Die Tatverdächtigen sagen, sie hätten sich vom Auerhahn angegriffen gefühlt. Greift der Auerhahn wirklich an?
Es ist seit langem bekannt, dass es tatsächlich gar nicht so selten Hähne gibt, die nicht nur spielen wollen. Solche gänzlich unzahmen Tiere werden von Unerfahrenen im Fall von – zum Glück relativ seltenen – „Angriffen“, die in der Regel der Revierverteidigung dienen, durchaus als Bedrohung wahrgenommen, deren Schwere nicht eingeschätzt werden kann und die daher unheimlich erscheinen.
Wie verhalte ich mich im Falle eines Angriffs?
Ich selbst stand dem seit vier Jahren als unberechenbar bekannten „Heini“ – denn um diesen Hahn im besten Hahnenmannesalter handelt es sich mit großer Wahrscheinlichkeit beim Opfer – letztes Jahr überraschend nicht weit vom Tatort gegenüber und legte nur einen Meter vom weit geöffneten Hakenschnabel des zischenden voll aufgeplusterten Drachenvogels entfernt bedächtig den Rückwärtsgang ein, bis er meine Demutsgeste annahm und sich majestätisch in seinen Herrschaftsbereich zurückzog.
Hätte ich meine kleinen Enkel dabei gehabt, wäre die Situation heikler geworden. Ich hätte sie hochnehmen oder hinter mir halten müssen, ganz so, wie man sich bei der „ganz normalen“ Attacke eines Schwans verhält.
Hätten sich die jungen Männer nicht anders wehren können?
Dass sich die beiden kräftigen jungen Männer vom Hahn derart bedroht fühlten, dass sie zur Flasche griffen, ist für mich allenfalls erklärbar, aber nicht entschuldbar, wenn sie bereits vorher kräftig zur Flasche gegriffen hatten.

Der Gedanke, dass ein mit guten ökologischen Kenntnissen ausgestatteter Jagdscheininhaber diese brutale Tat in nüchternem Zustand verübt haben könnte, wäre für mich unfassbar – zumal, wenn er sich die vermeintliche Notlage durch sein leichtsinniges und ungesetzliches Verhalten den Zeugenaussagen zufolge selbst zuzuschreiben hatte. Im Übrigen scheint der Hahn auch durch Fußtritte malträtiert worden zu sein, die vom Chemischen und Veterinäruntersuchungsamt in Freiburg derzeit genau untersucht werden.
Sie und ihre Mitstreiter kämpfen für das Auerwild. Ist das Laurentiusfest hier nicht kontraproduktiv?
Der Feldberg ist ein sensibles Gebiet, das Auerwild eine seiner sensibelsten Kostbarkeiten. Massentourismus und unkontrollierbare Events schaden dem Gebiet. „Laurenzi“ muss von der Open-Air-Gaudi-Veranstaltung zurückfinden zu seinen Wurzeln, die bei einer Andacht zu Ehren von St. Laurentius – der unter anderem auch Schutzpatron ausgerechnet der Bierbrauer ist – zu suchen sind. Rund um den Höchsten leben nur noch etwa 15 erwachsene Auerhähne mit wohl gleich vielen Hennen, in der weiteren Umgebung kein einziger mehr.
Wie können wir das Auerwild schützen?
Es braucht viel Einsatz, Einsicht, auch zum Verzicht, und dann auch Glück, um das Aussterben – vielleicht nur dank der heißen Sommer 2018/19 mit guten Kükenaufzucht-Chancen – noch verhindern zu können. In den Vogesen ist es schon zu spät, die Verantwortlichen sprechen von nur noch fünf bis zehn Hähnen im gesamten Gebirge.
Es geht nicht ohne Respekt vor der Natur. Man kann nicht jede Tier- und Pflanzenart beziehungsweise deren Lebensraum und -gewohnheiten kennen. Doch wer die Natur als Freizeitkulisse wählt, sollte bereit sein, sich ihr anzupassen und im Zweifelsfall Vorsicht und Zurückhaltung zeigen.
Die Polizei sucht nach Zeugen, die am Samstag, 10. September, im Zeitraum von circa 17 bis 17.20 Uhr im Bereich des Todtnauer-Hütten-Wegs am Feldberg die Tat beobachtet haben. Auch Foto- und Filmaufnahmen sind von Bedeutung. Hinweise an 07651/93360.
Zur Person
Gerrit Müller, 66, ist Oberforstrat und engagiert sich ehrenamtlich vor allem für das Auerwild. Er ist Vorsitzender der Auerwild-Hegegemeinschaft im Regierungsbezirk Freiburg und kämpft mit Herzblut um das Überleben des Auerwilds im Schwarzwald. Er ist ein Experte in Sachen Natur und Wald, sein Wissen ist auch gefragt ist in Sachen Naturschutz und Waldökologie immer wieder gefragt.