Zum Jahresende verschärft sich im gesamten Landkreis ein Problem, das St. Georgen schon seit mittlerweile rund vier Jahren beschäftigt. Die fehlende Versorgung durch einen Kinderarzt. Damals, im September 2017, wurde bekannt, dass Kinderarzt Viktor Mil seine Praxis in der Bergstadt schließen wird. Ein Nachfolger fand sich damals unter großem Zeitdruck, und bis heute, nicht. Nun, zum Ende dieses Jahres, wird auch der Villinger Kinderarzt Christoph Leonhardt seine Praxis aufgeben und in den Ruhestand gehen. Einen Nachfolger hat auch er bisher nicht gefunden – trotz rund zweijähriger Suche.

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Das erhöht den Druck auf alle anderen Praxen im Landkreis und für viele, vor allem im Bereich St. Georgen, Triberg, Schonach und Schönwald, kann der Weg zum nächsten Kinderarzt künftig noch weiter werden. Denn aktuell nehmen die Praxen in Villingen-Schwenningen, Furtwangen und auch im Nachbarlandkreis in Schramberg keine Patienten mehr auf. Eltern, die nach der Nachricht der Schließung von Christoph Leonhardt eine Alternative suchen, stehen vor einem Problem.

„Die Berechnung der Bedarfsplanung stammt aus dem letzten Jahrhundert und bildet die Realität nicht mehr ab.“
Johannes Probst, Arzt

Forderung nach kleinräumiger Bedarfsplanung

Und das, obwohl der Landkreis im Bereich Kinderärzte als „überversorgt“ gilt. Johannes Probst, Sprecher der St. Georgener Ärzteschaft, kritisiert das Berechnungsmodell, das dieser Einschätzung zugrunde liegt. „Die Berechnung der Bedarfsplanung stammt aus dem letzten Jahrhundert und bildet die Realität nicht mehr ab.“ Denn in dieser gebe es einen erheblichen Mangel, so der Mediziner. Eine Überarbeitung sei längst überfällig. Schon vor mehr als zehn Jahren, so erinnert sich Probst, habe es gemeinsam mit dem damaligen Landrat und der Kassenärztlichen Vereinigung einen Vorstoß gegeben, das System zu reformieren. Die Forderung: Eine kleinräumige Bedarfsplanung, die den Landkreis nicht nur im Gesamten betrachtet, sondern eben heruntergebrochen auf einzelne Raumschaften.

Weniger Sprechstundenzeiten

Die Probleme in der Versorgung bestreitet auch Kai Sonntag, Pressesprecher der Kassenärztlichen Vereinigung Baden-Württemberg, nicht. Er sagt aber: „Das Problem ist nicht das Berechnungsmodell, sondern der Ärztemangel.“ Denn das Problem, dass es zu wenig Kinderärzte gibt, zeige sich im ganzen Bundesland. Der KV-Sprecher nennt beispielsweise die Nachbarlandkreise Rottweil und Tuttlingen. Dort dürften sich ohne Weiteres Kinderärzte niederlassen, es finden sich aber keine.

Trotzdem spricht auch Sonntag die Probleme des Berechnungsmodells an, das Anfang der 1990er-Jahre entstanden ist. Es berücksichtigt beispielsweise nicht, wie viele Patienten tatsächlich betreut werden oder wie viele Stunden ein Arzt tatsächlich tätig ist. Und auch hier gebe es eine Tendenz, die die Versorgung eher verschlechtert. Denn Ärzte, die in den Ruhestand gehen, haben im Durchschnitt mehr Sprechstundenzeiten angeboten, als die, die neu hinzukommen.

Beispiel Frauenarztpraxis

Ein gutes Beispiel für die Probleme der Bedarfsplanung ist auch die Versorgung mit Frauenärzten, denn auch hier gilt der Landkreis als „überversorgt“. Als Annett Geitner, Frauenärztin mit Praxis in St. Georgen, im Mai ihre Praxis eröffnete, war der Ansturm an Patientinnen trotzdem so groß, dass das Praxis-Team und die Technik an ihre Grenzen gekommen sind.

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Für rund 400 Patientinnen hatte die Praxis noch vor Eröffnung Termine vereinbart. Die Telefonleitung brach zeitweise zusammen. Über 1000 Patientinnen hatten es versucht, wie die Ärztin bei Eröffnung schätzte, viele Frauen kamen per Telefon überhaupt nicht durch. Genau gezählt hat das niemand, vom enormen Ansturm waren jedoch alle überrascht. Ein gutes Beispiel, dass die Bedarfsplanung und damit die „Überversorgung“ nicht zur eigentlichen Nachfrage passen.

Berechnung bringt zusätzliche Hürde

Ähnlich würde es wohl bei Eröffnung einer Kinderarztpraxis laufen, jedoch findet sich niemand. Das alleine ist aber nicht das einzige Problem. Denn die Berechnung sorgt für zusätzliche Hürden. In St. Georgen und dem gesamten Landkreis dürfte ein Arzt gar nicht ohne Weiteres eine Praxis eröffnen, derzeit mit Ausnahme einer Übernahme der Praxis von Christoph Leonhardt.

Am Beispiel St. Georgen, wo es das Problem seit Jahren gibt, sagt Johannes Probst: „Nach der Länge der Vakanz ist eine Sonderbedarfszulassung sicherlich nur erschwert durchzusetzen.“ Und auch hier gelte die Regel, dass St. Georgen erst einen Arzt finden müsste, um dann den Sonderbedarf postulieren zu können. Eine zusätzliche Hürde, wenn schon ein Kinderarzt bereit wäre, in eine Kleinstadt im ländlichen Raum zu gehen.

Lang ist es her – im Jahr 2017 schloss die einzige Kinderarztpraxis in St. Georgen. Aus dem selben Jahr stammt diese Aufnahme der ...
Lang ist es her – im Jahr 2017 schloss die einzige Kinderarztpraxis in St. Georgen. Aus dem selben Jahr stammt diese Aufnahme der damaligen Praxis. | Bild: Wursthorn, Jens

Das ärgert auch St. Georgens Bürgermeister Michael Rieger: „Jetzt, da wir gar keinen Sitz mehr haben, ist es entsprechend komplizierter, überhaupt wieder einen Sitz und einen Arzt oder eine Ärztin zu bekommen.“ Dass der Landkreis als überversorgt gilt, könne er nicht nachvollziehen – weder bei Kinder- noch bei Frauenärzten. Er kenne das Problem vieler Eltern aus eigener Erfahrung: „Auch wir müssen mit unseren Kindern wegfahren.“ Zumindest ein klein wenig Hoffnung hat Johannes Probst noch, der auch selbst schon Kontakt zu Christoph Leonhardt hatte. „Ich hoffe, dass er noch jemanden findet. Eventuell ist der Zug noch nicht ganz abgefahren.“