Beim VS-Forum des SÜDKURIER ging es jetzt um das Thema Knastalltag. Die beiden Rechtsanwälte Ingo Lenßen und Robert Scheel teilten ihr Insider-Wissen mit dem Publikum. Nach zahlreichen spannenden Anekdoten und verblüffenden Fakten waren die Besucher gefragt. Sie konnten den beiden Anwälte ihre Fragen stellen.
Plötzlich kann der Gefangene fliehen
Gisela Rösch wunderte sich über einen außergewöhnlichen Fall. Da war es einem Langzeithäftling bei einem von Wärtern begleiteten Ausgang und trotzt Fußfessel gelungen zu fliehen. Wie kann das sein?

Robert Scheel, Kanzleipartner von Ingo Lenßen, konnte mit einem Missverständnis aufräumen. Der Vorfall in Bruchsal sei ihm bekannt. Meist würden die Häftlinge keine echten sondern elektronische Fesseln tragen, könnten also durchaus wegrennen. Der Betreffende habe es zudem geschafft, diesen Peilsender abzulegen.
Und tatsächlich gibt es wohl auch gute Gründe für einen solchen Ausflug in die Freiheit auch für lebenslänglich Verurteilte. Vor einer eventuellen Entlassung, die nach 15 Jahre geprüft werde, müssten die Gefangenen erst auf ein Leben in Freiheit vorbereitet werden. Beispielsweise durch einen begleiteten Ausgang, ehe es zum offenen Vollzug komme.
Ingo Lenßen zeigte Verständnis für Fluchtversuche von Gefangenen. Allerding würden sich viele auch selbst wieder stellen. „Lange Flucht ist ähnlich wie Gefängnis“, sagte er. „Weil sie sich nirgendwo zeigen können und jahrelang in Angst leben, gefasst zu werden.“
Wie steht es um das ethische Verhalten von Anwälten?
Ein emotionaler Aspekt interessierte Auch Jürgen Winkler. Er wollte wissen, wie es mit der ethischen Einstellung von Rechtsanwälten aussieht. „Mir ist nicht ganz verständlich, wie Verteidiger eine Revision beantragen können, wenn der Täter ein Geständnis abgelegt hat.“
Für Robert Scheel gibt es dabei aber keinen Widerspruch. „Es gibt Fehlurteile und falsche Geständnisse“, sagte er. „Wenn auch nicht häufig, so kommt es dennoch vor.“ Und dann sei es mitunter einfach so, dass die Verteidiger davon ausgehen, dass ihr Mandant für seine Tat zu hart bestraft wurde.
Anschaulich erklärte es Ingo Lenßen so: „Wenn der Mandant zu sieben Jahren verurteilt wird und wir zweieinhalb gefordert hatten.“ Zudem könnten die Anwälte der Meinung sein, dass es zu Verfahrensfehlern gekommen ist oder bestimmte Beweise nicht gewürdigt wurden. „Es geht also nicht immer darum, dass wir unseren Mandanten frei bekommen wollen“, sagte Lenßen.

Und dann hatte der Anwalt noch ein konkretes Beispiel parat. „Da wollte jemand mit 400 Kilogramm Cannabis über die Grenze. Das gilt inzwischen nicht mehr als Straftat, deshalb war es nicht rechtens, seine Handydaten im Prozess zu verwenden“, erklärte er. „Demokratie muss es in solchen Fällen aushalten, dass jemand freigesprochen wird, der schuldig ist“, findet Lenßen.
Lenßen vertritt nicht jeden
Bei der Auswahl seiner Klienten zieht der Anwalt aus Bodman-Ludwigshafen ohnehin klare Grenzen. „Wenn mir einer einfach so sagt, er wollte dem Opfer halt ins Gesicht schlagen, dann weise ich dem die Tür“, sagte Lenßen. „Dann sind wir die falschen Verteidiger. Denn wenn ich zu etwas nicht stehen kann, bin ich ein schlechter Verteidiger und das will ich nicht sein.“ Auch die Vergewaltiger von Kindern würde er aus diesem Grund prinzipiell nicht vertreten.
Das ist die Hackordnung im Knast
Birgit Mob wollte wissen, ob die Häftlinge je nach ihren Taten untereinander unterschiedlich gut oder schlecht angesehen sind.
Dem ist laut Robert Scheel tatsächlich so. „Es gibt Vergehen, die mehr angesehen sind als andere“, bestätigte er. Oben in der Hierarchie stehen demnach die Gewalttäter, die Gefangenen mit Vermögensdelikten seien im Mittelfeld angesiedelt. Ganz unten stehen die Sexualstraftäter.
Warum die Scham oft hohe Strafen verhindert
Thomas Kopp war selbst schon als Schöffe tätig. Ihm stellte sich die Frage, wie es sein kann, dass Sexualstraftäter oft mit niedrigen Strafen davonkommen, selbst wenn die Beweislage eindeutig ist.

Die Gründe dafür sieht Ingo Lenßen weniger auf der juristischen Seite, eher auf der psychologischen. „So ein Prozess ist für alle Beteiligten äußerst unangenehm“, sagte er. Für das Strafmaß seien oft die Details der Tat entscheidend. „Und die möchte eigentlich niemand im Gerichtssaal hören“, räumte der Anwalt ein. Grundtenor: Hoffentlich ist das bald vorbei. „Das ist ein ganz großer Missstand in unserem Rechtssystem.“
Warum die Anwälte gegen die Todesstrafe sind
Zum Stichwort Todesstrafe, von einer weiteren Besucherin angesprochen, war Robert Scheel ziemlich entschieden. „Als Rechtsanwalt kann ich nicht beantworten, ob ein Täter resozialisierbar ist“, sagte er. „Als Mensch habe ich jedoch die Hoffnung, dass jeder Mensch dafür noch erreichbar ist.“ Er und Lenßen halten laut Scheel nichts von der Todesstrafe. „Wir finden, dass Strafe nicht nur Vergeltung ist. Und als Menschen sollten wir nie Gleiches mit gleichem vergelten.“
Ingo Lenßen schloss sich dem an. „Ich kann jeden verstehen, dem ein lieber Mensch genommen wurde, und der so eine Strafe fordert.“ Für ihn als Anwalt stelle sich aber die Frage: Was wenn nachher rauskommt, das der Getötete es doch nicht war? „Diese Verantwortung will ich nicht“, sagte Lenßen.
Gibt es Fünf-Sterne-Gefangene?
Dem Zuhörer Thomas Rotschuh treibt eine eher leichtere Frage um. „Es gibt ja auch prominente Gefangene. Haben die eigentlich die gleichen Haftbedingungen, essen die die gleiche Suppe?“, wollte er wissen.
Das sei so, sagte Lenßen. „Die Haftbedingungen sind für alle gleich.“ Wobei, das mit dem Essen ... Er habe da mal einen Zuhälter vertreten. „Ich koche jeden Abend für die Jungs hier – richtig lecker“, habe der ihm erzählt. Wie der Gefangene das hinbekommen hatte, konnte sich Lenßen allerdings auch nicht erklären.
„Ich lege meine Termine immer so, dass ich den Essensgeruch im Gefängnis nicht mitbekomme“, sagte Ingo Lenßen. Sonst vergehe ihm drei Stunden lang der Appetit. Gefängnis ist halt kein Zuckerschlecken.
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