Schwarzwald-Baar – Der Engel in Königsfeld-Neuhausen ist vielen Menschen bekannt als gutbürgerliche Gaststätte mit einem großen Saal, den man auch für Familienfeste, Vereinsfeste und Tagungen mieten kann. Für die Dorfgemeinschaft kompensiert er eine fehlende Festhalle. Eine Kegelbahn, ein separate Bar, und der eigentliche Gastraum sind Teil des Angebotes. Doch dass hier einst große Tanzveranstaltungen, Livekonzerte und legendäre Disko-Nächte regelmäßig hunderte Besucher aus Nah und Fern anlockten, das weiß vermutlich nur noch die ältere Generation, die heute 50 Jahre und älter ist.

So sieht das Gasthaus Engel heute von aussen aus.
So sieht das Gasthaus Engel heute von aussen aus. | Bild: Fröhlich, Jens

An der Decke im großen Saal, der von einer großen orangenen Faltwand vom gemütlichen Gastraum im Haupthaus getrennt ist, glitzert eine neue Diskokugel.

Disco-Zeit im Engel in Neuhausen - Diskokugel Video: Fröhlich, Jens

Ein Holztresen trennt den DJ-Bereich vom Gästebereich ab. Der erhöhte Bühnenbereich ist bestuhlt und mit einem Geländer gesichert. Einige moderne Tische und Stühle stehen verteilt im Raum und erinnern an die heutige Nutzung. Im Nebenraum ist die ockerfarbene Bar im 70er Jahre Stil und eine Musikbox zu finden.

Karl Hummel steht hinter dem Tresen der 1975 fertiggestellten Bar.
Karl Hummel steht hinter dem Tresen der 1975 fertiggestellten Bar. | Bild: Fröhlich, Jens

Der Saal selbst wurde 1989 umgebaut und einem Dorfplatz nachempfunden. Erlebnisgastronomie mit Tanz lautete damals das Konzept von Engel-Betreiber Karl Hummel und seiner Frau Rut. "Das hat bis zur Euro-Einführung gut funktioniert", erinnert er sich. Doch trotz Umbau ist der Charme der schillernden Jahre hier immer noch spürbar.

So sieht der Saal im Engel heute aus.
Bild: Fröhlich, Jens

Bereits als kleiner Junge war Karl Hummel von Veranstaltungen im Saal des Familienbetriebes fasziniert. Damals dominierten noch Vereinsfeiern und Theateraufführungen das Programm. Tanzveranstaltungen fanden am Sonntag statt, der Samstag war ein Arbeitstag. "Die Gäste kamen mit dem Traktor angefahren", erinnert sich der 69-Jährige.
"Ich habe mich oft heimlich in den Saal geschlichen und irgendwo versteckt, um mir das anzuschauen." Später, als sein Vater aus gesundheitlichen Gründen immer kürzer treten musste, übernahm Hummel im zarten Alter von 14 Jahren immer mehr Aufgaben. Nach seinem Tod zwei Jahre später, lastete noch mehr Verantwortung auf dem nun 16-Jährigen, der seine Mutter kräftig unterstützte.

Er nahm die Herausforderung an und verwirklichte alsbald eigene Ideen. Er fuhr mit seinem Mofa zu den Bands, die häufig aus Schwenningen stammten, um mit ihnen die Konditionen für den Auftritt im Engel zu verhandeln. Mit 17 Jahren baute er für die Fastnacht eine enge Kellerbar unter dem Bühnenbereich, die schnell Kultstatus bei den Gästen erlangte.

Dirk Pfersdorf und Karl Hummel stehen in der illegalen Kellerbar, die bis heute kaum verändert wurde. Sie dient heute als Abstellraum.
Dirk Pfersdorf und Karl Hummel stehen in der illegalen Kellerbar, die bis heute kaum verändert wurde. Sie dient heute als Abstellraum. | Bild: Fröhlich, Jens

Die funktionierte so gut, dass er sie bald auch bei regulären Veranstaltungen öffnete. "Wenn da mal einer die Treppe runtergefallen ist, wurde er immer aufgefangen." So viele Gäste hätten sich da unten stets getummelt, erzählt er. Doch der Schwarzbau hatte nie eine Betriebserlaubnis, was dem Wirt zahlreiche Strafzettel einbrachte, die er brav bezahlte. "Wir haben das so lange gemacht, wie die illegale Bar mehr einbrachte, als die Strafzettel gekostet haben", erzählt Hummel mit einem Schmunzeln. Erst 1975 ging die neue, größere Bar in einem Nebenraum zum Saal offiziell in Betrieb.

