Während des Corona-Lockdowns in Schwenningen und Tuttlingen kam es zu Vorfällen, bei denen sich Unbefugte Zugang zum Videounterricht an Schulen verschafft hatten, um dort pornografisches Material einzuspielen. Die Schüler wurden unfreiwillig zu Zuschauern. Vermutlich waren solche Bilder aber gar nichts Neues für die Minderjährigen. Denn: „Bei unseren Präventionsveranstaltungen geben rund 50 Prozent der Jugendlichen an, schon einmal Erfahrungen mit sogenannten Dickpics gemacht zu haben“, erzählt Angela Donno, Geschäftsführerin des Vereins Grauzone mit Sitz in Donaueschingen.

Unter Dickpic versteht man Bilder von Geschlechtsteilen oder anderen intimen Bereichen, die häufig über Nachrichtendienste verschickt werden. Dieser Trend hat sich durch die heute allgegenwärtigen Mobilgeräte vor allem unter Jugendlichen weit verbreitet, ist aber nicht nur dort zu beobachten. Meist erreichen solche Nachrichten mit obszönen Textinhalten, Bildern und Videos ihre Empfänger ungewollt.
Verrohung der Gesellschaft
50 Prozent sind eine erschreckend hohe Zahl. Die 43-jährige Sozialpädagogin ist sich sicher, dass durch das Internet eine schleichende Verrohung der Gesellschaft stattfindet, durch alle Gesellschaftsschichten hinweg. „Gefördert wrd dais durch die Anonymität im Netz“, erklärt sie. So könnten Täter oft unerkannt ihren Frust abbauen. Die Opfer solch sexualisierter Gewalt, wie Donno es nennt, wüssten häufig gar nicht so richtig, ob das das nun erlaubt ist oder nicht. „Sie haben oft kein Bewusstsein dafür, dass es eine Straftat darstellt“, sagt Donno, zu Tätern und Opfern.
Anzeige erstatten
Viele Empfänger solcher Nachrichten würden daher gar nie den Weg zur Grauzone suchen, mit Eltern darüber sprechen oder Anzeige erstatten. Der falsche Weg, da ist sich Donno sicher. „Man muss sich überhaupt nichts gefallen lassen“, betont sie. Auch wenn am Ende kein Urteil fällt oder kein Täter ermittelt werden kann, so sei es zumindest ein wichtiges Signal, dass hier Unrecht geschehen ist. Ähnlich sieht das auch Dieter Popp, Pressesprecher im Polizeipräsidium Konstanz. Auch er rät dazu, sich immer den Eltern anzuvertrauen, sobald man sich gekränkt, verletzt oder belästigt fühlt. Auch den Gang zur Polizei solle man nicht scheuen.
Beispiele für Straftaten
Sexualisierter Gewalt im Netz hat laut Donno viele Gesichter und lauert an vielen Stellen, in Chats, Netzwerken, Foren, Videoplattformen oder in privaten Kommunikationskanälen. Dieter Popp hat andere Namen dafür. Straftaten sind im Strafgesetzbuch auf vielen Seiten, von Paragraf 170 bis 184, genau definiert und sehen teils empfindliche Strafen vor. Die Taten selbst bleiben die selben. „Man ist da ganz schnell im Straftatbereich“, warnt der Beamte. Es reiche schon, ein intimes Bild von sich selbst an andere zu verschicken, oder ein anderes weiter zu verbreiten, gewollt oder ungewollt. Dies fällt unter Paragraf 184c, Verbreitung, Erwerb und Besitz jugendpornographischer Inhalte.

Die Taten werden mit Freiheitsstrafen bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe sanktioniert. Heimlich pornografische Inhalte von anderen Jugendlichen zu erstellen und diese zu verbreiten fällt unter Paragraf 184k, Verletzung des Intimbereichs durch Bildaufnahmen, was mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit einer Geldstrafe geahndet wird. „Es gibt Möglichkeiten, Inhalte aus dem Netz zu entfernen“, sagt Popp. Zu den Tätern sagt er: „Viele denken dabei nicht an die langfristigen Folgen.“ Einen Eintrag im Führungszeugnis bleibt in der Regel fünf Jahre bestehen, bei Sexualdelikten auch zehn Jahre.
Statistik
Die vereinseigene Statistik aus dem Jahr 2019 dokumentiert insgesamt 103 neue Fälle in der Beratung. Hinzu kommen 18 Betroffene aus dem Vorjahr, die weiter in der Beratung waren. „Normalerweise beraten wir die Personen drei bis fünf Mal, selten auch länger“, erklärt die Geschäftsführerin.
