Keine Kaffeepause mehr mit den Kollegen, kein Treffen mit Freunden, keine Tagesstruktur – die Coronakrise beeinflusst das Leben und die Psyche der Menschen auch in Villingen-Schwenningen. Gut beurteilen können das vor allem Psychotherapeuten. Der SÜDKURIER hat mit zwei Expertinnen aus Villingen und Schwenningen gesprochen.

Hana Dickhaut ist Psychotherapeutin aus VS-Schwenningen.
Hana Dickhaut ist Psychotherapeutin aus VS-Schwenningen. | Bild: Hana Dickhaut

Hana Dickhaut hat seit 2013 eine Praxis für Psychotherapie und Psychotraumatologie in Schwenningen. Außerdem lehrt sie die EMDR-Methode – die Desensibilisierung und Verarbeitung durch Augenbewegung – in der Schweiz. Dickhaut sagt: „Corona ist bei allen Patienten ein Thema.“

Grundsätzlich beeinflusst die Pandemie das Leben der Allermeisten. „Menschen brauchen in der Regel eine Sicherheit. Die bekommen sie auch im Kontakt mit anderen. Das ist eine planbare Sicherheit“, sagt Dickhaut. Diesen Kontakt erlangt man durch Partnerschaften, Freundschaften oder die Familie, aber auch durch den Kontakt mit Arbeitskollegen.

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Und aber auch auf Demonstrationen wie bei den „Querdenkern“: „Ich habe die Vermutung, dass die meisten Menschen auf diese Demos gehen, weil sie den Wunsch nach Sicherheit haben und die Hilflosigkeit los werden möchten“, sagt Dickhaut.

Planbare Sicherheit

Da viele Menschen derzeit von zu Hause aus arbeiten und den Kontakt zu Freunde und der Familie reduzieren, fällt diese planbare Sicherheit weg. Die Reaktionen darauf sind unterschiedlich. Dickhaut: „Für manche reicht es aus, darüber mit Freunden am Telefon zu sprechen. Bei anderen kann die Isolation dazu führen, dass ein Suchtverhalten entsteht, wieder auftritt oder verstärkt wird.“

Neben Patienten, die selbst durch die Coronakrise in ein Ungleichgewicht geraten sind, suchen auch immer wieder Menschen Hilfe bei der Schwenninger Psychotherapeutin, die jemanden im Zusammenhang mit Covid-19 verloren haben: „Es gibt immer wieder Anfragen von Angehörigen. Diese haben meist einen ganz plötzlichen Verlust erlitten und fühlen sich nun hilflos“, sagt Dickhaut.

Problematisch ist derzeit nicht nur die Krise an sich, sondern auch der Weg zur Hilfe. Denn: „Viele Menschen sind momentan isoliert. Sie versuchen, selbst mit der Situation umzugehen.“ Zwar gibt es Beratungsmöglichkeiten mithilfe des Internets, das ersetze laut der Schwenninger Psychotherapeutin aber keine Sitzung, in der sich Patient und Therapeut in einem Raum treffen. Dickhaut empfängt Patienten daher in ihrer Praxis. Sie sagt: „Ich habe dort aber genügend Platz, um den Abstand einhalten zu können.“

Um die Gefahr für eine psychische Belastung durch Corona zu minimieren, rät Dickhaut dazu, den Tagen eine Struktur zu geben. „Wenn der Tag planbar ist, gibt das den Menschen das Gefühl der Kontrolle“, so Dickhaut. Hilfreich sei es auch, sich den Tagesablauf aufzuschreiben und ihn dann zu befolgen.

Die psychologische Psychotherapeutin Natalie Lutz arbeitet in der Luisenklinik in Bad Dürrheim und hat seit Oktober 2020 eine eigene ...
Die psychologische Psychotherapeutin Natalie Lutz arbeitet in der Luisenklinik in Bad Dürrheim und hat seit Oktober 2020 eine eigene Praxis in Villingen. | Bild: Natalie Lutz

Dazu rät auch Natalie Lutz. Sie ist unter anderem in der Luisenklinik in Bad Dürrheim tätig: „Ich arbeite dort auf der psychosomatischen Akutstation und bin dort Teamleiterin.“ Daneben hat sie seit Oktober eine eigene Praxis für Psychotherapie in der Oberen Straße in Villingen.

Im ersten Halbjahr 2020, sagt Lutz, hat es deutlich mehr Krankschreibungen von Menschen wegen einer Depression gegeben als im Vorjahr. Das sei auf weniger soziale Kontakte und weniger körperliche Nähe zurückzuführen. „Der soziale Rückzug ist, anders als sonst eigentlich, von außen vorgegeben. Das verstärkt psychische Erkrankungen.“, sagt Lutz.

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Wichtig sei es, die eigenen Ängste und Sorgen zu teilen. Lutz: „Es ist wichtig, den Kontakt zu Freunden und der Familie zu halten – auch, wenn man sich nicht persönlich sehen kann.“

Entscheidend bei der Frage nach der psychischen Gesundheit, sind immer auch positive Erlebnisse. Diese entstehen für viele Menschen beim Sport, beim Theaterbesuch oder einem Urlaub. Da all das derzeit nicht möglich ist, rät Lutz dazu, sich Zukunftsperspektiven auszumalen. Was plane ich nach Corona? Wohin fahre ich zuerst? Welches Museum schaue ich mir an, wenn das wieder möglich ist?

„Bei der Entwicklung positiver Gefühle kann auch ein Freude-Tagebuch helfen“, sagt Lutz. Dieses funktioniert so: „Man schreibt sich immer am Ende eines Tages drei Dinge auf, die einen heute gefreut haben. Danach notiert man drei Dinge, von denen man findet, dass man sie an diesem Tag gut gemacht hat. Wichtig ist, dass man die Ereignisse so aufschreibt, dass man sich in einigen Wochen wieder an sie erinnern kann“, erklärt die Villinger Psychotherapeutin.

Positive Gefühle reaktivieren

So kann man das Tagebuch immer wieder zur Hand nehmen und sich die positiven Gefühle erneut in Erinnerung rufen. „Mittlerweile gibt es sogar Anwendungen für das Handy, mit denen man das machen kann“, ergänzt Lutz.

Auch die Psychologin selbst achtet in der derzeitigen Lage darauf, Positives zu erleben. Sie sagt: „Ich verabrede mich manchmal mit Freunden. Wir machen dann gemeinsam Videotelefonie, quatschen und haben Spaß.“