Es ist 5.54 Uhr, als Christina Kern im Krankenhaus Tettnang anruft: „Meine Fruchtblase ist gerissen.“ Wehen? Fehlanzeige. Kurz nach 6 Uhr erreicht die 28-jährige Häflerin mit ihrem Mann Alexander die Klinik. Sicher ist sicher, finden die beiden, denn: Es ist ihr erstes Kind, das da auf dem Weg ist. Die erste Hebamme, der sie begegnen, ist aus der Nachtschicht und bleibt nur kurz. Sie nimmt der werdenden Mutter Blut ab. „Die Entzündungswerte müssen überprüft werden, weil durch das fehlende Fruchtwasser Infektionsrisiko besteht“, erinnern sich die beiden später an die Begründung.
Beleghebamme Birgit Letzel erläutert: „Wenn alles okay ist, können werdende Mütter nach einer ersten Kontrolle auch wieder nach Hause und für die ersten Wehen in vertrauter Umgebung bleiben.“ In diesem Fall sei jedoch die regelmäßige Kontrolle der Entzündungswerte wichtig gewesen.

Eine Geburt ist häufig auch mit langem Warten verbunden
Kurz darauf setzen doch Wehen ein, bleiben aber leicht und unregelmäßig. Die Uhr tickt, denn mehr als zwölf Stunden soll nach dem Blasensprung nicht gewartet werden. „Dann muss die Geburt eingeleitet werden“, wissen die werdenden Eltern und schauen leicht besorgt auf das CTG, das Wellenlinien auf Papier kritzelt, die eigentlich viel größere Zacken aufweisen sollten. Eine der Linien zeigt die Herzschlagfrequenz des Babys, die daneben die Wehentätigkeit. Inzwischen ist es 17 Uhr, das Paar sitzt im kleinen Raum neben den Kreißsälen. Hebamme Maria Schaut erklärt lachend: „Ihr sitzt gerade auf unserem Bett.“ Die werdenden Eltern erfahren nebenbei, dass die Hebammen hier ihren Schlafplatz haben, falls es in den Kreißsälen ruhiger zugeht.
Zehn Hebammen arbeiten in der Klinik in Tettnang
Zehn freiberufliche Hebammen arbeiten hier und betreuen Frauen in und vor der Schwangerschaft. Den Hebammenmangel bekommen sie direkt hier im Krankenhaus nicht zu spüren, erläutert Letzel. „Wir haben immer eine Kollegin gefunden, die einspringen konnte, wenn eine von uns ausgefallen ist.“ Doch immer wieder erreichen sie Anrufe, wenn frisch gebackene Eltern keine Hebamme zur Nachsorge gefunden haben. Daran mache sich der Mangel bemerkbar. „Da habe ich dann auch mal nachts einen besorgten Vater am Telefon, der ganz viele Fragen stellt“, schildert sie.
Nur einmal in 20 Jahren musste eine Schwangere weggeschickt werden
Die Hebammen bestreiten hier mindestens zu zweit die Schichten und arbeiten in drei Kreißsälen. 600 Babys kommen hier jährlich zur Welt. Krankenhäuser können selbstverständlich keine Frau in den Wehen abweisen, auch wenn diese sich nicht frühzeitig um eine Hebamme gekümmert hat. Einmal musste Letzel in ihrer 20-jährigen Laufbahn dennoch eine Frau wegschicken: „Da hatten wir sieben Geburten gleichzeitig und wir haben eine Schwangere, die erst leichte Wehen hatte, nach der Erstkontrolle nach Friedrichshafen überwiesen.“
Außerhalb des Kreißsaals eine gewisse Hektik in der Luft
Auch an Frieda Kerns Geburtstag liegt außerhalb des Kreißsaals eine gewisse Hektik in der Luft. Die anwesenden Hebammen eilen von Raum zu Raum, hören Herzschläge ab, geben Ratschläge für die Wehen und stehen bei. Birgit Letzel hat inzwischen übernommen.
Wenn sie den Kreißsaal betritt, strahlt sie große Ruhe aus
Wenn sie den Kreißsaal betritt, in dem die Kerns auf ihr erstes Baby warten, strahlt sie eine große Ruhe aus. „Für die Mutter ist das ein sehr besonderer Moment. Daher sind wir, sobald wir den Raum betreten, auch ganz bei ihr und versetzen uns in die Situation hinein“, erläutert die Fachfrau für Geburtshilfe. Christina Kern zeigt sich rückblickend beeindruckt von ebendieser ruhigen Ausstrahlung trotz des stressigen Krankenhausalltags: „Ich habe mich aufgehoben gefühlt.“
Nach zwölf Stunden Schicht noch Arbeit am Schreibtisch
Letzel nennt es „einfach professionell“, die Hektik von draußen nie mit zur Gebärenden zu nehmen. Auch von der Arbeit nach der Arbeit bekomme diese nichts mit. Nach ihrer zwölfstündigen Schicht sitzt sie nämlich oft noch am Schreibtisch und verfasst die Dokumentation für ihren Einsatz. Warum sie gern noch etwas länger arbeitet, statt die Dokumentation zwischendurch zu verfassen? „Es ist mir wichtiger, aktiv eine Geburt zu begleiten, als jemanden wegen der Papiere warten zu lassen.“

Hebammen alle freiberuflich tätig – wer Urlaub will, arbeitet vorher und nachher mehr
Letzel ist wie alle Hebammen hier „normal freiberuflich“ tätig. Das bedeute auch, dass sie weder Kranken- noch Urlaubsgeld erhält. Wer zwei Wochen verreisen mag, arbeite in der Regel davor oder danach etwas mehr, um sich den Urlaub zu finanzieren. An Krankentagen springe selbstverständlich immer jemand ein, aber die erkrankte Hebamme verdiene nichts, führt sie aus.
Während sich hinter den Kulissen einiges geändert hat, sei vordergründig alles so geblieben wie vor 2006. Seitdem arbeiten in der Tettnanger Klinik Hebammen nämlich freiberuflich statt angestellt. „Die Betreuung hat das hier nicht beeinflusst“, betont sie und lobt außerdem die gute Ausstattung; zwei Kreißsäle verfügen über fest installierte Wannen für Wassergeburten oder Entspannung während der Wehen.
Hebammen
- Die Hebammenhilfe (Kassenleistung) umfasst: Hilfe bei Problemen in der Schwangerschaft, Hausbesuche im Wochenbett, Stillberatung bis Ende der Stillzeit, Geburtshilfe, Geburtsvorbereitung, Rückbildungskurse.
- Der Haftpflichtbeitrag für freiberufliche Hebammen ist immens: Seit 1. Juli liegt er bei 8664 Euro. Seit 2015 gibt es anteilige Ausgleichszahlungen auf Antrag.
- Beim Runden Tisch für Geburtshilfe Baden-Württemberg am 10. Mai wurden unter anderem beschlossen, Hebammenkreißsäle zu unterstützen sowie die Errichtung lokaler Gesundheitszentren mit Fokus auf Versorgung von Schwangeren, Gebärenden und Wöchnerinnen. (weiterlesen: http://sozialministerium.baden-wuerttemberg.de)
- Seit Mai steht fest, dass die EU-Richtlinie zur Akademisierung der Hebammenausbildung in Form eines Dualen Studiums erfolgt.
- Deutscher Hebammenverband im Internet: http://www.unsere-hebammen.de