30 Beratungen fanden persönlich statt, 64 telefonisch, und sechs über E-Mail-Kontakt. 70 Prozent der Opfer waren weiblich, 30 Prozent männlich. Die Täter waren in 80 Prozent der Fälle männlich, 20 Prozent weiblich. Die sexuelle Gewalt fand in 47 Prozent der Fälle innerhalb der Familien statt, zu 31 Prozent im sozialen Umfeld, und zu 25 Prozent durch fremde Personen.
Eigene Erfahrung
Dass sexualisierte digitale Gewalt überall auftreten kann, hat Donno selbst schon einmal erleben müssen. Damals wollte sie einen nicht mehr benötigten Schrank der Tochter auf einem großen Anzeigenportal im Netz verkaufen. Ein Mann meldete sich auf die Anzeige über die Nachrichtenfunktion der Seite. Ein Termin wurde vereinbart. Donno teilte dem Interessenten Adresse und Telefonnummer mit. Bis hierhin war nichts verdächtig.
Doch bevor der Verkauf stattfand, meldete sich der Mann telefonisch, teilte Donno in obszönen Worten mit, was er alles mit ihr anstellen werde, wenn er den Schrank um 18 Uhr abholen werde.
„Ich hatte Angst“, erinnert sie sich. Darum meldete sie den Vorfall der Polizei. Die konnte ihr zwar nur bedingt helfen. Für umfangreiche Ermittlungen reichte der Tatbestand nicht aus. Allerdings wurde ihr zugesichert, dass sich eine Streife im Zeitraum in der Nähe des Wohnorts aufhalten würde. Zudem wurde Donno geraten, Nachbarn und Bekannte vorab zu informieren. Am Ende erschien der Mann gar nicht an der Haustür. Ein ungutes Gefühl blieb jedoch zurück.
Prävention ist wichtig
Doch wie kann man einer schleichenden Verrohung der Gesellschaft die Stirn bieten? Durch Prävention, Aufklärung und Bildung, da ist sich Donno sicher. „Es müssen Werte geschaffen werden für die junge Gesellschaft“, so Donno.
Das funktioniere einerseits über die Strafverfolgung, aber auch über Präventionsveranstaltungen an Schulen, zum Beispiel durch Persönlichkeitstrainings in dritten und vierten Klassen, wo das Nein-Sagen vermittelt wird und persönliche Grenzen ausgelotet werden.
Mit Jugendlichen sind später spezifischere Veranstaltungen möglich, nach Geschlechtern getrennt. Donno befürwortet, Medienkompetenz ab der Grundschule als Schulfach aufzunehmen. Für Erwachsene seien ebenfalls Angebote nötig. „Da müssen wir nachrüsten.“
Aus eigener Erfahrung ist sie überzeugt, dass in diesem Prozess vor allem Eltern Verantwortung übernehmen müssen. „Bei Kindern geht es nicht ohne Kontrollen und Grenzen“, sagt sie und bezieht sich dabei auf die Mediennutzung. Eltern sollten wissen, was ihre Kinder im Internet tun, mit wem sie Kontakt pflegen und wie lange das Handy an ist.
Der Verein
Die Grauzone ist im Jahr 1992 aus einer privaten Initiative heraus entstanden. Heute arbeiten drei hauptamtliche Mitarbeiterinnen in Verwaltung und Beratung, drei Vorstandsfrauen sind ehrenamtlich tätig. Angela Donno ist Geschäftsführerin in Teilzeit.
Der Verein hat sich zum Ziel gesetzt, für Opfer sexueller Gewalt im Schwarzwald-Baar-Kreis da zu sein und ganzheitlich zu helfen. Bei der Beratung wird individuell, flexibel und sensibel vorgegangen, vorhandene Ressourcen werden genutzt. Neben den Beratungen und der Vermittlung weiterer Hilfsangebote sind auch Prävention und Öffentlichkeitsarbeit als Aufgabe definiert. In der aktuellen Corona-Situation seien die Berater zudem nicht nur in Sachen sexueller Gewalt ansprechbar, teilt Donno mit.
Kontaktmöglichkeiten
Die Kontaktaufnahme mit den Beratern ist anonym über die E-Mail-Adresse info@grauzone-ev.de, oder telefonisch unter der Nummer 0771/4111 möglich. Viele Informationen zur Grauzone, zu den Angeboten und Kontaktmöglichkeiten gibt es auch auf der Internetseite www.grauzone-ev.de.