Die Frustration ist groß, viele sind am Rande des Burn-Outs. „Es muss besser werden, es geht so nicht mehr“, sagt Adelheid Zeidler, Vorsitzende des Hebammenvereins Schwarzwald-Baar-Kreis. Es geht um Hebammen. Besser gesagt, um zu wenige Hebammen in einer Zeit, in der die Geburtenrate kontinuierlich steigt.
Der Mangel ist akut
„So einen akuten Mangel wie jetzt gab es selten“, so Zeidler. 33 Jahre hat sie als angestellte Hebamme gearbeitet, jetzt ist sie in Rente. Besorgt blickt sie auf den Notstand im Landkreis: Auf Mütter, die keine Hebamme finden und Hebammen, die erschöpft und frustriert sind.
Jetzt schon Anmeldungen für April
Hildegund Hilt, freiberufliche Hebamme aus Königsfeld, ist eine von ihnen. Die 65-Jährige ist bis März ausgebucht, Anmeldungen für April liegen ihr jetzt schon vor. Als sie noch hundert Prozent gearbeitet hat, betreute sie über zehn Frauen im Monat, manchmal bis zu 14.

Oft gab es Zeiten, in denen sie weit mehr als 40 Stunden die Woche gearbeitet hat. Dieses Pensum konnte sie nicht mehr erfüllen, ihre Arbeitsstunden hat sie reduziert. „Manche Frauen rufen 20 Hebammen an und bekommen 20 Absagen“, erzählt sie. Im letzten Jahr habe jede fünfte Frau in Baden-Württemberg keine Hebamme bekommen.
47 Hebammen im Schwarzwald-Baar-Kreis
Laut Frank Wehinger, Pressesprecher der AOK Schwarzwald-Baar-Heuberg, gibt es im Schwarzwald-Baar-Kreis derzeit 47 Hebammen, die unterschiedliche Leistungen mit der gesetzlichen Krankenversicherung abrechnen können. Was zunächst viel klingen mag, sieht in der Realität anders aus: „Viele der Hebammen haben selbst Kinder und können nicht voll arbeiten“, erklärt Adelheid Zeidler.
Anspruch auf Hebammenhilfe
Dabei hat jede Frau, die krankenversichert ist, einen Anspruch auf Hebammenhilfe. Eine Hebamme begleitet die werdende Mutter in der Schwangerschaft, während der Geburt und in der Anfangszeit. Eine Hebamme bedeutet für eine Mutter weit mehr als medizinische Versorgung, weiß Hildegund Hilt aus Erfahrung. „Es ist vor allem der psychosoziale Faktor. Dinge wie Sicherheit und Begleitung.“
Erfahrung im Umgang mit Babys fehlt
Viele Frauen, die ein Kind bekommen, hätten davor noch nie ein Baby in den Armen gehabt, erzählt Adelheid Zeidler. Die Erfahrung im Umgang mit Säuglingen fehle, Frauen seien nicht selten auf sich allein gestellt.

„Oft werden Frauen bereits am dritten Tag aus der Klinik entlassen“, so Zeidler. Zum Vergleich: In den 60er und 70er Jahren seien Frauen nach dem sechsten Tag entlassen worden, nach einem Kaiserschnitt erst am zehnten Tag. Vor allem in den ersten Tagen sei die Hebamme jedoch von immenser Bedeutung für das Familienglück: „Wenn es der Mutter gut geht, dann geht es auch dem Kind gut“, davon ist Hildegund Hilt überzeugt.
Steigende Geburtenrate
Die Geburtenrate steigt, so Hilt: „Seit 2014 ist es extrem.“ Gründe für den Anstieg der Geburtenrate gibt es viele, meinen die beiden Hebammen: Frauen bekommen wieder mehr Kinder, die Menschen heutzutage können sich Kinder leisten, auch der Zustrom an Flüchtlingen trage zur hohen Geburtenrate bei. Vor allem sei es das Jahr 1964, das „Babyboom-Jahr“, das sich nun bemerkbar machen würde: Die Frauen des geburtenstarken Jahrgangs kommen zwar langsam ins Rentenalter, ihre Töchter jedoch bekommen jetzt eigene Kinder.
Frauenarztpraxen sind übervoll
Für Frauen im Landkreis ist es nicht nur schwierig, eine Hebamme zu finden, auch die Suche nach einem Frauenarzt in der Umgebung kann sich als langwierig und aussichtslos erweisen. Was im Alltag problematisch ist, sieht auf dem Papier anders aus: Laut der Kassenärztlichen Vereinigung Baden-Württemberg (KVBW) liegt die Zahl der Frauenärzte im Landkreis Stand Juli dieses Jahres bei 21 Ärzten. Die Versorgung liegt bei 120,2 Prozent, der Landkreis gilt somit als überversorgt.
