Wenn Deborah Canale an die kommenden Wintermonate denkt, graust es ihr. Die zweifache Mutter aus Schwenningen weiß schon jetzt, dass sich bei ihren Kindern Maxima (3) und Dante (1) ein Infekt an den anderen reihen wird. Wie es bei kleinen Kindern eben so ist. Allerdings mit einem großen Unterschied zum Vorjahr: Ab Januar hat die Familie keinen Kinderarzt mehr.
Künftig fehlen zwei Praxen
Die Canales gehören zu den Familien, die verzweifelt auf der Suche nach einem Mediziner für ihren Nachwuchs sind. Ein Problem, das im Schwarzwald-Baar-Kreis zunehmend drängender wird. Denn: die Nachbarstadt St. Georgen hat bereits seit vier Jahren überhaupt keine Kinderarztpraxis mehr. Zum Jahresbeginn verschärft sich das Problem weiter, wenn in Villingen Christoph Leonhardt seine Praxis altershalber schließt, bei den auch die Canales bisher Patienten waren.
Zwei Jahre Nachfolgersuche
Der 66-jährige Mediziner hat zwei Jahre lang vergeblich einen Nachfolger gesucht. Anfragen unter den Ärzten am Schwarzwald-Baar-Klinikum blieben ebenso erfolglos wie die von ihm initiierte Suche an den Universitätsstandorten Freiburg und Tübingen.

Auch die dreijährige Maxima und ihr Bruder Dante sind bislang Patienten bei Christoph Leonhardt. Ihre Mutter Deborah bedauert die Schließung der alteingesessenen Praxis sehr – und sucht seit Wochen verzweifelt eine Lösung.
Was sie bisher bekam: Absagen. „Ich habe alle Praxen abtelefoniert, überall wurden wir abgewiesen.“ Eine Praxis in VS weise bereits auf dem Anrufbeantworter darauf hin, dass man keine Patienten der Praxis Leonhardt übernehme, bei einer Praxis in Rottweil steht es auf der Internetseite.
„Bitte rufen Sie nicht an“
Wörtlich heißt es: „Wir erhalten momentan viele Anfragen von Familien aus Villingen-Schwenningen, die aufgrund der Praxisaufgabe eines dortigen Kollegen zu uns wechseln möchten. Bitte rufen Sie uns bei Wechselwunsch nicht an. Wir arbeiten bereits am Rande unserer Praxiskapazität.“
Überall Absagen
Als die Familie Canale im vergangenen Jahr aus Stuttgart zurück in die alte Heimat nach Schwenningen zog, sei es schon schwer gewesen, überhaupt einen Kinderarzt zu finden. „Dr. Leonhardt hat uns damals zum Glück genommen“, blickt Deborah Canale zurück.
Die Fahrt nach Villingen nimmt die Innenarchitektin gerne auf sich, und sie würde auch weiter fahren, um ihre Kinder künftig medizinisch versorgt zu wissen. Doch auch in Donaueschingen und Trossingen wurde sie mit Verweis auf die fehlenden Kapazitäten abgewiesen.
„Man hat zu seinem Arzt ein Vertrauensverhältnis, gerade zum Kinderarzt. Ich möchte doch einen Arzt, der mein Kind kennt.“Deborah Canale, Mutter von zwei Kindern
„Einmal hat man mir am Telefon gesagt, wir sollten im Notfall eben ans Klinikum gehen“, sagt die 37-Jährige. „Nachts würde ich das natürlich auch tun, aber mich würde interessieren, wie es das Klinikum findet, wenn künftig alle Eltern mit Kindern mit Mittelohrentzündung und Magen-Darm-Infekt bei ihnen vor der Tür stehen.“
Deborah Canale ist nicht untätig geblieben: Sie hat nicht nur alle Kinderarztpraxen abtelefoniert, sondern sich inzwischen auch bei der Krankenkasse beschwert sowie sich an die Kassenärztliche Vereinigung (KV) und an die Ärztekammer gewandt.
Das Ergebnis: „Ich habe das Gefühl, jeder schiebt dem anderen den Schwarzen Peter zu.“ Von der Krankenkasse bekam sie lediglich Telefonnummern von Praxen (“Die hätte ich auch selbst herausgefunden“), bei der KV riet man ihr, sich über den Patientenservice unter der Nummer 116117 einen Termin für die in Baden-Württemberg verpflichtenden Vorsorgeuntersuchungen der Kinder zu buchen.
Das funktioniert so: Ärzte müssen freie Kapazitäten, etwa für Vorsorgeuntersuchungen ebenso melden wie für freie Sprechstundentermine. Diese werden dann von Mitarbeitern des Patientenservice vergeben. Nur: Das kann auch bedeuten, dass jedes Mal eine andere Praxis angefahren werden muss.
Mit dem Problem allein gelassen
Für Deborah Canale ein Notnagel, aber auf Dauer keine befriedigende Lösung: „Man hat zu seinem Arzt ein Vertrauensverhältnis, gerade zum Kinderarzt. Ich möchte doch einen Arzt, der mein Kind kennt.“ Sie fühlt sich allein gelassen. „Da denkt man immer, auf dem Land geht es entspannter zu“, sagt sie. „Aber von wegen. In Stuttgart konnten wir in Fußnähe zwischen mehreren Kinderarztpraxen wählen, und jede hätte uns genommen.“