Jutta Freudig

Steile Passstrecken wie in den Alpen, mehrspurige breite Straßen wie in den USA, Stadtverkehr wie in einer südeuropäischen Großstadt – all diese Verkehrssituationen lassen sich auf den gut 30 Teststrecken des Daimler-Prüfzentrums in Immendingen simulieren. Seit gut einem Jahr ist die Anlage in Betrieb und mittlerweile sind bereits 250 Daimler-Mitarbeiter in der Donaugemeinde damit beschäftigt, die weltweite Fahrerprobung des Autobauers an einem Ort zu bündeln.

Mercedes-Benz Cars entwickelt im Prüfzentrum alternative Antriebe wie Hybride sowie Elektrofahrzeuge der Produkt- und Technologiemarke EQ weiter. Zugleich werden künftige Assistenzsysteme und automatisierte Fahrfunktionen erprobt.

Das Daimler Prüf- und Technologiezentrum erstreckt sich auf einer Fläche von 520 Hektar im Herzen der Gemeinde Immendingen und ihrer ...
Das Daimler Prüf- und Technologiezentrum erstreckt sich auf einer Fläche von 520 Hektar im Herzen der Gemeinde Immendingen und ihrer Ortsteile. Insgesamt wurden über 30 Prüfstrecken gebaut. Zu den Kernstücken zählen der große Ovalrundkurs (Bildmitte) sowie die Bertha- und die Fahrdynamikfläche (rechts). | Bild: Daimler AG

„Hightech-Fahrzeuge erfordern Hightech-Erprobung“, sagt Daimler-Vorstandsmitglied Markus Schäfer, verantwortlich für Konzernforschung und Mercedes-Benz Cars Entwicklung. Das Prüf- und Technologiezentrum in Immendingen biete eine Vielzahl von Möglichkeiten, neue Technologien zu erproben und zu perfektionieren. Gleichzeitig könne man den Straßenverkehr entlasten, indem zum Beispiel die Dauerlauferprobung auf das Testgelände verlagert werde.

Im Prüf- und Technologiezentrum Immendingen bündelt Mercedes-Benz die weltweite Fahrzeugerprobung und entwickelt unter anderem ...
Im Prüf- und Technologiezentrum Immendingen bündelt Mercedes-Benz die weltweite Fahrzeugerprobung und entwickelt unter anderem alternative Antriebe wie Hybride sowie Elektrofahrzeuge weiter. | Bild: Daimler AG

Geleitet wird das Daimler-Prüfzentrum am Standort Immendingen seit Beginn von Reiner Imdahl, der auch bereits die dreijährige Genehmigungs- und die dreieinhalbjährige Bauphase des Projekts begleitet hatte. „Am Computer lassen sich viele Verkehrssituationen realitätsnah nachstellen, aber am Ende bleiben Testfahrten auf richtigen Straßen unumgänglich“, unterstreicht Reiner Imdahl. Letztlich werde dabei immer wieder festgestellt, dass die Wirklichkeit stets Überraschungen bereithält, die am Computer nicht bedacht wurden.

Reiner Imdahl sieht im Immendinger Prüfzentrum immer noch einen Glücksfall. Zum einen, weil Daimler in der Gemeinde mit offenen Armen begrüßt wurde, zum anderen, weil der einstige Standortübungsplatz ideale Bedingungen bietet. So konnte die beeindruckende Topographie mit verschiedenen Ebenen und einem Höhenniveau von 660 bis 880 Höhenmetern bei der Entwicklung des Streckenlayouts für die Teststrecken und Module intensiv genutzt werden.

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Seit der Inbetriebnahme des Prüfzentrums im September 2018 sind eine ganze Anzahl weiterer Prüfstrecken vollendet worden, so dass sich deren Zahl mittlerweile auf über 30 erhöht hat. Markanteste Module sind nach wie vor der Ovalrundkurs als Kernstück der Testanlagen, die Bertha-Fläche als größtes Prüfareal und die benachbarte Fahrdynamikfläche. Zu den wichtigen weiteren Teststrecken gehören das Modul „Innenstadt“ und die Dauerlaufkurse. Als erstes fertiggestellt worden war bereits 2015 das Schlechtweg-Verschmutzungsmodul.

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Fortgesetzt werden von Daimler auch nach der Aufnahme des Betriebs im Prüfzentrum die mit den Natur- und Umweltschutzverbänden abgestimmten Schutzaktivitäten.

