In den ersten Tagen der Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Epidemie klingelten die Telefone von Claudia Hahn und Emil Zajec kaum noch. „Viele Menschen waren in Schockstarre und sehr mit dem Sog des Shutdown beschäftigt“, erzählen die beiden. Probleme in Beziehungen, in der Familie oder im alltäglichen Leben seien auf einmal überlagert worden oder brachen dadurch erst auf. „Jetzt haben die Menschen eher wieder die Kapazität und sehen die Notwendigkeit, die Themen wieder aufzunehmen. „Es gab auch diejenigen, die von Anfang an die Krise als eine Chance für sich und das System aufgegriffen haben und die entstandenen Veränderungen proaktiv gestalteten“, erklärt Zajec.
Beratung: Zajec und Hahn sind als Berater bei der Psychologischen Beratungsstelle für Ehe-, Familien- und Lebensfragen in Villingen tätig, die zur katholischen Kirchengemeinde Villingen und zur Erzdiözese Freiburg gehört. Normalerweise finden Beratungen persönlich und vertraulich in den Räumen in der Kanzleigasse 30 statt. Aber seit Corona arbeiten sie, wie viele Menschen aktuell, hauptsächlich von zuhause aus. „Wir halten über Telefon und Email zu den Menschen Kontakt“, so Hahn. Ganz frisch sei nun die Möglichkeit der Beratung über Videokonferenzen hinzugekommen. Dabei sei es jedoch wichtig, dass Gespräche verschlüsselt und anonym stattfinden. Dafür würde ihnen nun eine spezielle Software zur Verfügung stehen. Die tägliche Arbeit funktioniere damit weiterhin gut. Gespräche, ja sogar Achtsamkeitsübungen zur Stressbewältigung würden auch über diesem digitalen Weg gut funktionieren. „Wenn das Beratungsgespräch auf einen Sinneskanal, das Hören, beschränkt wird und die Emotionen nicht mehr durch Mimik und Gestik transportiert werden können, haben Berater und Klienten die Chance, emotionale Themen in der inneren Landschaft zu bearbeiten“, fügen Zajec und Hahn hinzu, die in dieser Entwicklung einen Neuwert sehen.
Auswirkungen: Die Krise habe bei vielen Menschen deren Angst- und Panikmuster verstärkt. „Der Shutdown verursachte bei einigen eine Angstwelle“, so Zajec, der die Beratungsstelle in Villingen leitet. „Diejenigen, die ihre Ängste schon in der Vergangenheit nicht angeschaut haben, fliegt die Situation jetzt um die Ohren“, so Zajec und fügt hinzu: „Die Krise zeigt uns, wie verletzlich wir sind.“ Zudem verursache die häusliche Enge und die Isolation bei manchen Menschen inneren Stress. Eigenes Denken, Informationen zur Krise zu dosieren, reflektieren und nicht nur zu konsumieren, das sei ein erster Ansatz, um den persönlichen Angstkreislauf zu durchbrechen. „Die Menschen müssen sich bewusst werden, nicht alles steuern zu können“ so die Berater. „Was bedeutet die Krise für mich, wie kann ich mich beruhigen.“ Für Ausgleich und Entspannung könnten Hobbys und Bewegung in der Natur sorgen. „Bewusst aussteigen, Freiräume schaffen und eine Vogelperspektive einnehmen“, nennt Hahn einige Möglichkeiten. Das stärke zudem das Immunsystem, welches durch Angstzustände geschwächt werde. Diese Ausnahmesituation könne auch eine Chance sein, sich intensiv mit sich selbst zu beschäftigen, mit den Gefühlen und damit, was bei einem selbst Ängste auslöst. Auch der Glaube nehme in Krisen immer eine zentralere Rolle ein. Dieser könne helfen, progressiv zu werden, sich weiterzuentwickeln. Und obwohl Kirchen derzeit geschlossen seien, könnten sie eine zentrale Rolle einnehmen. „Welche Werte tragen mich? Aus Angst Mut machen und Querdenken. Aus welchen spirituellen Quellen schöpfe ich? Fragen wie diese können wegweisend und hilfreich sein“, so Zajec.
Tipps für Paare: Als Paar solle man versuchen, in herausfordernden Zeiten toleranter miteinander umzugehen. Menschen würden unter Belastung in einem Reiz-Reaktionsmuster und nicht überlegt reagieren. „Sollten hierbei Grenzen überschritten werden und Verletzungen passieren, ist es wichtig diese nicht zu übergehen sondern zu gegebener Zeit zu bearbeiten“, so Zajec und Hahn. In akuten Stresssituationen könnten dann zum Beispiel Auszeiten helfen. „Wer diese im Streit beantragt, sollte im Anschluss wieder auf den anderen zugehen“, erklären sie die Regeln. Während dieser Auszeiten sollte man versuchen sich selbst zu beruhigen, sich zu entspannen und ein Wohlgefühl zu schaffen. Nicht zuletzt raten sie dazu, sich anderen Personen anzuvertrauen, zum Beispiel durch einen Anruf Freunden, bei einer Beratungsstelle oder bei der Telefonseelsorge.
Tipps für Familien: „Die Situation ist für alle Neuland“, so die Berater. Mit Kindern könne man kindgerecht über die Krise sprechen und dabei so viel erzählen, wie Kinder selbst zum Thema nachfragen. Feste Rituale, Regeln und Strukturen würden helfen, den begrenzten und neuen Alltag besser zu meistern. Es gelte auch hier, dass Druck zu Verletzung führen kann. Wichtig sei Kinder und Jugendliche ernst zu nehmen und ihnen bei Bedarf emotionale Hilfe zu leisten.
Beratungsstelle: Die Psychologische Beratungsstelle für Ehe-, Familien- und Lebensfragen in der Kanzleigasse 30 in Villingen feierte im vergangenen Jahr 50-jähriges Bestehen. Rund 1500 psychologische Beratungsgespräche finden hier jedes Jahr statt. Etwa 60 Prozent davon sind Einzelberatungen und 40 Prozent Paarberatungen. 60 Minuten nehmen sich die Mitarbeiter für Einzelgespräche Zeit, bei Paaren sind es 90 Minuten. Aktuelle Informationen und die aktuellen Telefonnummern der Mitarbeiter, werden immer auf der Internetseite www.efl-villingen.de veröffentlicht. Emil Zajec aus Bad Dürrheim ist 49 Jahre alt. Seit acht Jahren leitet er die Villinger Beratungsstelle. Claudia Hahn ist 46 Jahre alt und kommt aus Rottweil. Sie ist seit fünf Jahren Teil des Beratungsteams. Beide haben einen pädagogischen Grundberuf und zudem eine mehrjährige Ausbildung in Einzel-, Paar- und Familientherapie abgeschlossen.