Disco-Zeit im Engel in Neuhausen - Illegale Kellerbar Video: Fröhlich, Jens

Mit 21 übernahm Hummel den Familienbetrieb, investierte und führte nach und nach Tanzabende am Freitag- und Samstagabend ein. Die Veranstaltungen am Sonntag fielen weg. Hummel erinnert sich an Bands wie Edelweiß aus Schabenhausen, Skala aus Obereschach, Black-Forest-Stars aus Neuhausen und die Kirnberg-Boys aus Bräunlingen, die Ende der 60er Jahre im Engel aufspielten. In den 70ern seien zum Beispiel die Musiker von Jerry Larks aus Donaueschingen, Mammut aus Schwenningen, Colorados aus Dornstetten, Happy Sound aus Marbach, oder die Cordials aus Dotternhausen aufgetreten.

1975 führte Hummel die sogenannten "Schlag auf Schlag"-Abende ein. Dabei traten zwei Bands abwechselnd auf und es gab zwischendurch Musik von Plattenteller. Es war der Startschuss der wilden Disko-Zeit. Auf dem Speicher hat Karl Hummel immer noch viele alte Schallplatten aus dieser Zeit eingelagert.

Karl Hummel zeigt auf dem Speicher die alten Schallplatten, die bei den Disko-Abenden im Engel von den DJs aufgelegt wurden.
Bild: Fröhlich, Jens

Im Veranstaltungskalender tauchten immer häufiger Disko-Abende mit DJ und Konzerte mit angesagten Bands auf. Die Live-Auftritte wurden in Stargastspiele umbenannt. Große Namen, wie die Spider Murphy Gang und Wolfgang Petry, kamen in den kleinen Ort. Von Wolfgang Petry hat Hummel sogar noch eine Autogrammkarte in seinem Privatarchiv.

Autogrammkarte von Wolfgang Petri
Autogrammkarte von Wolfgang Petri | Bild: Fröhlich, Jens

Aber auch Musiker wie Bernie Paul, Martin Mann, Lord Ulli, die Amigos und der mittlerweile verstorbene Gunter Gabriel gaben sich in den Folgejahren im beschaulichen Neuhausen die Klinke in die Hand. "Für Super Karl" hat Gabriel damals auf eine Autogrammkarte geschrieben.

Autogrammkarte von Gunter Gabriel.
Autogrammkarte von Gunter Gabriel. | Bild: Fröhlich, Jens

"1978 war unser erfolgreichstes Jahr", blickt Hummel zurück. "Die Musiker waren teilweise noch nicht ganz so bekannt wie heute und haben nach ihrem Auftritt im Engel übernachtet." Er erinnert sich an die Musiker der Spider Murphy Gang, die nach dem Konzert zusammen mit den Gästen im Saal gefeiert haben.

Kopie vom Werbeplakat für den Auftritt der Spider Murphy Gang im Engel.
Kopie vom Werbeplakat für den Auftritt der Spider Murphy Gang im Engel. | Bild: Fröhlich, Jens

Der Engel war nun eines der angesagtesten Lokale der Region und lockte so viele Menschen an, dass auch die Polizei wachsam wurde. Ende der 70er Jahre umstellte eine große Polizeimannschaft die Gaststätte. Große Funde hätten die Beamten bei der Drogenrazzia bei seinen Gästen jedoch nicht gemacht.

Anfang der 80er Jahre schloss Hummel sogar ein Friedensabkommen mit einer Rockergruppe aus Villingen-Schwenningen, die sich häufig in ihr Kutten gekleidet unter die Gäste mischte. "Ich bin mit zwei Kisten Bier zum Anführer gefahren und habe ein Kuttenverbot vereinbart", so Hummel. Das habe erst gut funktioniert, später musste er dann doch ein Lokalverbot aussprechen. Neben den großen Namen bot Hummel auch lokalen Bands immer eine Bühne, wie zum Beispiel den Piccolos aus Hüfingen und Dr. Quincy and his Lemonshakers.

