Nach der 16. Absage hat Susanne Leber aufgegeben. Innerhalb einer Woche hatte sie im Mai mehr als ein Dutzend Absagen von Hebammen erhalten. Keine von ihnen hatte im Oktober noch Kapazitäten frei, um zum errechneten Geburtstermin von Lebers zweitem Kind die Nachsorge zu übernehmen.
Hebammenarbeit endet schließlich nicht mit der Geburt eines Kindes: Bei den Nachsorgeterminen besuchen die freiberuflich tätigen Geburtshelferinnen Mutter und Neugeborenes zu Hause, beantworten alle Fragen zu Babypflege, Stillen, Wickeln, haben ein Auge darauf, dass der Nabel gut verheilt, dass sich die Gebärmutter zurückbildet und dass das Baby keine Gelbsucht entwickelt.
„Ich war schon ziemlich frustriert“, sagt Susanne Leber rückblickend. 16 Anfragen, 16 Absagen – der Hebammenmangel ist längst auch fernab der Großstädte angekommen. Übel nimmt Susanne Leber die Absagen niemandem. „Mir tun die Hebammen leid. Eigentlich hätten mich alle gerne angenommen. Aber mehr als arbeiten können sie ja auch nicht.“
Am liebsten hätte die 34-Jährige ihren Sohn Gabriel ambulant im Schwarzwald-Baar Klinikum zur Welt gebracht und wäre nach wenigen Stunden wieder nach Hause gegangen. Doch gerade dann sollte die Nachsorge durch eine Hebamme gewährleistet sein. Durch reinen Zufall fand Susanne Leber eine Woche vor der Geburt doch noch eine Hebamme. „Darüber bin ich wahnsinnig froh. Denn auch beim zweiten Kind ist einem manches unklar.“
Warum ist es so schwierig, eine Hebamme zu finden? Nachfrage im Villinger s’Hebammenhaus, in dem sich 16 freiberufliche Geburtshelferinnen zusammengeschlossen haben. 200 Kinder kamen im vergangenen Jahr im Geburtshaus zur Welt. Mehrere Gründe hätten letztlich zum Hebammenmangel geführt, sagt Julia Steinmann vom s’Hebammenhaus. Die 36-Jährige hat vor 15 Jahren ihr Hebammenexamen abgelegt und vor drei Jahren in Salzburg zusätzlich den Masterstudiengang Hebammenwissenschaft absolviert.
„Ein stückweit ist das Interesse am Beruf zurückgegangen“, beobachtet sie. Den großen Ansturm auf die Ausbildungsplätze, wie sie ihn selbst noch erlebt habe, gebe es nicht mehr. Das vergleichsweise niedrige Gehalt bei oft unkalkulierbaren Arbeitszeiten würde viele abschrecken. Durchschnittlich zwischen 2000 und 2400 Euro verdienen Hebammen bei Berufseinstieg, das Gehalt kann sich bis auf 2800 Euro brutto steigern.

„Generell ist die Verweildauer in Pflegeberufen aufgrund der hohen Belastung gering“, sagt Julia Steinmann. Aus dem nach wie vor weiblich dominierten Hebammenberuf – im Kreisgebiet sind keine männlichen Geburtshelfer tätig – seien die Absolventinnen nach im Schnitt vier Jahren wieder verschwunden: „Sie steigen auf, bekommen eigene Kinder oder suchen sich einen ganz anderen Job.“
Julia Steinmann sieht die Politik in der Pflicht, die Rahmenbedingungen zu verbessern – so, dass es beispielsweise möglich sei, auch in Teilzeit vom Hebammenberuf zu leben. „Gerade Freiberuflerinnen, die eigene Kinder haben, haben wenig Kapazitäten für Schwangerenbetreuung und Nachsorge.“ Zugleich sei es unter diesen Umständen kaum möglich, ohne einen Partner mit Vollzeitstelle zu überleben.
Freiberuflerinnen haben noch eine finanzielle Herausforderung: Die Berufshaftpflichtversicherung, deren Prämie für Hebammen, die außerklinische Geburtshilfe anbieten, derzeit 8000 Euro jährlich beträgt – Tendenz weiter steigend, auch wenn mittlerweile ein gewisser Prozentsatz vom Spitzenverband der Krankenkassen (DKV) über den Sicherstellungszusschlag zurückerstattet wird.
Was könnte helfen? „Es bräuchte einen kreativen Ansatz. Etwa die Möglichkeit der Ausbildung in Teilzeit. Oder Hilfen, um Hebammen zurückzugewinnen, die dem Beruf den Rücken gekehrt haben, Fortbildungen etwa und Hilfe bei Hürden auf dem Weg zurück in den Beruf“, sagt Julia Steinmann. Auch die Akademisierung des Berufs sei ein richtiger und wichtiger Schritt und „längst überfällig, da hinkt Deutschland im europäischen Vergleich hinterher“.
