Der Unterbränder Radsportverein wird dieses Jahr 100 Jahre alt. Die Entscheidung an der Generalversammlung am 6. Februar 1954, jüngere Mitglieder aufzunehmen, bescherte dem Verein nicht nur neue Mitglieder, sondern sie war auch der Startpunkt einer kurzen, intensiven Radrennfahrerkarriere. Neben zehn anderen Jugendlichen trat auch der damals fast 15-jährige Helmut Wider dem Verein bei.
„Das Fahrrad war Mitte der fünfziger Jahre das wichtigste Fortbewegungsmittel. Mittlerweile gab es zwar zwei Autos im Ort, eines fuhr Ludwig Nobs, der Schreiner Anton Mantel nutzte einen dreirädrigen „Tempo“-Transporter, doch alle anderen stiegen aufs Rad, um mobil zu sein. Fast jeder hatte ein Fahrrad, und der Radfahrverein war neben der Feuerwehr der einzige Verein im Dorf“, blickt Helmut Wider heute zurück. Da gehörte man einfach dazu. Die Hauptaktivität des Vereins war das Korsofahren. Man fuhr zu Kreis-Bezirks- und Verbandsfesten. Doch Helmut Wider fuhr nicht bei den Korsos mit, er interessierte sich schnell für eine andere Art von Radsport: Im Rahmen dieser Feste gab es in der Regel ein Radrennen, das am Sonntagmorgen stattfand. Bald fuhr er am Samstag alleine für sich zum Veranstaltungsort, übernachtete bei einer Gastfamilie, um morgens fünf Uhr zu dem jeweiligen Rennen an den Start zu gehen.
Das erste Rennen
Sein erstes Rennen bestritt Helmut Wider als Jugendfahrer auf der Kreisebene in Biesingen. Dieses Rennen konnte er gleich gewinnen, was seinen Ehrgeiz beflügelte. Ebenfalls gewinnen konnte er in dieser Anfangszeit ein Rennen in Riedöschingen, an das er sich gerne erinnert. Die Strecke ging durch das Aitrachtal nach Geisingen, über den Wartenberg, Hüfingen und Behla wieder zurück. Als er dort ankam, war das Ziel noch nicht aufgebaut, weil man mit den Fahrern erst viel später gerechnet hatte.
Die Begeisterung ihres Sohns für Radrennen stieß bei den Eltern nicht gerade auf Gegenliebe. „Du stirbst einmal wie Dein Onkel“ prophezeiten sie ihm. Berthold Wider, der Bruder seines Vaters, ebenfalls aus Unterbränd, hatte in den 1920er Jahren Radrennen gefahren und war in jungen Jahren an Tuberkulose gestorben.

Es war sehr umständlich und anstrengend, zu den Rennen zu kommen und es war auch eine finanzielle Angelegenheit. Und vor allen Dingen fragte er sich: „Wo bekomme ich Material her?“. Schließlich lernte er bei einem der Korsofeste den Vater von Heinz Müller kennen, der damals bereits Rad-Profi war. Dieser startete für Schwenningen und wurde 1952 Weltmeister der Berufsfahrer. Der Vater betrieb in einer Scheune in Tuningen einen Handel mit Fahrrad-Teilen. Hier bekam man beispielsweise Schlauchreifen, die damals mit zehn D-Mark sehr teuer waren. Aber was viel wichtiger war, Müller gab den Jugendlichen Tipps zum trainieren. Dabei waren auch drei Gleichaltrige aus Bräunlingen und Donaueschingen, die auch Rennen fuhren.
Mit dem Fahrrad zum Radrennen gefahren
Im Jahr 1956 nahm Helmut Wider dann im Sommer fast jedes Wochenende an einem Rennen in Südbaden teil, auch abseits der Korsofeste, mit wechselnden Erfolgen. Schriftführer Arnold Henkel widmete diesem Kapitel im Protokoll-Buch eine ganze Seite.
Ein Beispiel für ein typisches Rennwochenende im Jahr 1956 blieb Helmut Wider in Erinnerung: „Am Samstagnachmittag bin ich mit dem Fahrrad von Unterbränd in den Raum Offenburg gefahren. Die Straßenrennen fanden damals verkehrsbedingt immer am Sonntagmorgen um 5 Uhr statt. Es gab damals keine kleinen Rundkurse, sondern man hat lange Distanzen auf der Straße zurückgelegt. Bei dem Rennen bin ich dann gestürzt und war auch verletzt. Ich war verärgert und bin mit dem Fahrrad am späten Sonntagvormittag von Offenburg nach Freiburg und schließlich nach Reute geradelt, weil ich wusste, dort ist noch ein Kriterium. Ich habe dann das Kriterium bestritten und bin am Abend von Reute über Freiburg wieder nach Unterbränd zurück gefahren.“