Dieses Werbeplakat für den Auftritt von Dr. Quincy and his Lemonshakers im Jahr 1993 hängt an einer Wand in der alten Kellerbar.
Dieses Werbeplakat für den Auftritt von Dr. Quincy and his Lemonshakers im Jahr 1993 hängt an einer Wand in der alten Kellerbar. | Bild: Fröhlich, Jens

1981 lernte er seine Frau Rut kennen, die er als Bedienung für den Engel einstellte. Es funkte und zwei Jahre später heirateten die beiden. Mit der Eröffnung des Waldpeters in Schönwald (1980) und der Diskothek Discoland in Zimmern ob Rottweil (1985) ebbte die Disko-Welle im Engel nach und nach ab, die Besucher blieben aus. "Der Waldpeter war viel professioneller als wir", ist sich Hummel sicher.

In den 80er Jahren war der Besucheransturm im Waldpeter gewaltig. Fast täglich war es so voll, wie auf unserem Bild zu sehen ist.
In den 80er Jahren war der Besucheransturm im Waldpeter gewaltig. Fast täglich war es so voll, wie auf unserem Bild zu sehen ist. | Bild: Dirk Pfersdorf

Das Discoland sei viel moderner und größer gewesen. Da habe der Engel nicht mithalten können. Auch die großen Festhallen, die in vielen Umlandgemeinden zu dieser Zeit gebaut wurden, zogen Publikum ab. Konzerte gab es im Engel zwar bis in die 90er Jahre, die regelmäßigen Disko-Abende wurden bis zum Umbau 1989 aber immer seltener.

DJ-Karriere

Für Dirk Pfersdorf aus Königsfeld war der Engel ein Sprungbrett. Pfersdorf war während den Glanzzeiten häufiger Gast im Engel. Der heute 56-Jährige war fasziniert von der Arbeit von DJ Dieter Kiefer. 1979 fragte er ihn, ob er mal eine Musikrunde auflegen dürfe. Nach einem erfolgreichen Testlauf war Pfersdorf vom DJ-Beruf so begeistert, dass er ein Jahr später als Vollzeit-DJ im Waldpeter arbeitete. Dort sorgte er am Plattenteller 15 Jahre lang für die passende musikalisch Unterhaltung.  Seine Karriere sowie die goldenen 80er Jahre in der Kult-Disko in Schönwald stellen wir Ihnen im zweiten Teil unserer kleinen Disko-Serie vor. 

Diese Bild zeigt DJ Dirk, alias Dirk Pfersdorf, bei der Arbeit im Waldpeter.
Diese Bild zeigt DJ Dirk, alias Dirk Pfersdorf, bei der Arbeit im Waldpeter. | Bild: Dirk Pfersdorf

Geschichte

Die Geschichte der Gasthauses zum Engel in Neuhausen reicht 200 Jahre zurück.

Diese alte Postkarte hat Hummel ein Gast überlassen.
Diese alte Postkarte hat Hummel ein Gast überlassen. | Bild: Fröhlich, Jens

1930 heiratete der Vater von Karl Hummel in die Familie ein und übernahm daraufhin das Gasthaus. 1949 bis 1950 wurde der große Saal angebaut. 1975 stand eine zweite Erweiterung an. In diesem Zuge wurden auch eine neue Bar und eine Kegelbahn gebaut. Nach den wilden Disco-Jahren ließ Karl Hummel den Saal 1989 für die Erlebnisgastronomie mit Tanz umbauen, die damals im Trend war. Der Raum wurde einem Dorfplatz nachempfunden. Bis heute wurde kaum etwas verändert.

2019 soll im Engel eine neue Ära beginnen. Der Gaststättenbetrieb wird reduziert. Eine Kooperation mit dem Rollmops-Theater soll für eine Belebung sorgen. Die Räumlichkeiten stehen weiterhin zur Miete für Veranstaltungen zur Verfügung.

Ihre Erinnerungen und Fotos

Waren Sie damals auch im Engel und im Waldpeter zu Gast? An welche Diskotheken und Lokale aus dieser Zeit erinnern Sie sich noch? Schicken Sie uns Ihre Erinnerungen und Bilder unter dem Stichwort "Disko" per Email an leserreporter@suedkurier.de