Die Pflege hat ein Problem. Es fehlt an Menschen, die in dem gesellschaftlich so wichtigen Beruf arbeiten wollen. Das ist nicht erst seit Corona so. Die Pandemie hat die Schwierigkeiten aber sehr deutlich zu Tage gefördert.
Vom Tresen in die Werkhalle
Gefragt sind Mitarbeiter jeglicher Qualifikation, Fachkräfte genauso wie Pflegehelfer mit einjähriger Ausbildung oder ungelernte Pflegeassistenten. So wie Christian Brito Müller und Andreas Deißler, 43 und 49 Jahre alt. Beide hatten lange Zeit nichts mit Pflege am Hut. Christian Brito Müller, ursprünglich aus Schleswig-Holstein, arbeitete viele Jahre in der Gastronomie. Andreas Deißler ist gelernter Kfz-Mechaniker.
Plötzlich so viele Feiertage
Christian Brito Müller jobbte nach seinem Umzug nach Baden-Württemberg als angelernte Kraft in der Industrie. „Davon gibt‘s hier ja genug“, sagt er. Die Umstellung vom Tresen in die Werkshalle sei immens gewesen: Keine sechs-Tage-Woche mehr, früher Feierabend. „Ich wusste gar nicht mehr, wie viele Feiertage wir in Deutschland eigentlich haben.“

An genau jenen Feiertagen arbeitet er nun auch wieder. Egal ob an Ostern, Pfingsten, Weihnachten. Christian Brito Müller ist seit 2020 Pflegeassistent in der Parkresidenz am Germanswald. Von der Industriehalle auf die geschlossene gerontopsychiatrische Station. Hier werden Menschen versorgt, die an verschiedenen Formen der Demenz leiden und – daher geschlossen – zum Weglaufen neigen. Warum macht man das?
Ruhig und empathisch
Erfüllt habe ihn der Industriejob nicht, sagt der 43-Jährige mit den Rastazöpfen auf dem Kopf und den Piercings in der Unterlippe. Er sagt über sich selbst, dass er eigentlich „kein besonderes Talent“ habe. Wirklich nicht? „Ich bin jetzt nicht handwerklich oder technisch irgendwie begabt.“ Deshalb habe er immer nur gejobbt und keine Ausbildung absolviert. Aber er sei ruhig und empathisch, sagt er. In der Pflege ein unschätzbares Gut, vor allem im Umgang mit demenzkranken Menschen.
Die Seniorenresidenz am Germanswald überzeugte der Schleswig-Holsteiner sofort, er bekam direkt die Zusage. Ohne die Pflegehelfer mit einjähriger Ausbildung und die angelernten Pflegeassistenten ginge es auch gar nicht. Das gäbe der Personalschlüssel in den Heimen gar nicht her.
Wertschätzung und Dank
Cathrin Beese, Geschäftsführerin der Parkresidenz, ist dankbar für jeden Mitarbeiter. „Die Helfer kommen in der Regel ja aus anderen Berufszweigen. Viele kennen das gar nicht, dass sie mal ein ‚Dankeschön‘ hören“, schildert sie. Ihr sei es wichtig, dass alle im Team Wertschätzung erfahren, auch von der Chefin mal hören: „Danke, dass du da bist und deine Arbeit so toll machst.“
In seiner ersten Arbeitswoche sei er sehr unsicher gewesen, erinnert sich Christian Brito Müller, obwohl er sehr herzlich aufgenommen worden sei. „Man kommt den Leuten ja schon sehr nahe. Es wurde aber jeden Tag besser.“ Mittlerweile ist er als Pflegehelfer fester Bestandteil des Teams der gerontopsychiatrischen Station. Er hilft den Bewohnern bei der Körperpflege, beim Essenreichen, bereitet das Frühstück zu oder kann sich die Zeit nehmen, mit den Menschen zu reden. Außerdem unterstützt er die Fachkräfte, beispielsweise bei Verbandswechsel.
„Ich brauche nicht so viel. Als ich deutlich mehr verdient habe, war ich nicht glücklicher.“Christian Brito Müller, Pflegehelfer und Quereinsteiger
Kann er sich vorstellen, die Ausbildung zum Pflegeassistenten oder die Ausbildung zur Pflegefachkraft zu absolvieren? Nein, sagt Christian Brito Müller. Er hat eine 75 Prozent-Stelle. Mit seinem Gehalt komme er gut klar. Er lebt zufrieden in Pfaffenweiler mit der Natur vor der Haustür und genießt es, neben der Arbeit Zeit für sich zu haben. „Ich brauche nicht so viel. Als ich deutlich mehr verdient habe, war ich nicht glücklicher.“

Sein Kollege Andreas Deißler findet dennoch: Die Gehälter müssten höher sein, der Freizeitausgleich besser. Vor einem freien Wochenende arbeitet er zwölf Tage am Stück, wenn jemand ausfällt, auch mal mehr.
„Ob Akademiker oder einfacher Waldarbeiter: Demenz stellt alle auf dieselbe Stufe.“Andreas Deißler, Pflegehelfer
Und die Anerkennung für Pflegeberufe, die vermissen sie beide. „Das Klischee lautet doch oft: Ach, du bist in der Pflege? Da wischst du ja den ganzen Tag Hintern ab“, sagt Andreas Deißler. Der 49-Jährige weiß besser, was es heißt, demente Menschen in ihrem Alltag zu begleiten, deren Gemütslage sich von einem Moment zum nächsten ändern kann. „Bei uns ist kein Tag gleich.“ Ein vorübergehendes Gastspiel als Pflegehelfer sollte sein. So zumindest der Plan des gelernten Kfz-Mechanikers, als er mit seiner aus Donaueschingen stammenden Frau aus dem Odenwald hierher zog. Das ist zwölf Jahre her.
Seitdem arbeitet er in der Parkresidenz am Germanswald. Zuerst auf der mittlerweile aufgelösten Station für sucht- und psychisch Erkrankte, aktuell auf der gerontopsychiatrischen geschlossenen Station. Wer hier lebt, ist an einer der vielen Formen von Demenz erkrankt. Erkennt vielleicht die eigenen Kinder nicht mehr. Spricht den ganzen Tag kaum ein Wort oder erzählt euphorisch die immer gleichen Geschichten von den immer gleichen Menschen, die schon lange tot sind.
Demenz kennt keinen Sozialstatus
Eines hat Andreas Deißler in den vergangen zwölf Jahren vor allem gelernt: Worauf es im Leben wirklich ankommt und dass Besitz und Prestige letztlich nichts ändern. „Ob Akademiker oder einfacher Waldarbeiter: Demenz stellt alle auf dieselbe Stufe.“