Ein Kriterium ist ein Rundstreckenrennen, beispielsweise über 5 Kilometer, das x-Mal zu durchfahren war und meist in Punkteform ausgefahren wurde, das heißt, das Rennen hatte kein Ziel, sondern es wurden bei jedem Durchgang Punkte vergeben. Wer die meisten Punkte erringen konnte, war der Sieger. Kurzum, so ein Wochenende war sehr anstrengend.
Sein größter Erfolg
Seinen größten Erfolg feierte Helmut Wider am 13. Januar 1957. Bei der badischen Querfeldein-Rennen Meisterschaft belegte er den zweiten Platz und war dann für die Deutschen Meisterschaften nominiert. Er musste jedoch absagen, weil die Meisterschaft in Norddeutschland stattfand und eine Teilnahme seine finanziellen Möglichkeiten überstiegen hätte. Helmut Wider war auch ein sehr guter Bergfahrer. So belegte er auch bei verschiedenen Bergrennen vordere Plätze und konnte sich im Sommer 1956 auch für die Deutschen Bergmeisterschaften qualifizieren, die in Waldkirch auf einer Strecke stattfanden, die auf den Kandel führte.
In den Alpen trainiert
Es sei eine große Ehre gewesen, dort teilzunehmen und Helmut Wider packte der Ehrgeiz. Er musste Berg trainieren. Und wo geht das am besten? In den Alpen natürlich! Also bestückte der siebzehnjährige sein Rennrad mit einem Gepäckträger, das restliche Gepäck trug er auf dem Rücken in einem Tornister. Von Unterbränd ging es in großen Etappen über verschiedene Alpenpässe bis nach Meran. Einmal übernachtete er in seinem dünnen Zelt im Schnee. Mehrfach wurde er durchsucht, weil es damals Auseinandersetzungen um Südtirol gab. Schließlich landete er in Cortina D‘Ampezzo, wo ein Schild die Entfernung von 180 Kilometer nach Venedig anzeigte. Kurzentschlossen machte der junge Mann noch einen Abstecher in die Lagunenstadt. Die Rückfahrt trat er dann über den Brenner an. In Nassereith in Tirol ging ihm schließlich das Geld aus, sodaß er die letzte Etappe von 400 Kilometern zurück nach Unterbränd in einer Etappe bewältigte. Ein Siebzehnjähriger alleine mit dem Rad in Italien, man bemerke, dass man damals erst mit 21 volljährig war. Aber er hatte sich durchgesetzt.

Doch am Ende war die Mission „Bergtraining“ kontraproduktiv. Helmut Wider war einfach platt und konnte gegen sich die starke Konkurrenz bei der Deutschen Meisterschaft einige Tage später nicht behaupten.
Und dann war diese kurze Karriere auch schon wieder zu Ende, bevor sie richtig begonnen hatte. Wider bewarb sich bei der Polizei und begann dort im April 1957 seine Laufbahn. Das erste, was er gesagt bekam, war: Es gibt drei Sportdisziplinen, die verboten sind: Boxen, Skispringen und Radrennen!
Erst in den siebziger Jahren, als Helmut Wider inzwischen in Stuttgart beim Landeskriminalamt war, kam die alte Leidenschaft wieder hoch. Er lernte einen ehemaligen Radrennfahrer kennen, kaufte wieder ein Rennrad. Beide schlossen sich für einige Jahre dem Porsche-Werksteam an und fuhren auch wieder Rennen.
1981 wurde Helmut Wider Leiter der Kriminalpolizei in Villingen und schloss sich dem RC Villingen an, dessen Vorsitzender er wurde und fuhr dann Ende der 1980er-Jahre auch wieder Rennen – bei den Senioren.
Mit Fahrrad und Rucksack auf allen Kontinenten
Zusammen mit seiner Frau Verena entdeckte Helmut Wider dann eine andere Form von Radfahren. Mit Fahrrad und Rucksack erkundeten beide die Welt in allen Kontinenten. Zunächst mit Rennrad und Rucksack verbrachten sie ihre Urlaube auf Radtouren kreuz und quer durch Europa. Mit Eintritt in den Ruhestand sattelten sie um auf Reiseräder und Zeltausrüstung. Damit beradelten sie viele Länder der Welt. Um einige Beispiele zu nennen: 2009 durchquerten sie Nordamerika von Ost nach West, 2012 fuhren sie 5000 Kilometer quer durch Argentinien oder 2016 unternahmen sie eine viermonatige Fahrradtour durch die Süd- und Nordinsel Neuseelands. Das ist bis heute so geblieben. Seit 1999 hat der heute 82-jährige Helmut Wider über 200.000 Kilometer mit dem Fahrrad zurückgelegt, Verena Wider in den letzten 15 Jahren über 140.000. Ein Auto besitzen sie schon lange nicht mehr. Eine Dokumentation ihrer unzähligen Reisen mit dem Fahrrad findet man auf ihrer Homepage „helmutverenaontour.de“
Zur Person
Helmut Wider wurde im Februar 1939 in Unterbränd geboren. Er ist verheiratet und Vater zweier erwachsener Söhne. Im April 1957 trat er in die Polizei des Landes Baden-Württemberg ein. Nach der Ausbildung verbrachte er seine ersten Dienstjahre in Triberg. 1963 wurde er Polizei-Landesmeister im 15 km Langlauf. Nach der Ausbildung für den gehobenen Polizeivollzugsdienst erfolgte Mitte der siebziger Jahre seine Versetzung als Kriminalkommissar zum Landeskriminalamt in Stuttgart, wo er das erste polizeiliche Rechenzentrum aufbaute und leitete. Nach dem Studium an der Hochschule für Polizei in Münster-Hiltrup und der Beförderung zum Kriminalrat wurde er 1981 Leiter der Kriminalpolizei Villingen-Schwenningen. Im Jahre1994 wurde er zur damaligen Landespolizeidirektion in Freiburg versetzt, wo er sich als Leiter des kriminalpolizeilichen Führungsstabes insbesondere mit der Intensivierung der polizeilichen Zusammenarbeit mit der Schweiz und Frankreich beschäftigte. Im Februar 1999 wurde Helmut Wider als Kriminaldirektor in den Ruhestand verabschiedet. (lrd)