Dass es ein sehr dunkler Moment in seinem Leben werden sollte, das war schon eine ganze Weile klar. Auf jeden Fall wohl seit jenem Tag, als dem Unterkirnacher Tilmann K. der Termin für die Zwangsräumung seines Wohnhauses im Panoramaweg in den Briefkasten geflattert war.

Doch wann war der Moment, in dem feststand, wie schwarz Dienstag, der 23. Januar 2024, für den 62-jährigen IT-Fachmann wirklich werden würde? Oder besser gesagt: Was bringt einen Mann wie ihn bloß dazu, sich in seinem Haus zu verbarrikadieren und mit dem Anzünden zu drohen?

Der Experte für solche Ausnahmesituationen

Knud Eike Buchmann kennt sich aus mit Menschen wie Tilmann K., den seine Nachbarn als höflich, aber schrullig und sehr zurückgezogen beschreiben. Menschen, bei denen es irgendwann, aus irgendwelchen Gründen und irgendwie den sprichwörtlichen Stecker zieht.

Buchmann war 25 Jahre lang als Professor für Psychologie und Personalführung an der Hochschule für Polizei in Villingen-Schwenningen tätig. Der Bad Dürrheimer war selbst bei Polizeieinsätzen vielfach an Verhandlungen mit Geiselnehmern und Suizidgefährdeten beteiligt.

Knud Eike Buchmann weiß, wie Menschen wie Tilmann K. aus Unterkirnach, der sein Haus anzünden wollte, ticken. Unser Bild entstand 2022.
Knud Eike Buchmann weiß, wie Menschen wie Tilmann K. aus Unterkirnach, der sein Haus anzünden wollte, ticken. Unser Bild entstand 2022. | Bild: TOM HERZOG-SINGER

„Er scheint in die Enge geraten zu sein“, sagt der Experte über Tilmann K., „da sind Menschen zu allem möglichen fähig – zu großen Heldentaten oder zu großen Schandtaten“. Knud Eike Buchmann nennt drei große Faktoren, die für jeden wichtig sind: Beziehungen, Kompetenz und Selbstbestimmung, also die Möglichkeit, das eigene Leben kontrollieren zu können. „Wenn man in diesen Bereichen eingeschränkt ist, kann es zu einer solchen Tat kommen“, weiß Buchmann.

Ein Ausweg, der länger durchdacht wird

Gut möglich, dass es im Fall Tilmann K. genauso war. In dessen Leben, so vermutet der Fachmann, sei schon längere Zeit die Ordnung verloren gegangen. Die Anzeichen: Er soll sich immer weiter zurückgezogen, soll Rechnungen nicht bezahlt haben, das Haus war offenbar als Schandfleck bekannt.

Dass er dieses Zuhause nun endgültig verlieren sollte, könnte der berühmte letzte Tropfen gewesen sein. „Ich denke, das war keine spontane Tat, sondern ein Ausweg, den er schon länger durchdacht hat“, vermutet Buchmann. Und: „Bei Verzweiflung, da drehen viele Menschen durch, da ist alles möglich.“

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Bei dem 62-jährigen Ex-Soldaten war es die Drohung, einfach „alles abzufackeln“. Doch was muss dem Unterkirnacher an diesem trüben Tat-Dienstag, als allein er in seinem von Benzinschwaden durchzogenen Haus saß, wohl durch den Kopf gegangen sein? Glaubte er wirklich, das Problem so lösen, sein Haus so retten zu können?

„Nein“, sagt Knud Eike Buchmann. „Das Denken ist in einer solchen Lage stark eingeschränkt.“ Die Zukunft, negative Folgen seien kein Thema mehr. „Ich zünde alles an und dann ist alles vorbei“ – so oder ähnlich sehen die Gedanken der Täter stattdessen aus.

Der Rausch der plötzlichen Prominenz

Nicht zu unterschätzen, so Experte Buchmann, sei auch die plötzliche Wichtigkeit, die Tatsache, auf einmal so im Mittelpunkt zu stehen. Polizei vor dem Haus, ein Hubschrauber kreist, die Medien berichten – „wenn jemand in so einem Rausch drin ist, kommt er sich sehr wichtig vor und kann das auch genießen.“ Dies, so weiß der Psychologe, sei ein Bedürfnis für viele.

Mit schlauen Ratschlägen geht nichts

Ein Täter, der tief drinnen steckt in seiner eigenen Welt – wie ist es in Unterkirnach wohl gelungen, Tilmann K. hier wieder herauszuholen und letztendlich zur Aufgabe zu überreden? Mit Vernunft, so erklärt Knud Eike Buchmann, sei in einem solchen Fall jedenfalls nicht viel zu erreichen.

„Man sollte den Täter nicht belehren, sonst kann das eher zu Widerstand führen.“ Der Weg sei hier immer sehr individuell. „Wir müssen davon ausgehen, dass ein Mensch in einer solchen Situation einen Schwachpunkt hat, durch den er am Leben hängt.“ Diesen gelte es zu finden.

Zurück nach Unterkirnach – oder doch lieber nicht?

Tilmann K., der nach zwölf bangen Stunden doch noch eingelenkt hat, steht jetzt vor einer ungewissen Zukunft. Untersuchung in der Psychiatrie, ein Gutmachten, irgendwann die Freilassung – das ist der Weg in solchen Fällen, sagt Buchmann.

Und dann? Zurück ins kleine Unterkirnach, dorthin, wo nun jeder den 62-Jährigen und seine Tat kennt? „Man sagt oft, dass die Leute am besten aus ihrer Umgebung herausmüssen“, so Buchmann. Optimal wäre ein Betreutes Wohnen – und natürlich andere Menschen, die auf ihn achten.

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