Die verheerende Hochwasserkatastrophe in Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen hat die Bewohner der Baar unmittelbar an das Jahr 1990 zurückerinnert. Damals wurde das Städtedreieck im Spätwinter von einem Jahrhundert-Hochwasser heimgesucht – so titelte der SÜDKURIER am Freitag, 16. Februar. Jetzt, mehr als 31 Jahre danach, spricht Hüfingens Alt-Bürgermeister noch einmal über das Geschehene.

Erinnert sich an die Hochwasserkatastrophe 1990 auf der Baar und war damals gerade mal rund elf Monate im Amt: Hüfingens ...
Erinnert sich an die Hochwasserkatastrophe 1990 auf der Baar und war damals gerade mal rund elf Monate im Amt: Hüfingens Alt-Bürgermeister Anton Knapp. Seit Ende der 1990er-Jahre lebt er am Kofenweiher. | Bild: Singler, Julian

Es sei durchaus eine ähnliche Situation gewesen wie jüngst, „bloß dass keine Häuser elementar beschädigt waren. Aber die Müllhaufen und der bis zu einem halben Meter hohe Schlamm, der auf Straßen oder in den Eingängen der Wohnungen entfernt werden musste, das war schon heftig.“ Zwei bis drei Tage habe man benötigt, um äußerlich wieder einigermaßen aufgeräumt zu haben. Innerhalb der Wohnungen sei es länger gegangen. Trotz aller Parallelen zum nun schwer betroffenen Ahrtal möchte Anton Knapp klarstellen: „Von der Dimension ist das nicht vergleichbar. Wir haben damals gemeint, das ist die größte Katastrophe, die es gibt. Aber wir haben jetzt gesehen, dass es viel größere gibt.“

Anstrengende Tage für die THW-Retter: 1990 steht Hüfingen unter Wasser.
Anstrengende Tage für die THW-Retter: 1990 steht Hüfingen unter Wasser. | Bild: unbekannt/SK-Archiv

1990 seien die Schäden insbesondere in der Hüfinger Altstadt groß gewesen. „Da waren nicht nur Keller, auch Wohnungen betroffen. Wir hatten Müllberge von Möbeln, die nicht mehr gebraucht werden konnten“, erinnert sich Knapp. Das Horror-Szenario sei für alle relativ unerwartet gekommen. Allerdings habe es schon einen halben oder ganzen Tag vorher Ankündigungen gegeben.

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„Kein Sperrmüll!“, steht auf diesem Plakat geschrieben.
„Kein Sperrmüll!“, steht auf diesem Plakat geschrieben. | Bild: unbekannt/SK-Archiv

Rund um die Uhr: Krisenstab

„Im Wesentlichen hat es die Breg betroffen. Wir waren damals am jetzigen Burgplatz übergangsweise im Rathaus, weil das heutige zu jener Zeit gebaut wurde“, so der 73-Jährige. Da habe er plötzlich erlebt, „dass ich mit meinem Auto nicht mehr wegfahren konnte“. Etwa bis zur Hälfte der Türe sei es im Wasser gestanden. Schnell sei dann ein Krisenstab im Rathaus gebildet worden. „Ich war zwei Tage nicht zuhause, sondern ständig anwesend“, berichtet Hüfingens Alt-Bürgermeister.

SÜDKURIER-Archiv Video: Singler, Julian

„Die Lage war problematisch, weil wir Bereiche hatten, in denen die Feuerwehr mit dem Boot fahren musste. Und teilweise im Gebiet Insel Menschen aus dem ersten Stockwerk – aus dem Wohnzimmer über das Fenster in das Boot – rausgebracht haben.“ Die Feuerwehr habe sich Tag und Nacht im Einsatz befunden. Knapp ist laut eigener Aussage ebenfalls im Feuerwehrauto gesessen, um mit der Sprechanlage durch den Ort zu fahren und dadurch einigermaßen sachliche Ruhe reinzukriegen. An kritischen Stellen habe er Anweisungen gegeben, was die Leute machen, wie sie sich verhalten sollen. „Das haben wir in der Kernstadt immer wieder in Abständen gemacht und über die aktuelle Lage berichtet.“

Februar 1990: So stellt sich die Lage währenddessen in Bräunlingen dar.
Februar 1990: So stellt sich die Lage währenddessen in Bräunlingen dar. | Bild: Stadt Bräunlingen (Archivbild)

Fehlmeldung löst große Sorgen aus

Besonders groß sei die Angst schließlich gewesen, als eine Hiobsbotschaft in der Bevölkerung umging. Anton Knapp führt aus: „Es kam über das Radio immer mal wieder die Meldung, dass die Gefahr bestünde, dass die Staumauer beim Kirnbergsee bricht. Dann hätten wir natürlich noch mal eine ganz andere Dimension gehabt.“ Mindestens eine Stunde habe es gedauert, bis die Nachricht widerlegt war: „Wir haben alles angezapft, was es an Informationsquellen gab. Nachdem klar war, dass das eine Fehlmeldung ist, bin ich gleich wieder ins Feuerwehrauto und habe für Beruhigung gesorgt.“ Bis heute wisse Knapp nicht, woher die im Radio verbreitete Meldung stamme.

