Jonas Fehlinger, hast du eine Vermutung, wer hinter den illegalen Graffitis in Brigachtal steckt?

Ich vermute, dass es sich um 15- oder 16-jährige Jugendliche handelt – allein von der Schrift und dem Farbauftrag her. Die sind noch in der Übungsphase (lacht). Zum Beispiel sie sich nur unbeobachtete Flächen ausgesucht. Und man sieht, dass sie versucht haben, es so schnell wie möglich zu machen. Das heißt, so abgebrüht sind die noch nicht, dass sie sich auch Zeit lassen.

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Und wie ist es, wenn das eigene Graffiti von Unbekannten besprüht wurde?

Das gehört zur Graffiti-Kultur dazu. Also es gibt zwar einen Kodex, der zum einen besagt, dass man nicht auf private oder alte Flächen, wie etwa Kirchenmauern, sprayen soll – und zum anderen, dass man ein bestehendes Graffiti nur übermalen darf, wenn man es besser kann. Die Frage ist: Wann weiß man, dass man es besser kann?

Unbekannte haben sich vor zwei Wochen auf Fehlingers Werk verewigt. Die „Tag“ genannte Unterschrift „E-ONE“ findet sich auch auf anderen ...
Unbekannte haben sich vor zwei Wochen auf Fehlingers Werk verewigt. Die „Tag“ genannte Unterschrift „E-ONE“ findet sich auch auf anderen Graffitis in Brigachtal. | Bild: Marcel Jud

Aber ist das, was die Jugendlichen gemacht haben, besser als dein Graffiti?

Das ist schwierig zu erklären. Vielleicht muss man da erst die Geschichte des Graffitis kennen. Angefangen hat alles in der New Yorker Bronx, als Rebellion der Jugend. Hinter Graffiti steht die Frage: Was ist öffentlicher Raum und wann holen wir uns den zurück? Bis heute drücken Jugendliche damit aus: Wir sind auch noch hier und wir haben auch eine Stimme!

Viel Mitsprache haben Jugendliche bei der Gestaltung öffentlicher Flächen ja nicht gerade. Und man sieht auch, dass es immer weniger Plätze für Jugendliche gibt und dass sich die Gemeinden eher auf andere Bauwerke konzentrieren. Durch Graffiti können die Jugendlichen zeigen, dass sie auch noch da sind und bereit wären, zu gestalten – aber ignoriert werden.

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Also du hast ein gewisses Verständnis für die illegalen Sprayer von Brigachtal?

Ich habe auch ein bisschen Verständnis. Also ich kann nie etwas gegen Graffiti sagen und es ist eigentlich ein schönes Hobby, ein erster Zugang für Jugendliche zur Kunst. Und wenn man Graffiti einfach als Schmiererei abtut, ist das vielleicht nicht so der gute Ansatz. Man müsste vielmehr durch eine gute Jugendarbeit die Wurzeln bekämpfen und sagen: Wenn so was auftaucht, gehen wir offen damit um und bieten Workshops an, stellen Flächen zur Verfügung, auf denen legal gesprayt werden darf. Das kenne ich aus Freiburg: Dort gibt es genügend freie Flächen, auf denen sich Jugendliche austoben können.

Legale Flächen für Sprayer wären die Lösung?

Ja, die fehlen! Und auch der offene Umgang mit Graffitis. Woher sollen diese Jugendlichen denn wissen, dass sie nicht über andere Graffitis malen sollen? Sie haben ja gar keinen Bezug dazu. Die denken halt: Ich will malen, da ist eine Fläche, da hat schon mal jemand gemalt, da male ich jetzt einfach mal drüber. Und hier in der Gegend gibt es überhaupt keine Flächen für Sprayer. Freunde und ich, die von hier kommen, setzen uns dafür ein, dass es legale Möglichkeiten gibt. Aber ein Kumpel aus Villingen hat es bereits aufgegeben, weil man hier einfach ignoriert wird, wenn man solche Vorschläge bringt.

„Es fehlen legale Flächen für Sprayer. Aber hier wird man einfach ignoriert, wenn man solche Vorschläge bringt“, sagt Jonas Fehlinger.
„Es fehlen legale Flächen für Sprayer. Aber hier wird man einfach ignoriert, wenn man solche Vorschläge bringt“, sagt Jonas Fehlinger. | Bild: privat

Aber bei allem Verständnis deinerseits, hat es dich überhaupt nicht genervt, dass dein Graffiti besprüht wurde?

