Blumberg-Riedöschingen Der historische Ortsrundgang in Riedöschingen stieß auf sehr positive Resonanz und lockte zahlreiche Bewohner, ehemalige Riedöschinger und Interessierte aus der näheren Umgebung an. Mit ihrer Idee, das in weiten Teilen nur mündlich überlieferte Wissen der früheren Generationen über die Historie, Hausnamen und Ereignisse innerhalb des Dorflebens zu konservieren, traf Landfrau Patricia Greitmann genau ins Schwarze. Mit den beiden Urgesteinen Ingfried Rothermund und ihrem Vater Eduard hatte sie die perfekten Protagonisten ausgewählt, die mit ihren umfassenden Kenntnissen sowie ihrer unnachahmlich humorvollen Art in Form zahlreicher Anekdoten und „Gschichtli“ für einen äußerst informativen und kurzweiligen Nachmittag sorgten.
Überwältigt von dem großen Zulauf mit über 80 Teilnehmern, starteten die beiden die historische Führung vor der Kirche St. Martin in der Ortsmitte. Wie das Klima in dem zwischen Randen, Hegau und Schwarzwald gelegenen Dorf Riedöschingen seien auch die Menschen hier manchmal etwas rauer in ihrer Art, erklärten sie in ihrer Einleitung über ihren inzwischen 925 Jahre alten Heimatort, der seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs immer rund 800 Einwohner zählte und im Jahr 1972 mit der Eingemeindung zu Blumberg seine Selbstständigkeit aufgab, dafür aber auch von vielen Vorteilen wie einer neuen Ortsdurchfahrt, Kanalisation und einem Neubaugebiet profitierte.
Schwestern leiten Kindergarten
Auf der gegenüberliegenden Straßenseite machte die große Gruppe ihren nächsten Halt: Hier befand sich bis etwa Mitte der 1960er-Jahre der Kindergarten unter der Leitung von Ordensschwestern des Elisabethenvereins, dem Vorläufer der heutigen Sozialstation, in dem alle Kinder ab drei Jahren ohne Wartezeit einen Platz fanden, auch wenn er nur einen Raum mit einem großen runden Tisch umfasste. Landwirt Eduard Greitmann verglich die damaligen Zustände bei einem launigen Seitenhieb mit der heutigen Massentierhaltung. Thematisch spannten die beiden Ortskundler den Bogen zur nächsten Bildungsstelle an der Bogengasse, wo sich früher die Schule befand, bis 1964 das heutige Schulhaus im Schubis erbaut wurde.
Einen der drei einstigen Kelnhöfe Riedöschingens, die Edwin von Lindau Ende des 16. Jahrhunderts erbauen ließ, damit dort im klimatisch gut angelegten, großen Keller die Abgaben der Leibeigenen gelagert werden konnten, betrachteten die Teilnehmer vor dem 1578 erbauten Anwesen von Meta und Ludwig Effinger. „Das war sozusagen der Ursprung des heutigen Finanzamtes“, erklärte Eduard Greitmann die Bedeutung der Kelnhöfe. Die beiden weiteren befanden sich bei ihm selbst im Schubis sowie bei Bernhard Keller an der Schmalzgasse.
Egal, ob Kaffeetassen, Striegel für das Vieh oder Lebensmittel: bei „s‘Kloose“, dem von Besitzer Nikolaus Helbig abgeleiteten Hausnamen, bekam man so gut wie alles. Direkt an der Hauptstraße gegenüber dem Gasthaus Adler betrieben dort zuletzt Agathe und Martin Wiegand bis 2010 den letzten von einst mehreren Läden im Dorf.
Im Hagenstall an der Römerstraße unterhielt die Gemeinde drei Bullen, die zur Besamung der weiblichen Tiere dienten, um den Tierfortbestand zu sichern. „Hier erhielten viele von uns quasi nebenbei auch ihren Aufklärungsunterricht“, plauderten Ingfried Rothermund und Eduard Greitmann aus dem Nähkästchen. Dass die früher allgegenwärtigen Hausnamen häufig von den Namen oder Berufen der Bewohner herrührten, zeigte sich auch in der Gupfe beim heutigen Anwesen von Petra und Thomas Wuttke, wo Luise Fuhrer alias „Poscht Luis“ einst ihr Postgeschäft betrieb.
Nach einem Abstecher durch die Ledergasse erläuterten die beiden Ortsführer vor dem ehemaligen Gasthaus Adler an der Hauptstraße, dass der Bereich von dort bis zum heutigen Narrenbrunnen bei einem großen Brand Mitte der 1920er-Jahre komplett niedergebrannt sei. 1926 habe sich daraufhin die Freiwillige Feuerwehr von Riedöschingen gegründet.
Interessant war auch der Gang zur alten Sägemühle am Mühlenweg. Diese wurde dann nach ihrem Abbrennen jedoch nur noch als ein landwirtschaftliches Anwesen genutzt. In der früheren Molke am Kompromissbach hatten zu Spitzenzeiten knapp 120 Riedöschinger Bauern ihre Milch abgegeben. Viele der Teilnehmer konnten sich noch gut daran erinnern, wie sich hier das Dorfleben abgespielt hatte. Oft seien sie als Kinder zum Milchholen geschickt worden und hatten beim Plaudern und Spielen die Zeit vergessen, sodass am Ende nicht nur die Milch sauer gewesen sei, als sie wieder einmal viel zu spät nach Hause gekommen seien.
Haltestelle als Jugendtreff
Bevor der Rundgang wieder bei der Kirche endete, hielt die Gruppe bei der Bushaltestelle neben dem Gasthaus Schabelhof, das früher einmal Gambrinus geheißen hatte, inne. Hier gab es schon damals ein Leiterhäuschen mit Anschlagplatz, an dem auch Bekanntmachungen „ausgeschellt“ wurden. Die später daran angebaute Bushaltestelle war von Anfang an zugleich auch immer ein Jugendtreff. „Hier haben viele Jugendliche ihre ersten Liebeserfahrungen gemacht, weshalb schon lange der bis heute gängige Name des Bockhiesli besteht“, erinnerte sich Eduard Greitmann.
Nach einer gut zweieinhalbstündigen Führung, kräftigem Applaus und jeder Menge positiver Rückmeldungen in Verbindung mit dem Wunsch nach der Wiederholung einer solchen Führung stärkten sich die Teilnehmer mit selbstgebackenen Kuchen und Torten der Riedöschinger Landfrauen im Pfarrheim und ließen den rundum gelungenen Nachmittag gemütlich ausklingen.