Merkmale des Testmoduls Passtrasse sind die serpentinartigen Kurvenradien und alpine Verhältnisse mit einer Steigung von bis zu 16 Prozent.
Merkmale des Testmoduls Passtrasse sind die serpentinartigen Kurvenradien und alpine Verhältnisse mit einer Steigung von bis zu 16 Prozent. | Bild: Daimler AG

Insgesamt führt der Autobauer naturschutzrechtliche Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen auf 625 Hektar Fläche durch, die teils noch Jahre andauern werden.

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Naturschutz

Auf dem Immendinger Daimler-Prüfgelände wird versucht, den technologischen Fortschritt möglichst mit der Natur in Einklang zu bringen. Es wurden Lebensäume für Pflanzen und Tiere geschaffen, Flächen aufgeforstet und begrünt. Zudem wird das Gelände von einer Wildtierpassage durchquert. Durch Schafbeweidung wird die Verbuschung von wertvollem Magerrasen zurückgedrängt. Drei Lamas dienen als Herdenschutz vor Angriffen von Füchsen. (feu)

30 Prüf- und Teststrecken auf 520 Hektar Fläche

Auf den über 30 Teststrecken des Daimler-Prüfzentrums lassen sich unterschiedliche Fahrsituationen simulieren, wie beispielweise komplizierter Kreuzungsverkehr in der Großstadt, Fahrten auf holprigem Untergrund oder auf einer Passstraße. Hier einige der wichtigsten Prüfmodule.

  • Bertha-Fläche: Sie ist mit 100 000 Quadratmetern der größte asphaltierte Bereich des Prüfzentrums. Auf der 950 Meter langen und 650 Meter breiten Fläche können Assistenzsysteme und automatisierte Fahrfunktionen erprobt werden. Getestet wird die Kollisionsvermeidung bei Einfädel- oder Spurwechselsituationen. Ebenso gibt es Manöver für fahrerloses Steuern eines Wagens. Vom Bertha-Leitstand aus lassen sich die Fahrversuche steuern.
  • Fahrdynamikfläche: Hier erfolgt die Erprobung des Fahrzeugverhaltens im Grenzbereich. Zentrales Element der Asphaltfläche ist ein Kreis mit 260 Metern Durchmesser.
  • Bremsfläche: Sie umfasst fünf parallel Fahrstreifen mit unterschiedlich griffigen Belägen – von Asphalt über Schmelzbasalt bis zu Kacheln. Diese Fläche kann bewässert werden.
  • 4x4-Modul: Es handelt sich um ein naturnahes Gebiet zur Erprobung von Allrad- und Geländefahrzeugen. Zum Modul gehören zwei Bahnen mit 40- und 70-prozentiger Steigung.
  • Modul Innenstadt und Parkhaus: Dazu zählen 1,5 Kilometer Stadtstraßen mit verschiedenen Kreuzungssituationen für die Erprobung von Assistenz- und automatisierten Systemen. Neben dem Innenstadtbereich steht ein spezielles Parkhaus mit engen Auffahrten und Stahlbetondecken, um zu testen, ob sich das Fahrzeug GPS-Signale für die Suche nach Parklücken holt.
  • Berg- und Steigungsstrecken: Es gibt zwei Bergstraßen mit kurvigem und steilem Verlauf sowie sieben Steigungsstrecken, unter anderem für Anfahren am Berg bei verschiedenen Bedingungen wie Nässe und Kälte. Die Steigungen betragen bis zu 100 Prozent.
  • Akustik-Prüfstrecke: Deren Asphaltdeckschicht besitzt einen exakt nach vorgegebenen Normen definitierten Reibwert und ermöglicht neben Akustik-Versuchen auch Zertifizierungs-Schallmessungen.
  • Ovalrundkurs: Hierbei handelt es sich um das Kernstück des Immendinger Prüfzentrums. Durch die überhöhten Kurven kann der vier Kilometer lange Kurs bei bestimmten Geschwindigkeiten befahren werden, ohne dass der Fahrer lenken muss. Mit einer solchen unendlichen Geraden werden Autobahnfahrten simuliert.
  • Handling-Kurs: Dieser befindet sich im Inneren des Ovalrundkurses. Die kurvenreiche asphaltierte Strecke mit 4,7 Kilometern Länge und starken Höhenunterschieden dient der Erprobung von Längs- und Querbeschleunigungen.
  • Schlechtweg-Verschmutzungsstrecke: Sie wurde 2015 als erstes fertiggestellt. Es ist ein kurvenreicher, feldwegartiger Rundkurs mit speziellem Schotterbelag von 1,2 Kilometern Länge. Der Schmutz setzt sich an den Fahrzeugen fest und lässt Rückschlüsse und Maßnahmen für den Alltagsbetrieb zu. (feu)