Bald nicht mehr: Ab 2020 sollen Hebammen ausschließlich über ein Studium für den Beruf qualifiziert werden. Hintergrund ist eine EU-Richtlinie, erklärt Eva Krebs, die die pflegerische Klinikleitung innehat. Der Deutsche Hebammenverband spricht sich dafür aus. Was dann aus der Hebammenschule wird, weiß man derzeit noch nicht. „Es wäre schön, wenn wir hier weiter ausbilden könnten“, sagt Eva Krebs.
Adelheid Zeidler, Vorsitzende des Hebammen-Kreisverbandes Schwarzwald-Baar, hat 33 Jahre am Klinikum als Hebamme gearbeitet. Dass junge Frauen bei der Akademisierung durch die Hürde eines Abiturs ausgesiebt werden, findet sie nicht gut. Aber: „Wir sind Schlusslicht in Europa und darum müssen wir nachziehen.“

Kathrin Hauser hat den Beruf in einer dreijährigen Ausbildung an der Hebammenschule gelernt. Seit sechs Jahren arbeitet sie als angestellte Hebamme am Klinikum im Schichtdienst. Sie hält die Akademisierung für positiv. „Ich denke, das kann den Stellenwert des Berufes nur erhöhen“, sagt Hauser.
Eine Hebamme hat viel Verantwortung, laut Gesetz kann sie selbstständig eine Geburt begleiten. Einen Arzt muss sie erst rufen, wenn Komplikationen auftreten. Diese Eigenständigkeit macht für Hauser ihren Beruf aus. „Für mich ist eine Geburt immer wieder ein kleines Wunder“, sagt die 30-Jährige.
Versorgung im Landkreis
- Am Schwarzwald-Baar-Klinikum werden jährlich zwischen 2200 und 2300 Kinder geboren. Der Zulauf ist groß, weil sich direkt angegliedert die Kinderklinik befindet. Auf der dortigen Intensivstation werden auch Problemfälle aus den Kliniken in Rottweil und Tuttlingen (beide jährlich etwa 900 Geburten) betreut.
- Laut Adelheid Zeidler, Vorsitzende des Kreis-Hebammenverbandes, finden 80 bis 90 Prozent werdender Mütter eine Hebamme. In den Ferienzeiten, in denen viele Hebammen die Versorgung ihrer eigenen Familien sicherstellen müssen, sei es schwierig, eine Betreuung zu gewährleisten. „Wir sind hier aber im Vergleich zu anderen Regionen nicht schlechter versorgt“, sagt Hebamme Kathrin Hauser.
Mehr über Möglichkeiten für Geburten und die Arbeit von Hebammen in der Region.
Das bringt die Akademisierung
- Wie verläuft die schulische Ausbildung zur Hebamme derzeit?
Die Hebammenausbildung dauert drei Jahre und findet an Hebammenschulen statt. Sie umfasst 1600 Theorie- und 3000 Praxisstunden, das heißt Einsätze im Kreißsaal, auf der Wochenstation, im Operationssaal, in einer Kinderklinik oder freien Hebammenpraxis. Hebammenschulen werden meist von einer Lehrerin für Hebammenwesen und einem ärztlichen Leiter geleitet und sind an Krankenhäuser angegliedert. Bundesweit gibt es 60 Hebammenschulen, in Baden-Württemberg sind es zehn. An den meisten Schulen müssen Anwärterinnen 18 Jahre alt sein. - Warum soll der Beruf nun akademisiert werden?
Eine EU-Richtlinie schreibt vor, dass Berufsanwärter ab 18. Januar 2020 nur noch per Studium zur Hebamme ausgebildet werden können. Das soll den Stellenwert des Berufes erhöhen, der viel medizinisches Wissen erfordert. In allen anderen europäischen Ländern außer Deutschland, Estland und Lettland ist die Richtlinie bereits umgesetzt. Mit einem Studium bekommen angehende Hebammen die Möglichkeit, eine Karrierestufe höher zu steigen, was sich im Gehalt niederschlagen könnte. Anwärterinnen bekommen damit auch Zugang zu Forschung und Lehre. - Wo kann ich ab 2020 den Hebammenberuf studieren?
Birgit Reime, Professorin für Gesundheitsförderung an der Hochschule Furtwangen, will die akademische Hebammenausbildung in den Kreis holen. Im Auftrag der Hochschule wird sie Anfang 2019 einen Hebammen-Studiengang beim Land Baden-Württemberg beantragen. Im Hochschulentwicklungsplan sei der schon aufgenommen. „Wir wollen Hebammen in den ländlichen Raum bringen“, sagt Reime. Bislang wird in Heidenheim, Karlsruhe, Stuttgart, Tübingen und Ulm angewandte Hebammenwissenschaft als Studiengang angeboten.