Ich habe nur darauf gewartet, dass mal jemand kommt und denkt: Was für eine tolle, unbeobachtete Fläche. Deswegen hat es mich verwundert, dass mein Graffiti zweieinhalb Jahre durchgehalten hat. Das ist eine sehr lange Zeit (lacht). Und in einem Bericht stand ja, dass das Kunstwerk jetzt weg ist – aber Graffiti hatte nie den Anspruch, für immer zu bleiben.

Klar wäre es schön gewesen, wenn es länger bestanden hätte, aber irgendwann wäre die Zeit gekommen, wo es sich entweder selbst vernichtet hätte oder es eben übermalt worden wäre. Die Brücke ist ein öffentlicher Platz, wo viele Leute vorbeikommen. Das Einzige, was mich stört, ist, dass sie nicht besser waren. Das würde ich mir von ihnen wünschen, dass sie noch dazulernen. Dann können wir weiterreden. In der Szene würde man halt sagen: Das waren die Toys, also die kleinen Kinder (lacht).

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Aber der Punkt ist ja: Die Allgemeinheit muss für das Entfernen der Graffitis dieser Kinder bezahlen.

Das ist natürlich nichts Schönes. Man muss sagen, dass Graffiti oft respektlos ist. Auf der anderen Seite muss man aber auch sehen: Jetzt wird Graffiti verurteilt, dabei gibt es genauso Sachen, die gebaut werden, die immer teurer werden – auch in Brigachtal – wo keiner weiß, warum. Gleichzeitig wird nichts für die Jugend getan. Und ich persönlich finde, dass zum Beispiel Werbung, wo Konzerne entscheiden, wie etwas aussieht, eine viel größere Umweltverschmutzung als ein Graffiti darstellt, das noch handgemacht ist, sich mit Kalligraphie, mit Form und Farben auseinandersetzt.

Du würdest das jetzt auch nicht als Schmiererei bezeichnen, was in Brigachtal gemacht wurde?

Den Begriff finde ich schwierig. Was bezeichnet man als Schmiererei? Wenn man zum Beispiel den bekannten Künstler Jean-Michel Basquiat nimmt: Wahrscheinlich hätte man seine Graffitis damals auch als Schmiererei bezeichnet, wenn er nicht entdeckt worden wäre. Heute werden seine Graffitis auf dem Kunstmarkt für Millionen gehandelt.

Und man muss auch sehen, dass allein hinter den Tags, den Unterschriften der Sprayer, meist zwei Jahre Arbeit stecken, bis die so richtig sitzen. Das als Schmiererei zu bezeichnen, finde ich schwierig. Es wäre besser, man gäbe den Jugendlichen eine Chance – durch legale Flächen. Graffiti ist nämlich eine Kunstform und bietet auch eine große Chance für Jugendliche. Gerade im Grafikbereich sind Graffitis und die dadurch erworbenen Kenntnisse hoch angesehen.

Hast du früher selbst illegal gesprayt?

Nein, ich bin nie in diese Kreise reingekommen. Aber ich habe mich auch so auf dem Blatt austoben können. Also ich habe schon als Kind viel gezeichnet. Durch den Hip-Hop und die von Graffiti-Künstlern gestalteten CD-Covers habe ich einen Zugang zu dieser Kunstform gefunden. Irgendwann habe ich gemerkt, dass Papier nicht alles ist und ich bin dann mehr Richtung „Mural Art“, also Wandmalerei, gegangen, wo die Sprühdose zwar auch das Hauptwerkzeug ist, aber noch viel mehr mit dem Pinsel gearbeitet wird.

Zuerst habe ich auf Leinwänden gemalt. Irgendwann wollte ich dann auch an die Wand. Und da die Essey-les-Nancy-Brücke voll mit Hakenkreuzen war, habe ich bei der Gemeinde Brigachtal angefragt, ob ich die übermalen kann. Mein Vorschlag wurde angenommen und da hat es dann angefangen. Ich konnte später auch Wände des Seniorenheims und des Kindergartens gestalten sowie von Privathäusern. Es hat mich verwundert, dass Mural Art in einem kleinen Dorf wie Brigachtal so gut aufgenommen wird.

Ich bin der Gemeinde dankbar, dass sie mir gegenüber so offen war. Aber es fehlen immer noch die Flächen für andere, die mit Graffiti anfangen und sich erstmal ausprobieren wollen.

Fragen: Marcel Jud