens auf die Erwartungen. Aristoteles empfahl den klugen Mittelweg. In unserer Kultur ist der bequeme, aber nicht immer schönste = ruhigste Platz jener, zwischen allen Stühlen – zumindest eine Zeit lang.

In kritischen Situationen, in denen qualifiziertes Entscheiden und Handeln gefragt ist, muss allerdings klar Stellung bezogen werden. Wie heißt es so richtig: „In Gefahr und großer Not ist der Mittelweg der Tod“. Also: Lage sondieren, überleben, Alternativen finden, abwägen. Handeln oder Opfer werden und bleiben....