Ein Anflug von Gänsehaut, ein wenig Beklemmung und für einen kurzen Moment das Gefühl, lieber doch wieder wegschauen zu wollen: Das Altenheim Parkresidenz am Germanswald hat ein Fotoprojekt realisiert, das beim Betrachten Spuren hinterlässt.
Genau das wollten sie. Cathrin Beese, Geschäftsführerin des Alten- und Pflegeheims im Villinger Kurgebiet sagt das mit einem Lächeln. Sie sitzt an einem Wintermorgen in der Cafeteria im Erdgeschoss und ist stolz auf die Bilder, die entstanden sind.
Aber auch ein wenig auf ihre Courage, dass sie sich wirklich getraut hat. Getraut, eine Welt zu zeigen, in der es kaum mehr Pflegekräfte gibt und in der keiner mehr Zeit für die alten Menschen hat. Eine Dystopie, sagt sie. Vielleicht auch ein wenig Provokation.

„Sehen Sie hin!“, so haben sie die Bilderreihe genannt. Die Idee dazu hatte Cathrin Beese schon vor Jahren. Sie kennt den Profifotografen und Künstler Andreas Jorns aus Hagen gut. Als sie ihm im vergangenen Jahr, ausgelaugt von der Pandemie, den Vorschlag macht, ist er sofort begeistert.
Ihr Ziel: Mehr Aufmerksamkeit. Die Menschen sollen positiver über ihren Pflegeberuf sprechen, sie sollen sich bewusst mit dem Alter befassen, sich vielleicht auch mal ehrenamtlich engagieren im Altenheim. „Wir sind wichtig, sprecht über uns“, sagt Cathrin Beese.
Immer noch zu wenig
Natürlich habe sich auch etwas getan in letzter Zeit. Das sieht auch Beese. Die generalistische Ausbildung beispielsweise, der Pflegebonus, Tarifverträge fürs Pflegepersonal. Aber es reicht nicht, findet sie. Auch Klatschen hilft ihnen nicht.
Sie selbst haben im Moment keinen Personalmangel. „Gott sei Danke“, sagt Beese. 79 Mitarbeiter kümmern sich aktuell um 79 Bewohner. Das war aber auch schon anders, sagt Beese. Sie wissen also, was es heißt, wenn die Zeit knapp und die Arbeit mehr wird.
Shooting in der Kaserne
Aktuell werden die Bilder auf Usedom ausgestellt – das kam über einen Kontakt des Fotografen zustanden. Auch in VS wollen sie die Bilder zeigen. Sie sind in Kontakt mit der Stadtbücherei in Schwenningen, der Sparkasse und dem Kreativzentrum die Halle.

Entstanden sind die Bilder an einem sonnigen Herbsttag im September in den leeren Räumen der Richthofenkaserne.
Susanne Hauser, Qualitätsmanagerin in der Parkresidenz, hat alles vorbereitet. Sie spielt in Hüfingen in zwei Theatergruppen. Sie kennt sich damit aus, Atmosphären zu erschaffen und zu gestalten. Am Ende ist ihnen das so gut gelungen, dass Hauser mit den Tränen kämpfen musste; als sie das Bild einer einsamen Frau am Fenster aufgenommen haben.

„Das hat mich so berührt, da musste ich kurz mal eine Pause machen.“ Vielleicht weil sie das Bild aus ihrem Alltag nur all zugut kennt: „In den ersten sechs Wochen der Pandemie saßen viele Bewohner genau so am Fenster.“
Sie hatten professionelle Make-Up Artistinnen aus Stuttgart. Petty La Rosa und Sarah Heidelberger Gutmán haben beispielsweise täuschend echte Hämatome auf die Haut gebracht. Ehrenamtlich. Auch der Fotograf hat für das Shooting kein Geld bekommen.
Im Vorfeld haben sie ehrenamtliche Models gesucht, insgesamt fünf Bewohner und Mitarbeiter waren ebenfalls beim Shooting dabei.
Marie-Catherine Hausner ist eine davon. Die Hauswirtschaftsleiterin hat für zwei Motive Modell gestanden – oder besser gesessen. Einmal im Badezimmer und einmal allein auf einem Bett. Letzteres soll die Einsamkeit in den von der Politik geforderten Einzelzimmern zeigen.

Damit auch die traurige Stimmung bei den Models ankommt, haben sie die alten Kasernenhallen mit emotionaler Musik geflutet.
Fragt man Susanne Hauser und Cathrin Beese, welche Bilder sie am meisten berühren, müssen sie einen Moment nachdenken. „Das mit Vanessa“, sagt Cathrin Beese dann. Eine Pflegekraft, die müde und erschöpft allein im Raum steht. Das waren sie. Alle. Während der Pandemie im besonderen. „So müde und erschöpft und dennoch treten sie zum Dienst an jeden Morgen.“

Susanne Hauser berührt das Bild mit am meisten, auf dem eine Frau mit einem Strick zu sehen. Weil es ein Thema zeigt, dass in der Gesellschaft viel zu oft tabuisiert wird: Alte Menschen, die nicht mehr leben wollen. „Für uns ist das ein stückweit fast Normalität“, sagt Hauser. „Es ist nicht immer toll, so alt zu werden.“

Es ist auch nicht immer toll, sich diese Bilder anzusehen. Das weiß auch Beese. „Schön ist anders, aber schöne Bilder wollten wir sowieso nicht machen“, sagt sie. Was sie wollten ist etwas anderes: „Schauen Sie sich unsere Bilder an. Sehen Sie hin!“