Diese beiden Personen bringen sich in Sicherheit, möchten dem Hochwasser entfliehen.
Diese beiden Personen bringen sich in Sicherheit, möchten dem Hochwasser entfliehen. | Bild: unbekannt/SK-Archiv

Allmählich gesteigert

Wann der frühere Rathauschef gemerkt hat, dass ein gewaltiges Problem auf die Stadt zukommt? Es sei zu einem Zeitpunkt gewesen, an dem man gesehen habe, dass das Stadtbächle überläuft und Wasser auf den Straßen ist. „Das Nächste war, dass es die Kanaldeckel hochgedrückt hat. So hat es sich langsam gesteigert, bis zu einem Punkt, an dem wir mit dem damaligen Stadtbaumeister entschieden haben, dass wir den Damm von der Breg aufreißen, sodass geflutet werden konnte bis rüber zur Bundesstraße.“ Hinterher durchaus umstritten, habe es kritische Äußerungen zu dieser Maßnahme gegeben. „Aber irgendwie muss man Entscheidungen treffen in solch einer Extremsituation. Und es hat die Lage zumindest ein bisschen entspannt“, rechtfertigt sich Knapp heute. Man habe es sehr lange hingehalten und nicht früh gemacht. „Sondern als man erwartet hat, dass man in der Spitze sein könnte.“

Autos kämpfen sich 1990 auf der gesamten Baar durch die Wassermassen.
Autos kämpfen sich 1990 auf der gesamten Baar durch die Wassermassen. | Bild: unbekannt/SK-Archiv

Vom Leben am Kofenweiher

Momente, in denen der 73-Jährige an das Unglück 1990 zurückdenkt, gibt es ihm zufolge immer wieder. Nicht zuletzt liege das daran, dass Anton Knapp und seine Ehefrau Gabi am See wohnen. Ein- bis dreimal jährlich laufe der Kofenweiher in der Regel derart über, dass die grüne Wiese am anderen Ufer seiner Terrasse nicht mehr zu sehen sei, schildert Knapp. Grund zur Sorge gebe es allerdings keinen.

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„Dieses ganze Gelände war Betriebsgelände für den Baggersee [Anm. d. Red.: Der Hüfinger Kofenweiher ist ein stillgelegter Baggersee, aus dem von 1956 bis 1963 Kies gewonnen wurde] und war verwildert. Dann wurden dort Bauplätze geschaffen und damit begonnen, die Fläche vollständig zu erschließen“, erklärt Knapp. Seiner Aussage nach lag ein Bebauungsplan für vier Häuser vor. Doch jahrelang sei es im Nachgang an das Hochwasser völlig unmöglich gewesen, diese Bauplätze zu verkaufen – zu präsent schien das Ereignis in den Köpfen der Menschen zu sein.

Blick in den Discounter Plaza in Hüfingen, der sich Mitte Februar 1990 total durchwühlt wie nach einem Überfall präsentiert.
Blick in den Discounter Plaza in Hüfingen, der sich Mitte Februar 1990 total durchwühlt wie nach einem Überfall präsentiert. | Bild: unbekannt/SK-Archiv

Besserung brachten nicht nur in dieser Hinsicht die Präventivmaßnahmen, die umgesetzt wurden: Das Hochwasserrückhaltebecken in Wolterdingen hatte laut Anton Knapp 1990 seinen Ursprung, darüber hinaus habe man den Bregdamm erhöht und auch der Rundweg um den Kofenweiher sei deutlich erhöht worden, genauso habe man für mehr Sicherheit an anderen Zuflussstellen nachgebessert.

Überzeugungsarbeit nötig

„Ich hatte mir vorgenommen: Wenn ich nach der ersten Periode wiedergewählt werde, dann möchte ich hier auch sesshaft werden und bauen“, sagt der Alt-Bürgermeister. Die Wahl fiel schließlich auf einen der besagten Bauplätze am Kofenweiher. Doch der Weg bis hin zum Einzug war etwas steinig, wie Knapp erzählt: „Ich habe meiner Frau von der Idee berichtet. Als ich ihr gesagt habe wo, wollte sie nicht mit.“ Ob das Erlebte ein paar Jahre eher wohl eine anhaltende Furcht verursacht hatte?

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Jedenfalls zog Familie Knapp Ende der 1990er-Jahre dennoch am See ein und ist seitdem glücklich dort. „Wir versorgen hier die ganze Zeile regenerativ, sowohl was Strom als auch Wärme betrifft“, sagt Anton Knapp. Sämtliche Gebäude haben unten nur Kellerräume sowie den Eingangsbereich. Oben befindet sich die Wohnfläche, also wäre im hypothetischen Notfall lediglich der untere Bereich betroffen.

Wie soll in Zukunft gebaut werden?

Zurück ins Hier und Jetzt: Die Hochwasserkatastrophe in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz hat die politische und gesellschaftliche Diskussion befeuert, dass zukünftig genau überlegt werden soll, wo und wie gebaut wird. Macht es mit Blick auf den fortschreitenden Klimawandel Sinn, weiterhin idyllisch am See zu bauen? Oder ist es nicht besser, das etwas höher und somit geschützter zu tun? Nicht erst seit gestern mache das zweifelsohne Sinn, entgegnet Anton Knapp: „Ich hoffe, dass sich dieser Gedanke stärker in den politischen Köpfen verankert, das ist dringend notwendig.“ Zwar sei auch er über das Ausmaß des jüngsten Wetterextrems in Deutschland überrascht gewesen, „wobei ich niemand bin, der dem Thema Klima sehr verhalten gegenübersteht. Ganz im Gegenteil: Ich habe vor mindestens 30 Jahren schon in verschiedenen Kommunen Vorträge gehalten, wie sich Stadtwerke am Klimaschutz beteiligen sollten und müssten.“

So berichtet der SÜDKURIER am Freitag, 16. Februar 1990.
So berichtet der SÜDKURIER am Freitag, 16. Februar 1990. | Bild: Singler, Julian
So berichtet der SÜDKURIER am Samstag, 17. Februar 1990.
So berichtet der SÜDKURIER am Samstag, 17. Februar 1990. | Bild: Singler, Julian