Immendingen ist für Daimler-Chef Dieter Zetsche wie ein Sechser im Lotto: Mehr als 120 Flächen wurden geprüft, doch letztendlich war es das alte Kasernengelände in der 6400-Einwohner-Gemeinde, bei dem auch wirklich alles gepasst hat. "Hier hat einfach alles perfekt gepasst", sagt der Daimler-Chef. Und so bekommt Immendingen eine ganz besondere Rolle in der langen Geschichte der Automobilität. 80 Prozent der Tests, die bislang auf öffentlichen Straßen stattgefunden haben, sollen zukünftig hier stattfinden. "Immendingen bekommt bei der Entwicklung der Mobilität eine Schlüsselrolle."

Und so lernt auch die Kanzlerin Angela Merkel einmal die kleine Gemeinde an der Donau kennen: "Das erste Mal habe ich von Immendingen gehört, als Volker Kauder schimpfte, dass die deutsch-französische Brigade abgezogen wurde." Dann habe sie lange nichts mehr gehört und nun eine Einladung erhalten. Von Immendingen selbst hat sie allerdings wenig gesehen, der Hubschrauber landete innerhalb des Geländes und fliegt auch wieder von dort ab. Dafür hat sie beim Anflug schon einen herrlichen Blick über das 520 Hektar großen Gelände genossen.

Die Immendinger selbst bekommen zwar an diesem Tag viel Lob, spielen aber eine eher untergeordnete Rolle. Der Gemeinderat ist eingeladen und alles, was in der Region Rang und Namen hat. Der Rest muss vor den Toren bleiben. Auch die kleine Anti-Merkel-Demo, die sich vor der Einfahrt zum Parkplatz gesammelt hat und trotzig drei Plakate in die Luft hebt, sonst aber wenig Beachtung findet.

An diesem Tag geht es um die Zukunft und die soll gefeiert werden. So spricht ein gut gelaunter Zetsche, der mit der Politik flirtet. Allerdings weniger mit der Bundespolitik, die in Form von Angela Merkel und Volker Kauder direkt vor ihm sitzt, sondern mit der Landespolitik. Da wird der grüne Ministerpräsident Winfried Kretschmann genannt, der doch Sätze sagt, die Zetsche gerne selbst gesagt hätte. Und auch mit so einem Vorzeigeprojekt wie dem Test- und Prüfzentrum, das sogar über einen vom Gesetz gar nicht geforderten Wildtierkorridor verfügt, fühlt sich Zetsche bestens vorbereitet für den nächsten Grünen-Parteitag – wenn er denn mal wieder eingeladen wird. Aber schließlich will er ja auch bis 2022 die komplette Daimler-Flotte auf E-Mobilität umgestellt haben.

"Wiege des Automobils"

Und man merkt, im Ländle da ist die Welt zwischen Automobilherstellern und der Politik irgendwie noch in Ordnung – trotz des Vertrauensverlustes. "Wir sind das Land der Automobile, wir sind das Land der Tüftler und Ingenieure und wir sind Europas Innovationsland Nummer 1", übt Baden-Württembergs Innenminister Thomas Stroble das kollektive Schulterklopfen. Kein Wunder also, dass man an der "Wiege des Automobils" eine ganz besondere emotionale Verbundenheit zu diesem Thema habe und ein besonders "Interesse an der guten Zukunft des liebsten Kindes".

Und so zieht Strobel eine Parallele zwischen der Zeit, als Carl Benz das Automobil erfand, und heute. Damals wäre Deutschland bei der Industrialisierung nicht vorne dabei gewesen, hätte aber aufgeholt und wäre zur führenden Industrienation geworden. Selbes gelte auch für die Digitalisierung. Eines könne man aus der Geschichte von Carl Benz und seiner Frau Bertha lernen: "Lasst uns offen sein für neue Technologien und sie ausprobieren. Und im entscheidenden Moment sollten wir auf die Frauen setzen." Einen Lacher hat Strobl damit sicher und auch eine Überleitung zur Kanzlerin.

Und dann kommt Angela Merkel. Sie spricht von der Automobilindustrie als Schlüsselindustrie. 22 Millionen Euro Forschungsgelder würden zeigen, mit welcher Entschlossenheit der Wandel angegangen werde. Langfristig müsse die Mobilität immissionsfrei gestaltet werden und der Klimaschutzplan fordere auch vom Verkehrssektor einen entsprechenden Beitrag. Doch wie könne der Verkehrswandel gelingen? Es müsse Vertrauen geschafft werden, denn das beste Angebot im Bereich der E-Mobilität nutze nichts, wenn die Menschen die Angst hätten, dass sie irgendwo liegen bleiben, weil sie ihr Auto nicht aufladen könnten. Und dann macht sie den OBs und den Bürgermeistern der Region ein Angebot und Versprechen: "Ich komme wieder, wenn hier alles e-mobilitätfähig ist."