Von 15 Frauenärzten nehmen vier noch Frauen auf
Wie kann es dann sein, dass viele Frauen keinen Frauenarzt in der Umgebung finden? Der SÜDKURIER hat bei 15 Frauenärzten im Landkreis nachgefragt, ob momentan neue Patientinnen aufgenommen werden. Das Ergebnis: Von den angefragten Gynäkologen nehmen lediglich vier Praxen Neupatientinnen auf. Acht Frauenärzte sind völlig ausgelastet. Diese gaben Auskünfte wie: „Wir nehmen seit drei Jahren keine neuen Patientinnen auf“, „Es wird immer schlimmer“ oder „Wir sind übervoll.“ Die restlichen drei Ärzte antworteten wie folgt: ausschließlich Privatpatientinnen, eine Mindestwartezeit von zwei Monaten, keine Auskunft.
„Frauen sind die Leidtragenden“
Isabelle Kiefer-Schmidt, Frauenärztin in Mönchweiler, bestätigt die Auslastung der Frauenarztpraxen. Ihr liegt der Mangel an Frauenärzten im Landkreis sehr am Herzen. „Mir tun die Frauen wirklich leid. Das sind die Leidtragenden“, sagt sie. Obwohl ihr Team von Montag bis Freitag durcharbeitet und sie mehr Sprechzeiten anbietet als früher, kann der Bedarf nicht abgefangen werden. Das verärgere die Frauen. „Ich wäre froh, wenn mindestens noch ein Frauenarzt käme“, so Kiefer-Schmidt. Dass der Landkreis laut der KVBW überversorgt sei, stimme nicht. „Patientinnen müssen teilweise bis nach Freiburg fahren.“
Bedarfsplanung muss überarbeitet werden
Johannes Probst, Hausarzt in St. Georgen, kennt die Problematik: „Frauen haben große Not und fragen oft Hausärzte.“ Seine Erklärung: „Die Bedarfsplanung ist falsch.“ Die Ärzte, die es gebe, seien ungünstig verteilt. Auch die ländlichen Regionen sollten besser abgedeckt werden. Die Bedarfsplanung basiere, so Probst, auf alten Daten und spiegle die aktuelle Bevölkerungssituation nicht wider. Der Mangel an Frauenärzten im Landkreis stehe für ihn außer Frage. Vor zehn Jahren habe es beispielsweise einen Frauenarzt in Furtwangen, einen in Triberg und zwei in St. Georgen gegeben. Heute gebe es weder in Furtwangen noch in Triberg einen Gynäkologen, in St. Georgen gebe es lediglich eine Praxis, die aber nur halbtags geöffnet sei. „Die Bedarfsplanung sollte dringend überarbeitet werden“, sagt Probst.
Adelheid Zeidler und Hildegund Hilt hoffen auf Besserung. Mit dem geplanten Studiengang, der voraussichtlich 2021 in Furtwangen mit 40 Plätzen starten soll, könnte sich die Versorgung im Landkreis wieder ändern. „In fünf Jahren gibt es vermutlich wieder mehr Hebammen“, sagt Zeidler. Fünf Jahre – eine lange Zeit für alle Frauen, die in der Zwischenzeit auf eine Hebamme angewiesen sind.
Bedarfsplanung
Über die Bedarfsplanung wird festgelegt, wie viele Ärzte sich in einem Gebiet niederlassen dürfen. Laut KVBW gilt ein Versorgungsgrad von 100 Prozent als ausreichend. Ab 110 Prozent gilt eine Überversorgung und es dürfen sich keine weiteren Ärzte niederlassen. Um eine angemessene Erreichbarkeit der Versorgung für die Bevölkerung sicherzustellen, werden die jeweiligen Ärzte räumlich unterschiedlich beplant. Hausärzte müssen beispielsweise möglichst wohnortnah erreichbar sein: Für sie werden Mittelbereiche vorgeschrieben (mittelgroße Stadt und deren Umland). Hier versorgt ein Hausarzt durchschnittlich 1 671 Einwohner. Die Arztgruppe der Frauenärzte wird dagegen landkreisbezogen beplant; hier liegt die für den Landkreis Schwarzwald-Baar-Kreis angepasste Verhältniszahl bei 6 109 Einwohnern je Arzt.