Immendingen wandelt sich von der Ganisionsgemeinde zum High-Tech-Standort

Aus der Garnisonsgemeinde Immendingen wird mit der Einweihung des Daimler Prüf- und Technologiezentrums ein High-Tech-Standort. Daimler präsentierte der Kanzlerin Angela Merkel und den Eröffnungsgästen bei einer Rundfahrt durch das 520 Hektar große Areal und bei Testfahrten, welche Fahrzeug-Erprobungen auf dem Prüfgelände stattfinden.

  • Empfang und Festakt: Empfangen wurde die Kanzlerin am Mittwochnachmittag, kurz vor 15 Uhr im ehemaligen Kantinen-Gebäude der Bundeswehr, das Daimler heute ebenfalls als Kantine und Betriebsrestaurant nutzt. Zuvor war Angela Merkel per Hubschrauber direkt auf einem Platz im Daimler-Prüfzentrum gelandet. Der Festakt fand vor großem Pressetross ebenfalls im Saal der Kantine statt.
  • Rundfahrt durch Prüfzentrum: Per Bus brachen die Teilnehmer nach der Eröffnungsfahrt auf das Gelände des Prüfzentrums auf. Dabei wurden mehrere der rund 30 Teststrecken vorgestellt, wie etwa das "Stadtquartier" zum Simulieren von Stadtfahrten, der "Albdauerlaufkurs" mit kurvenreichen Steigungs- und Gefällstrecken oder das "4x4 Modul" mit unbefestigten Wegen zur Erprobung von Allrad- und Geländefahrzeugen. Vorbei ging es auch an der markantesten Teststrecke, dem 16 Meter breiten und 4,1 Kilometer langen Ovalrundkurs mit überhöhten Kurven für die Simulation von Autobahnfahrten. Ziel der Rundfahrt war das ausgedehnteste der Testmodule, die 100 000 Quadratmeter große Bertha Fläche, die nach Bertha Benz benannt ist, die als Pionierin aller Fahrtests gilt. Auf der Bertha-Fläche werden vor allem hochautomatisierte Fahrzeuge erprobt.
  • Fahrtests zur Eröffnung: Von der Aussichtsplattform der Bertha-Fläche konnten die Kanzlerin und die Eröffnungsgäste dann verschiedene Fahrmanöver von Daimler-Testfahrern und Fahrzeugen beobachten, so etwa ein Spurwechsel bei Tempo 60 mit perfekter Fahrstabilität oder verschiedene Tests zur Demonstration der Fähigkeiten des Bremsassistenz-Systems. Wie ein Kreuzungsunfall durch die intelligente Sensorik der Mercedes-Benz-Fahrzeuge verhindert wird, gab es für die Zuschauer ebenfalls bei einem der Tests zu sehen. Schließlich wurde noch die "Rettungsgassen-Funktion", ein weiteres von Daimler entwickeltes Assistenzsystem, vorgestellt.
  • Fahrerlose Zukunft: Sämtliche Fahrmanöver zeigten, wie weit die Fahrassistenz-Systeme bereits entwickelt sind. Auf der Bertha-Fläche werden diese Systeme für neue Fahrzeugreihen von Daimler-Benz in Zukunft weiter erprobt. Ein anderes Hauptaugenmerk gilt hier außerdem dem fahrerlosen Fortbewegen, dem Autonomen Fahren. Dieses wird in naher Zukunft mit entsprechender Geländeabsicherung und Funkkommunikation auf der diesem Testmodul problemlos möglich sein. Außerdem dient das größte Testareal des Daimler Prüf- und Technologiezentrums dazu, komplexe und realitätsnah gestaltete Stadtverkehrs- und Landstraßen-Szenarien mit mehrspurigen Ampelkreuzungen nachzustellen.
  • Bündelung von Tests: Am High-Tech-Standort Immendingen wird Daimler künftig einen wesentlichen Teil seiner weltweiten Fahrzeugerprobungen bündeln. Das gilt für Personenwagen, Vans oder auch Geländewagen, nicht für Lastwagen oder Busse. Vorteil für Daimler ist die Konzentration aller Tests an einem Ort. Die Öffentlichkeit profitiert von den außergewöhnlich vielseitigen Prüfmöglichkeiten im Immendinger Testzentrums dadurch, dass bisherige Erprobungen auf öffentlichen Straßen bis zu 80 Prozent auf die neuen Anlagen verlagert werden können.
Jutta Freudig